Rotierende Klassenzimmer
Fortschrittliches Schulgebäude in Norwegen von PPAG Architects
Wie könnten Schulgebäude der Zukunft aussehen? Dieser Frage widmen sich die Planer von PPAG Architects und liefern in einem 800-Seelen-Dorf in Norwegen ein architektonisches Lehrstück.
Was man über die Architektur von Schulen hierzulande hört, mag man manchmal kaum glauben. Wenn von Schimmel die Rede ist, von Regenwasser, das durch die Decke tropft, oder von Putz, der von Wänden bröselt. Ganz zu schweigen von veraltetem Mobiliar und überkommenen Grundrissen. Dass es auch ganz anders geht, zeigt sich bei einem Blick in das Portfolio des Wiener Büros PPAG Architects. Hier trifft man auf rund 30 Schulprojekte, mit denen die Österreicher das klassische Modell der Bildungseinrichtung von Grund auf neu denken.
Globales Dorf
So auch im Fall der Sekundarschule des 800-Seelen-Dörfchens Sauland. Trotz ländlicher Abgeschiedenheit und geringer Einwohnerzahl dachten die Norweger groß und präsentieren mit ihrem Auftrag an PPAG Architects und Helen & Hard eine visionäre Bildungsauffassung. Dafür entwickelten die Architekten ein Konzept offener Cluster-Strukturen, das sich durch die knapp 1.700 Quadratmeter große Nutzfläche zieht.
Die Räume sollten das freie Lernen in kleinen Gruppen, Projektunterricht sowie alters- und klassenübergreifende Zusammenarbeit fördern. Die Lösung der Planer lag in einer kristallinen Struktur aus einem zentralen polygonalen Gemeinschaftsraum und darum rotierenden Klassenzimmern. Durch diese Ausrichtung gebe es keine Vor- oder Rückseite mehr. Stattdessen erschiene der kleine Schul-Campus von sämtlichen Richtungen aus offen, zugänglich und freundlich, meinen die Planer. Organisch-lose, scheinbar zufällig platziert, muten die Gebäude mit insgesamt 11 Räumen für 150 Schüler obendrein wie eine natürlich gewachsene Siedlung an.
Pädagogik der Zukunft
Das so entstandene Forum im Zentrum dient als vielseitig nutzbares Raumkontinuum. „Früher waren hier sehr lange Korridore, an denen die Klassenräume abgingen. Jetzt haben wir eine geräumige, offene Zone, wo sich die Schüler aus verschiedenen Klassen treffen, sich unterhalten, zusammensetzen oder Karten spielen“, beobachtet Veslemøy Tørre Særsland, eine Lehrerin der Schule. Und auch den Lehrkräften erleichtert die transparente Gestaltung ihre Arbeit. Sie beziehen die neugewonnene Fläche flexibel im Unterricht mit ein und genießen während der Pausenaufsicht, dank des offenen Grundrisses, den vollen Überblick.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Raum für Rückzug fehlt. Hierfür sahen die Planer zahlreiche Nischen für Kleinstgruppen vor, die zum Teil mit Glastüren von der restlichen Fläche abgrenzbar sind, Blickbeziehungen jedoch nicht unterbrechen. Ähnlich dachten sie auch bei den Fenstern. Sie sollen die Aussicht auf bestimmte Ausschnitte in der Landschaft lenken. Selbst innerhalb des Daches integrierten sie Öffnungen, die das spärliche nordische Licht ins Innere leiten und den Bauten ein Gefühl von Leichtigkeit geben.
Die Natur als Kulisse
Bis in die Gestaltung der großen zentralen Treppe im Forum – die einzige Forderung der Bauherren – setzten die Planer den Gedanken einer permeablen und vielseitig nutzbaren Architektur fort. Sie verfügt über Nischen, Fenster und Regalfächer. Außerdem dienen ihre Stufen als Bank und als Treffpunkt. Dieser hingegen sollte nicht ausschließlich den Schülern vorbehalten bleiben. Auch die Dorfbewohner nutzen Lehrküche, Musikräume, Turnhalle und Forum als Versammlungsorte für außerschulische Events.
Dafür bietet ihnen das norwegisch-österreichische Team mit einer durchdachten Materialwahl eine durchaus sehenswerte Kulisse. Typisch skandinavisch, verkleideten sie die Fassade der zweigeschossigen Häuser mit Holz, das sie auch im Inneren fortführten. „Die hygroskopische Eigenschaft der Holzplatten reguliert die Luftfeuchtigkeit und erzeugt ein angenehmes Raumklima“, sagen sie. Gleichsam aber soll das natürliche Material auch als „Werkzeug der Pädagogik“ dienen. Da brauchte es nicht viel mehr. Lediglich mit einigen Primär- und Sekundärfarben auf Türen, Polstermöbeln und der Treppe setzen die Planer gestalterische Akzente. Und schaffen so mit wenigen Mitteln eine „Werkstatt der Sinne“.
„Für mich ist der Neubau eine großartige, unerwartete Veränderung“, sagt Særsland. „Der Job ist der Gleiche, aber alles hat sich verbessert, die Einstellungen der Schüler und auch ihre Beziehungen untereinander – und ich bin nicht die Einzige, die das sagt.“
FOTOGRAFIE Wolfgang Thaler
Wolfgang Thaler