Schlichte(r) Kiste
Die Niederlande gelten nicht nur als liberale Gesellschaft, sie haben tatsächlich ein liberales Rechtssystem: So wird schon seit Jahren in einigen Bereichen des Strafvollzugs der „offene“ Vollzug mittels elektronischer Überwachung praktiziert und auch im Bereich Mediation - also der außergerichtlichen Streitschlichtung – ist Holland Vorreiter. Für diese Funktion wurde nun ein eigenes Gebäude errichtet, das zudem ein Informationszentrum beherbergt, in dem sich die Bürger über alle möglichen Rechtsfragen informieren können. Dieses Mediations- und Informationszentrum befindet sich in einer ungewöhlichen städtebaulichen Situation: Innerhalb einer glasgedeckten Passage, die die einzelnen Bauten des Rotterdamer Gerichtskomplexes mit einander verknüpft. Die Architekten des Infozentrums, Kempe Thill, verstehen ihren Baukörper daher auch als ein eingestelltes „großes Möbel“. Dies und der Wunsch nach einer würdevollen, ja „monumentalen“ Ausstrahlung war auch der Grund für die besonders sorgfältige Detaillierung des Gebäudes.
Klein und groß
Auch wenn bauphysikalische Zwänge in einer nahezu innenräumlichen Situation in den Hintergrund treten, gab es genügend Anforderungen an den Kleinbau, die sich fast diametral gegenüberstanden: So war einerseits ein Gebäude gesucht, das zwar in die 17 Meter schmale Passage passt und den Durchgang nicht behindert, gleichzeitig aber so einzigartig ist, dass es der ernsthaften Ausstrahlung eines Rechtsgebäudes entspricht und die Besucher es mühelos finden. Zudem war ein hoher Grad an Transparenz gewünscht, der das Anliegen der Offenheit gegenüber den Bürgern kommuniziert. Die Architekten lösten dies mit einem sechs Meter schmalen und rund 30 Meter langen Baukörper, dessen einzelne Kompositionselemente im Verhältnis zum Gesamtvolumen sehr groß sind, wodurch die gewünschte Monumentalität suggeriert wird; auch die strenge Symmetrie des Riegels unterstreicht diese Wirkung. Besonders deutlich wird dieser Anspruch an den riesigen, sechs Meter langen und 3,21 Meter hohen Fensterscheiben – das größte Maß, in dem Isolierglas herzustellen ist. Die beiden 2,80 Meter breiten und drei Meter hohen Schiebetüren des Eingangs sind – ebenso wie die zur Vermeidung von Zugerscheinungen eigens entwickelte Luftschleuse - eine Sonderanfertigung; sie werden elektrisch angetrieben. Die Reduktion in der Detaillierung bzw. die Vermeidung sichtbarer Konstuktionselemente im Sinne eines minimalistischen Designs trägt zusätzlich zur klaren, großformatigen und würdevollen Wirkung des Infozentrums bei.
Weiß und transparent
Auch der lange, dabei aber auf Grund der erwünschten Transparenzwirkung sehr niedrige Empfangstresen reizt die Größe des für die Beratung vorgesehenen Raumes – drei Achsen - aufs Äußerste aus. Er ist 17 Meter lang. Während der Innenraum des Baukörpers fast ausschließlich in Weiß gehalten ist, um durch die farbliche Einheitlichkeit eine größere Kompaktheit zu suggerieren, überstrahlt der Tresen dieses Weiß durch seine Materialität aus transparentem Polyester, das zusätzlich hinterleuchtet wird. In Kombination mit der ebenfalls transluzenten und beleuchteten Decke aus Polycarbonatplatten erhält das Infozentrum dadurch die Erscheinung einer strahlend weißen Laterne innerhalb der Passage. Auch bei der Verglasung entschied man sich für Weißglas anstelle des üblichen (grünlichen) Floatglases. Die Bestuhlung der Besprechungs- und Schlichtungszimmer jeweils an den Enden des Riegels besteht aus ebenfalls weißen Stühlen der Aluminium Group Serie von Charles und Ray Eames.
Offen und geschlossen
Um gegebenenfalls eine von außen nicht einsehbare Raumsituation in allen, aber besonders in den Besprechungs-Räumen herstellen zu können, laufen hinter den Fenstern Schienen für bodenlange, hellgraue Stoffvorhänge. Neben der visuellen dienen sie auch der akustischen Abschirmung und sorgen für einen optionalen Sonnenschutz. Gleichzeitig bilden sie einen weichen, offenporigen Kontrast zu den ansonsten glatten Oberflächen des Informationszentrums.
FOTOGRAFIE Ulrich Schwarz
Ulrich Schwarz