Über Nacht im Volkshaus
Herzog & de Meurons neues Boutique-Hotel in Basel
Schluss mit abgehängten Decken und Teppichfliesen aus Nadelfilz: Bislang als Büros genutzte Räume des Volkshaus Basel wurden von Herzog & de Meuron in ein Hotel verwandelt. Schwere Vorhänge, offene Bäder und naturalistische Tapeten verjagen den Verwaltungsmief der Disco-Ära.
In den Siebzigerjahren wurde mit historischen Bauten nicht zimperlich umgegangen. Kaum anders erging es dem Volkshaus Basel, das 1925 auf dem Grundstück einer im 14. Jahrhundert gegründeten Burgvogtei errichtet wurde. Der Architekt Henri Baur hatte einen lebendigen Ort geschaffen, der als Konzerthalle, Restaurant, Bar und Ladengeschäft in einem diente. Im Vorderhaus befanden sich Sitzungssäle und Büros sowie Wohnungen für den Hauswirt und die Verwalter. Auch das Personal hatte es nicht weit. Für sie standen Schlafzimmer im Dachgeschoss des Hauses bereit.
Artifizielle Kruste
Dabei blieb es bis in die Siebziger. Nachdem das Volkshaus nur knapp dem Abriss entgangen war, wurden die fünf Stockwerke des Vorderhauses in Büros umgebaut. „Ein Konvolut aus Resopalplatten, Nadelfilzteppichfliesen, abgehängten Akustikdecken und Kunststoffkabelkanälen überzieht wie eine plastifizierende Kruste die historische Bausubstanz“, konstatierten Herzog & de Meuron die Spuren der Transformation. Die Basler Architekten haben 2011 mit der Renovierung des Volkshaus Basel angefangen. Den Auftakt machten die neu eröffnete Brasserie, das Café sowie kleinere Veranstaltungssäle. Nun ging es weiter mit dem Kopfbau: Die Büros verschwanden und machten Platz für ein Boutique-Hotel mit 45 Zimmern.
Offene Badezimmer
„Wir haben die Räume von den Einbauten und Verkleidungen der Siebziger befreit, immer in der Hoffnung, auf interessante, historische Substanz zu stoßen. Schnell wurde deutlich, dass mit Ausnahme der Fenster nichts von der originalen Substanz erhalten geblieben ist und so mussten wir für den Entwurf auf andere Hinweisgeber zurückgreifen“, so die Architekten. Einen ersten Ansatz lieferten die originalen Baupläne für die Angestelltenwohnungen im Dachgeschoss. Aus ihnen ging hervor, dass die Zimmer mit Bad, Schrank und freistehenden Waschbecken ausgestattet waren – so wie es auch in vielen Grandhotels zu jener Zeit üblich war. Die offene Platzierung der Waschtische haben Herzog & de Meuron in den Zimmern des Volkshaus-Hotels übernommen.
Tiefe SchränkeEinen weiteren Ansatz lieferte die Einrichtung der Büros. Die Etagen wurden jeweils durch zentrale Korridore erschlossen, die beidseitig mit durchgehenden Schränken und eingelassenen Türen flankiert wurden. Auch die Hotelzimmer werden heute durch tiefe Schrankwände betreten. Die aus schwarz gebeiztem Eichenholz gefertigten Möbel reichen von einer Raumseite zur anderen und dienen keineswegs nur zur Aufbewahrung von Kleidung und persönlichen Gegenständen. Sie nehmen ebenso die Toiletten und Duschen auf, die über raumhohe Türen betreten werden.
Rhythmische Gliederung
Während die Gäste in der Dusche stehen, können sie durch ovale Türöffnungen ins Zimmer und durch die dortigen Fenster hinaus ins Freie blicken. Weil die Nassräume mehr Tiefe benötigen als die Kleiderschränke, ragen sie in die Korridore hinaus. Das Ergebnis: Die Wände springen in den Fluren kontinuierlich vor und zurück und bewirken somit eine rhythmische Gliederung, die sich der Starrheit und Monotonie entzieht. Die Wände der Duschen sind mit schwarzen und dunkelgrün glasierten Fliesen verkleidet, die eine warme, angenehme und alles andere als sterile Atmosphäre erzeugen.
Textiler Schlafraum
Die Waschtische lehnen an freistehenden Wänden, die mit schwarz getönten Spiegeln verkleidetet sind und als Raumteiler dienen. Die Betten sind mit den Kopfenden ebenfalls zu den Wänden ausgerichtet, deren Rückseiten nicht verspiegelt, sondern hinter schweren Vorhängen verborgen sind. Diese können entlang von Deckenschienen zur Seite geschoben werden, um den Eingang zum Schlafbereich abzutrennen. Der gleiche grüngraue Wollstoff wird auch für die Vorhänge der Fenster verwendet, die als die einzig verbliebenen Elemente der ursprünglichen Inneneinrichtung aufwendig restauriert worden sind. Die Wände sind mit eigens angefertigten Tapeten bezogen, auf die naturalistische Radierungen aus dem 17. Jahrhundert übertragen wurden. „Sie schlagen damit die Brücke zu den Anfängen des Volkshauses. Zusammen mit den Vorhängen entsteht so ein ‚textiler‘ Schlafraum, der Geborgenheit vermittelt“, erklären Herzog & de Meuron.
Schräge Geometrie
Gleich mehrere von den Architekten gestaltete Produkte kommen in den Hotelzimmern zum Einsatz. Der von Horgenglarus gefertigte Holzstuhl entstand bereits 2012 für die Brasserie und Bar des Volkshauses. Die Stehleuchten aus der Serie Unterlinden werden seit 2017 von Artemide gefertigt. Neu hinzu gekommen sind die Beistelltische und Loungesessel mit passenden Ottomanen, die als Sitzgelegenheit und Kofferablage in einem dienen. Die von der Schweizer Schreinerei Von Rickenbach konstruierten Möbel verfügen über Gestelle, bei denen sich zwei aus Vierkanthölzern konstruierte X-Formen gegenseitig überschneiden und mit ihrer betont aus dem Lot geratenen Geometrie für Dynamik sorgen. Die Betten warten mit Kopfteilen aus horizontalen Holzleisten auf, die an jene Biergartenbänke erinnern, die Herzog & de Meuron für die Außengastronomie des Volkshauses entworfen haben. Öffentlich und privat, intim und exponiert finden so zueinander – ganz unbeschwert – an diesem wiederentdeckten Treffpunkt inmitten von Basel.
FOTOGRAFIE Robert Rieger
Robert Rieger
Projekt | Volkshaus Basel Hotel |
Umbau | Herzog & de Meuron |
Fertigstellung | November 2020 |
Waschbecken | Serie VAL von Laufen |
Stühle | Volkshausstuhl von Horgenglarus |
Wandleuchten Zimmer | Unterlinden von Artemide |
Bettleuchten Zimmer | Sonderanfertigung von 2f-Leuchten |
Leuchten Lobby | IALO von Zumtobel |
Tapeten | Sonderanfertigung von Wirz Tapeten |
Waschtischschränke | Sonderanfertigung von Pendt |
Armaturen | KWC von Franke |