Projekte

Unter dem Mond Spaniens

Die surreal-industrielle Welt des Reisinger-Studios

Wie lässt sich die surreale Stimmung der Werke eines Digitalkünstlers auf seine realen Arbeitsräume übertragen? Der spanische Designer Isern Serra hat das Studio seines Freundes Andrés Reisinger in Barcelona neu geplant und jedes Funktionselement wie eine Skulptur behandelt. Im Viertel Poblenou treffen jetzt ein glänzender Küchenmonolith, eine stählerne Wendeltreppe und ein surrealer Mond auf Rosa im Raum und Tropengrün vor dem Fenster.

von Tanja Pabelick, 08.04.2024

Andrés Reisinger arbeitet zumeist im Digitalen. Der Künstler und Designer aus Barcelona hat eine bemerkenswerte Karriere rund ums Metaverse hingelegt: Er verkauft NFTs, gestaltet virtuelle Welten, geht mit beidem viral und weiß dabei die sozialen Netzwerke für sich zu nutzen. Gelegentlich landen seine Entwürfe nach dem virtuellen Start auch im echten Leben. So geschehen mit seinem Stuhl Hortensia oder der Installation Take Over, bei der pinke Vorhänge oder fluffige Fellpuschel an Gebäudefassaden drapiert wurden – bis sie sich real auf der Kunstmesse Design Miami 2023 manifestierte (und wieder als Foto auf Instagram landete). Sein Arbeitsplatz ist anders als sein Arbeitsfeld allerdings nach wie vor ein physischer Ort und wächst parallel zu seinem Erfolg in Bezug auf Besetzung und Raumbedarf.

Unter Freunden
Die Studio-Räume liegen im Erdgeschoss eines Gebäudes, das in den 1980er-Jahren von einer industriellen in eine kreative Nutzung überführt wurde. Reisinger hat sich dort schon länger eingerichtet und zuletzt eine umfangreiche Umgestaltung vorgenommen. Geplant wurde die funktionale Revision jedoch nicht von ihm allein, sondern federführend vom Interiordesigner Isern Serra. Dessen Büro liegt nicht nur in unmittelbarer Nachbarschaft, die beiden Designer feiern auch regelmäßig gemeinsam Weihnachten. „Wir sind seit Jahren eng befreundet, daher ist die Zusammenarbeit mit ihm sehr einfach. Ich gestalte gerne für und mit Freunden, denn dann kann ich Szenarien erschaffen, die meiner Vorstellung von ihnen entsprechen“, sagt Serra. Im Fall von Reisinger fühlte er eine warme, ruhige Energie und zielte darauf ab, aus den von Sichtbeton dominierten Räumen mehr ein Zuhause als ein Büro zu machen.

Industriearchitektur im Kreativviertel
Das Büro geht über zwei Ebenen und befindet sich im kreativen Epizentrum der spanischen Küstenstadt, im Viertel Poblenou. Vor den Fenstern liegt auf einer Seite die Straße, rückwärtig schließt sich eine große Terrasse an, die von einem üppigen, fast dschungelartigen Grün eingerahmt wird. Die Atmosphäre der Räume ist konsequent industriell, mit Wänden, Stützen und Decken aus rohem Beton, einem Boden aus mausgrauem Estrich und dicken Abluftrohren aus Aluminium. Die Architektur ist geradezu hyperreal und passt genau deshalb so gut zu Reisinger. Sie wirkt wie der neutrale, aus grauen und weißen Pixeln bestehende Hintergrund eines Grafikprogramms, kurz bevor Farbe und Geometrien darauf phantastische Welten entstehen lassen.

Öffnung nach oben
Das wichtigste Element des Umbaus ist die Öffnung der niedrigen Räume. Im hinteren Bereich des Studios wurde die zweite Etage entfernt, um nahe den Fenstern zum Hof Weite entstehen zu lassen. Dann sollte Farbe einziehen. Weil Rosa die Signature-Nuance von Reisinger ist und in vielen Arbeiten die Hauptrolle übernimmt, setzt diese Farbe auch im Studio Akzente. Allerdings auf eine sehr dezente Weise. Der große Betontresen, der eine doppelte Funktion als Kücheninsel und Arbeitstisch übernimmt, wurde in einem zarten Rosaton eingefärbt. Vor Ort gegossen schmiegt er sich um die verwitterten Betonstützen und findet ein paar farbliche Komplizen im Raum, wie den von Reisinger entworfenen Hortensia-Sessel an der Fensterfront. Zuletzt wurden funktionale Ergänzungen platziert: Die Treppe zu den Büros im ersten Stock, Regale, eine Küchenzeile und Lichtobjekte.

Der Raum als Leinwand, das Objekt als Skulptur
„Wir haben den Kontrast zwischen dem rohen Raum und sehr zarten und raffinierten Elementen gesucht, die wie Skulpturen behandelt wurden“, erzählt Isern Serra. Eine besondere Herausforderung war die Treppe, die eigens für das Studio entwickelt werden musste. „Anfangs habe ich mir eine Spindeltreppe aus Beton vorgestellt, aber am Ende mussten wir diese Option aus gewichtstechnischen Gründen streichen und nach vielen Versuchen – Rosa, Weiß, Holz – kamen wir auf die Idee, sie aus satiniertem, poliertem Edelstahl zu machen. Fein, elegant, raffiniert, so wie Andrés’ Arbeiten. Die Fertigung war eine Herausforderung, weil sie in einer Werkstatt in einem Stück hergestellt und dann als Ganzes transportiert werden musste.“

Surreale Reminiszenzen
Passend zur Treppe wurde die Küche gestaltet, die mit Rückwänden, Arbeitsplatte, Fronten, Regalen und Armaturen aus Edelstahl wie aus einem Guss wirkt. Die gebogenen Wangen nehmen ihr die Strenge und die homogenen Flächen machen sie zu einer Skulptur, die ausgezeichnet zu den glänzenden Metallhockern des Tresens passt. Letztere sind eine handwerkliche Sonderanfertigung von Júlia Esqué, der Designerin, die auch den Stuhl Hortensia für Reisinger realitätsfähig gemacht hat. Wichtig ist in den sparsam möblierten Flächen auch das Licht, das dort ebenso eine skulpturale Aufgabe übernimmt wie Tisch, Küche und Treppe. Die Leuchte Moon von Davide Groppi hat einen Durchmesser von 120 Zentimetern und schwebt im freigewordenen Luftraum an der Terrassenseite. Mit ihrer Textur aus zerknittertem Papier verwandelt sie nachts die Atmosphäre des Ateliers konsequent: Dann entsteht eine surreale und traumhafte Stimmung, die nicht zufällig an die Szenarien in Reisingers Werken erinnert.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Entwurf

Isern Serra

www.isernserra.com

Mehr Projekte

Neobrutalistische Kellerdisco

Die neuen Arbeitsräume von llotllov für M&C Saatchi in Berlin

Die neuen Arbeitsräume von llotllov für M&C Saatchi in Berlin

Berlin macht Blau

Das neue Relaxound-Office von Ester Bruzkus Architekten

Das neue Relaxound-Office von Ester Bruzkus Architekten

Vergangenheit neu belebt

Umbau eines historischen Verlagshauses in Sydney von Hülle & Fülle

Umbau eines historischen Verlagshauses in Sydney von Hülle & Fülle

Kreativ in Kortrijk

Minimalistischer Office Space von Markland Architecten und Stay Studio

Minimalistischer Office Space von Markland Architecten und Stay Studio

Japanische Offenheit

Neugestaltung des Firmensitzes von L’Oréal Japan in Tokio von The Design Studio

Neugestaltung des Firmensitzes von L’Oréal Japan in Tokio von The Design Studio

Lernen in der Alten Post

Campus der BSBI in Berlin setzt auf flexibles Interior

Campus der BSBI in Berlin setzt auf flexibles Interior

Effizienter Holzbaukasten

Büroneubau in Oslo mit durchdachter Lichtplanung

Büroneubau in Oslo mit durchdachter Lichtplanung

Akustische Glanzleistung

Sanierung der Bestuhlung im Neumarkter Reitstadel von Girsberger

Sanierung der Bestuhlung im Neumarkter Reitstadel von Girsberger

Zweite Auflage für eine Druckerei

Büro mit Tatami-Raum von INpuls in München

Büro mit Tatami-Raum von INpuls in München

Lebendige Präsentation

Neu gestalteter Showroom von Goldbach Kirchner

Neu gestalteter Showroom von Goldbach Kirchner

Infrastruktur fürs Glück

Bibliothek in Kirkkonummi von JKMM

Bibliothek in Kirkkonummi von JKMM

Möbel nach Maß

Nachhaltig transformiertes Cartier-Headquarter von Atelier Nova

Nachhaltig transformiertes Cartier-Headquarter von Atelier Nova

Das Regenbogen-Büro

Innovationsraum Space in Hamburg von Studio Besau-Marguerre

Innovationsraum Space in Hamburg von Studio Besau-Marguerre

Haus im Haus

Studio Alexander Fehres „Herzzone” für ein Büro von Roche

Studio Alexander Fehres „Herzzone” für ein Büro von Roche

Eine Ausstellung, die Stellung bezieht

Fotografiska Berlin im einstigen Tacheles von Studio Aisslinger

Fotografiska Berlin im einstigen Tacheles von Studio Aisslinger

Vom Sehen und Gesehenwerden

Eine Naturheilpraxis auf den Azoren von Box Arquitectos

Eine Naturheilpraxis auf den Azoren von Box Arquitectos

Besondere Böden

Fünf Projekte mit ungewöhnlicher Bodengestaltung

Fünf Projekte mit ungewöhnlicher Bodengestaltung

In eigener Sache

Ein Büro-Makeover vom Office-Spezialisten CSMM in Düsseldorf

Ein Büro-Makeover vom Office-Spezialisten CSMM in Düsseldorf

Ein sportliches Haus

Das neue Headquarter von Spillmann Echsle für On Running

Das neue Headquarter von Spillmann Echsle für On Running

Geflieste Exzentrik

Das neue Büro des kanadischen Fashion-Studios M.A.D.

Das neue Büro des kanadischen Fashion-Studios M.A.D.

Arbeiten unter Palmen

Amsterdamer Büro mit begehbaren Möbeln von Studioninedots

Amsterdamer Büro mit begehbaren Möbeln von Studioninedots

Grüne Arbeitsstruktur

Co-Working-Space in Barcelona von Daniel Mòdol

Co-Working-Space in Barcelona von Daniel Mòdol

Moderner Triumphbogen

Gebäudekomplex von Nikken Sekkei in Dubai

Gebäudekomplex von Nikken Sekkei in Dubai

In altem Glanz

Restaurierung einer historischen Villa in der italienischen Provinz Modena

Restaurierung einer historischen Villa in der italienischen Provinz Modena

Inspirationen statt Emissionen

Nachhaltiger Büroneubau von Studio Daytrip in London

Nachhaltiger Büroneubau von Studio Daytrip in London

Außen Altbau, innen New Work

Berliner Juris-Dependance am Ku’damm von de Winder Architekten

Berliner Juris-Dependance am Ku’damm von de Winder Architekten

Viel Platz für Veränderung

Atelier Gardens in Berlin-Tempelhof von MVRDV

Atelier Gardens in Berlin-Tempelhof von MVRDV

Dialog mit der Stadt

Das Verwaltungszentrum Brucity in Brüssel

Das Verwaltungszentrum Brucity in Brüssel

Bunter Community-Space

kupa Kitchen & Working Lounge von Stephanie Thatenhorst in München

kupa Kitchen & Working Lounge von Stephanie Thatenhorst in München

Facettenreiche Bürolandschaft

Vielschichtiger Workspace von SCOPE Architekten in Dresden

Vielschichtiger Workspace von SCOPE Architekten in Dresden