Unterm Paradiesvogelteppich
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In der strengen Welt der Architekten gehört die Ippolito Fleitz Group (ifg) zu den seltenen Fällen, die sich nicht dem Dogma des „weniger ist mehr“ unterwerfen. Mittels üppig eingesetzter Formen, Farben und Materialien zaubern sie kleine begehbare Raumkunstwerke (weshalb auch die in die Entwürfe integrierte Kunst fast immer direkt zum Konzept passt). Goldene Wände? Materialproben, die von der Decke hängen? Was schnell ins Provisorische oder Kitschige abgleiten könnte, hat hier konzeptionelle Kohärenz. Bei der Gestaltung des neuen Arbeitsdomizils der ifg hätte man annehmen können, dies sei reine Chefsache gewesen. Aber Fehlanzeige: Die Innenarchitektur des Büros spiegelt die flachen Hierarchien des Unternehmens wider, weshalb auch im Kleinen darauf geachtet wird, individuelle Vorlieben und Neigungen der Mitarbeiter zu integrieren, anstatt diese über einen Kamm zu scheren (eine selbst entworfene Leuchte hier heißt tatsächlich „Dagmars Besen“). Wenn Sie also wissen wollen, wie die großen Antipoden der klassischen Tragödie (wie Individualität versus Gemeinschaft) oder auch einfach der modernen Arbeitswelt (konzentrierte Arbeit versus Kommunikationsbereitschaft) Hand in Hand gehen: Kommen Sie mit nach Stuttgart in die Augustenstraße 87!
So ein schlichter Zweckbau wie das vielfach umgewandelte Gewerbe- und Bürogebäude im Stuttgarter Westen hat ja durchaus Vorteile: Einerseits muss der Planer keine große Rücksicht auf vorgegebene ästhetische Setzungen nehmen, andererseits kann er im Innenraum selber so richtig loslegen. Einzige Ausnahme, die von den Architekten dann auch dankbar angenommen und betont wurde: Im ersten Obergeschoss gab es noch originale gusseiserne Stützen mit konstruktiv-verspielten Aussteifungsecken. Ansonsten regiert in dieser Etage vom repräsentativen Eingangsbereich bis zur liebevoll gestalteten Mitarbeitertoilette das Prinzip „Re-Use“: Gleich im Eingangsbereich ist eine Wand mit Arbeiten des Künstlers Robert Steng geschmückt, dessen Collagen aus gefundenen Holzstücken zu perspektivischen Bildern werden. Darunter wartet ein einfacher Holzschaukelstuhl auf Besucher; der Empfangstresen ist dagegen als große weiße Skulptur in den ebenfalls weiß gestrichenen Raum gestellt. Weiß ist insgesamt die dominierende Farbe, das Passepartout, vor dem die farbigen Objekte in den Vordergrund rücken.
Workbenches mit Eigenleben
Verbindendes Element der halböffentlichen Bereiche ist ein selbst entworfener lilafarbener Karo-Teppich, ein begehbarer Schottenrock sozusagen. Ihm und einer großen Wandgrafik folgend, erreicht man die Kreativabteilung der Designfirma mit ihren langen Tischen. Diese „Workbenches“ sind in drei Gruppen geteilt: eine kleinere für die Chefs, und zwei größere – mit zwölf und zehn Plätzen – für die Mitarbeiter. Alle sitzen auf „Netwin"-Sesseln von Sedus in einem Raum. Um die Strenge der langen Tafeln zu brechen, werden über den Arbeitsplätzen installierte Pendelleuchten mittels einer Schnurzug-Technik angeknipst. Deren individuelle Bänder wurden aus Stoffproben genäht und geben dem einzelnen Arbeitsplatz ein Stück Individualität zurück. Für eine optimale Akustik sorgen mit Pardiesvogelmotiven bedruckte Teppichstreifen über den Arbeitstischen sowie eine zwischen zwei Unterzüge gespannte Lichtinstallation aus Schallabsorberplatten und Leuchtstoffröhren.
Inspiration im Dialog
Hinter den Arbeitsplätzen dienen mit Magnetwänden verkleidete Regale der internen Projektpräsentation und damit als Gesprächsgrundlage für den Arbeitsprozess. Eine große Materialbibliothek schließt den Bereich räumlich ab – auch zum dahinter gelegenen Backoffice mit Werkstatt und Lager. Besprechungsecken, ein Raucherbalkon sowie der kleine Besprechungsraum sind zweckentsprechend möbliert. Ihre Gestaltungslinie folgt der jeweiligen Funktion – so gibt es einen runden Tisch mit Gartensesseln („Re-trouvé“ von Patricia Urquiola) im offenen Studio, während sich in dem kleinen, in dunklem Lila gehaltenen Besprechungszimmer unter einer glockenartigen Leuchte eine fast konspirative Atmosphäre herstellen lässt. Der große Besprechungsraum ist dagegen durch eine Glasscheibe mit dem Empfangsbereich optisch verbunden; viel Tageslicht, ein großer ovaler Tisch mit Eames' „Plastic Armchair DAR" von Vitra und eine skulpturale, wolkenähnliche Leuchte darüber geben den Raum zusätzlich optische Weite.
Leidenschaft geht durch den Magen
Mindestens genauso wichtig wie das Studio ist der Salon. Hier geht es um Kommunikation und Austausch, aber auch um Inspiration und Reflexion: Eine Regalwand voller Literatur, vor der ein großer dreiflügeliger Spiegel hängt, bildet den Wissenspeicher des Büros. In die davor stehende gepolsterte Lese- oder auch Gesprächsinsel kann man sich allein oder zu zweit zurückziehen, während auf einem großen Tisch als Ideenpool für laufende Projekte Materialien, Skizzen und Collagen ausgebreitet werden. Die Küche schließlich ist nicht nur mittags das Herz des Büros: Hier wird viel gekocht, sowohl von Mitarbeitern als auch mit Kunden zu geladenen „Cook-Ins“. Beim Essen an der langen Tafel vor der Fensterfront wird selbstverständlich ebenso aus dem Vollen geschöpft wie bei der Arbeit. Kreativität macht eben auch hungrig.
FOTOGRAFIE Zooey Braun
Zooey Braun
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