Villa für außergewöhnliche Gentlemen
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Das Gebäude am Manchester Square verrät nichts von seiner eigentlichen Funktion: kein Schild, kein Firmenname, kein Branding. Es scheint sich um ein gewöhnliches, altehrwürdiges Londoner Stadthaus zu handeln. Im Inneren dann das: elegante Konferenzräume, moderne Arbeitsplätze und ein Pausenraum, der mit seiner schweren Leder-Eleganz an die traditionellen britischen Gentlemen`s Clubs erinnert. Kein Zufall, denn die wurden einst genau hier, im – auch heute noch als Clubland bezeichneten – West End der Stadt gegründet. Sie waren sowohl zweites Zuhause als auch Treffpunkt für Geschäftsmänner. Ähnlich verhält es sich mit der von SSH Architects umgebauten Bürovilla: Sie ist ein Ort zum Arbeiten mit den gemütlichen Qualitäten eines Wohnzimmers – allerdings nicht nur für Herren.
Vor einigen Jahrzehnten noch waren die Fronten geklärt: Das Büro war Büro, das Zuhause privat und deshalb arbeitsfreie Zone. Diese Funktionstrennung der nine-to-five-Mentalität schlug sich auch auf das Mobiliar und Erscheinungsbild vieler Bürowelten nieder: Sterile Arbeitskuben beherbergten funktionale Tische und Stühle, erleuchtet vom strahlenden Schein einer Neonröhre. Die Möbel wurden als Werkzeuge gesehen, die neben Schreibmaschine, Telefon und Papierkorb für einen reibungslosen Arbeitsablauf sorgten. Jetzt, da im Zuge von Globalisierung, gesteigerter Mobilität und Strukturwandel das Ende starrer Arbeitsstrukturen gekommen ist, werden auch starre Einrichtungskonzepte aufgeweicht. Wer 24/7 erreichbar ist und mit dem Laptop auf dem Schoß auf den laufenden „Tatort“ schielt, erstrebt auch am Arbeitsplatz ein wenig Wohnzimmer-Flair.
Living, Working, Lounging
Bei ihrem Konzept für das Büro im Londoner Stadthaus ging das Architekturbüro SHH noch einen Schritt weiter: Es gestaltete das denkmalgeschützte Gebäude zu einem einladenden Lounge-Büro um und schuf damit einen Ort, an dem Arbeit, Freizeit und Wohnen verschmelzen. „Ein belastbares Bürointerieur des 21. Jahrhunderts mit einer starken Persönlichkeit“ hatten die Auftraggeber gefordert, und als Projektort das georgianische Gebäude mit Marmor-Mosaik und stuckverzierten Decken präsentiert, an dessen Rückseite sogar noch die alten Stallungen angegliedert sind. Um es in ein modernes Ambiente zu überführen, mussten die Architekten deshalb auf Kontraste setzen. Alle herausragenden Besonderheiten des historischen Gebäudes wurden erhalten, restauriert und inszeniert – wie die Marmorböden, die fast vier Meter hohen Decken und die großen Straßenfenster. Dem gegenüber stellten die Architekten eine moderne Ausstattung und verschiedene Themenbereiche, die die fünf Stockwerke des Hauses unterteilen.
Grand Hall
Im Eingangsbereich und in dem zu den Arbeitsräumen führenden Treppenaufgang ist das besondere Flair des Gebäudes zu spüren: Mosaikfußboden, Stuckleisten, Bogen-Durchgang und die in einem warmen Anthrazit gestrichenen Wände vermitteln eine feudale Bürgerlichkeit, die als drückend empfunden werden könnte, würden ihr nicht durch eine künstlerische Lichtprojektion und Röhren-Lampen aus Bronze strengere, grafische Elemente entgegen gesetzt. In der ebenfalls im Erdgeschoss untergebrachten Rezeption erlebt der Besucher dann ein visuelles Kontrastprogramm: ein fast komplett weißes Interieur sowie eine in Flieder gestrichene Wand, die den Hintergrund für zwei weiße stilisierte Garderoben-Bäume von Swedese bildet. Der Boden hingegen besteht aus einem im Fischgrät-Muster verlegten, schwarz lackierten Eichenparkett, zu dem wiederum die schwarzen Arbeitsstühle Worknest von Vitra passen.
Break Out-Room
Im ersten Stock sind die eigentlichen Arbeitsräume der Mitarbeiter untergebracht, die die Architekten mit einem geradlinigen Mobiliar ausgestattet haben. Genau wie in den anderen Räumen des Gebäudes kontrastiert dieses auch hier mit dem Dekor-schwangeren Altbau. Und es finden sich die ersten Zitate aus den traditionellen britischen Herren-Clubs, wie die Stühle Silver von Interstuhl, die in ihrer Silhouette und durch die Lederpolsterung an Lounge-Sessel erinnern, durch die Aluminium-Schale aber eine technische Anmutung erhalten. Sie sind ein Vorgeschmack auf das eigentliche Highlight des Bürohauses, das sich im dritten Stockwerk neben den Konferenzräumen verbirgt: den schokoladen-braunen „Break Out“-Raum, der den Mitarbeitern als Pausenraum, Entspannungszimmer und Rückzugsmöglichkeit dient.
Hier tritt der „Geist des Hauses“ am deutlichsten zutage: Holzpaneele, Vintage-Messinglampen aus den 1930ern, ein Leder-Pouf im Chesterfield-Stil und zwei Cité-Armstühle von Vitra lassen sofort an vom Zigarrenrauch geschwängerte Luft und ein gutes Glas Whiskey denken, bei dem über die Weltpolitik oder die nächsten Investitionen diskutiert wird. Dabei sind es gerade die Klischees, von denen sich die Architekten mit diesem Projekt verabschiedet haben: Sie haben ein spezifisches Ambiente zu einer artfremden Umgebung in Kontrast gesetzt und schaffen damit neue Qualitäten. Natürlich nicht für die Raucher, sondern für die Arbeitnehmer.
www.vitra.com www.interstuhl.de
FOTOGRAFIE James Silverman
James Silverman
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