Voxel, Nurbs und Pixel
Dieses Büro eines Animationsstudios in Melbourne geht komplett im digitalen Raster auf.
Wo sonst könnte die Grenze zwischen digitaler und analoger Welt besser verschwimmen als in einem Studio für Animation und Visualisierung? Das müssen sich auch die australischen Architekten von Sibling gedacht haben, als sie den neuen Büroräumen von Squint/Opera in Melbourne eine wuchernde Konstruktion aus weißen Gitterelementen hinzufügten. Was ist Realität, was Fiktion? Entscheiden Sie selbst!
Das Unternehmen Squint/Opera betreibt Niederlassungen in London, Dubai und São Paulo: Aber für ihr Hauptquartier in Melbourne wollten die Verantwortlichen eine Bürogestaltung, die eine Beziehung zwischen ihrer Tätigkeit im digitalen Raum und dem realen Arbeitsalltag herstellt.
Arbeiten im Raster
Als Inspiration dienten den Architekten 3D-Raster, wie sie in Computerprogrammen genutzt werden, um Animationen zu erstellen. Auf Grundlage dieses plastischen Netzes, das auf den X,Y und Z-Koordinaten beruht, lässt sich jedes Objekt in ein geometrisches Modell verwandeln. Sibling übertrugen die digitale Konstruktion auf ein Gittergeflecht aus weißem Draht, das ihnen als raumbildendes Werkzeug für die Unterteilung der Büroräume diente. Flure, Arbeitsplätze und Erholungsbereiche wurden aus dem dreidimensionalen Volumen ausgeschnitten: Privatheit und Transparenz bewegen sich bei Squint/Opera in einem interessanten Spannungsfeld. Jeder Mitarbeiter besitzt seinen eigenen Bereich, aber die dünne Drahtstruktur erlaubt auch Ein- und Ausblicke. Allein die Toiletten und der Besprechungsraum sind von geschlossenen Wänden umgeben.
Über den Wolken
Das Raster ist König: Maßgeschneiderte Bildschirme, Tische und Hocker ordnen sich allesamt dem System unter und fügen sich in die einheitliche, orthogonale Gestaltungslinie ein. Sogar die Pflanzenkübel wurden passgenau angefertigt und lassen sich problemlos in das Gitternetz einsetzen. Sie sorgen für etwas Individualität und Natürlichkeit in der ansonsten reduzierten Bürogestaltung. An der Fensterfront des gerade einmal 100 Quadratmeter großen Raums formt die Drahtkonstruktion dann auch eine, natürlich innenliegende, Veranda, die als Treffpunkt und Besprechungsort dienen soll. Um ein „Draußen“-Gefühl auch bei schlechtem Wetter zu erzeugen, wurden die Sitzkissen mit Fotos von blauem Himmel bedruckt. Auch hier versteckt sich eine Referenz an das Tätigkeitsfeld von Squint/Opera: Das optimale und dramaturgisch passende Firmaments einzusetzen, ist meist der finale Akt beim Bauen einer Visualisierung.
Grüne oder rote Pille
Der von Sibling geschaffene Tron-Effekt erreicht seinen Höhepunkt an der Rückseite des Besprechungs- und Präsentationsraums, die auch den Eingang und die Küche beherbergt. Hier wurde ein hydroponisches Bepflanzungssystem installiert, das den Gewächsen erlaubt, ohne Erde auszukommen. Stattdessen sitzt das Grün in einem anorganischen Substrat und wird mit fluoreszierendem Magenta-LED-Licht bestrahlt. Dabei handelt es sich für beide Parteien, für Sibling und Squint/Opera, um ein Experiment. Normalerweise wird dieses System im industriellen Kontext und nicht am Arbeitsplatz eingesetzt. Spätestens hier beginnen für den Besucher die Grenzen zwischen Realität und digitaler Welt zu verschwimmen. Und die Frage, ob man die grüne oder die rote Pille nehmen würde, relativiert sich. Damit ist das Büro nicht nur ein gelungenes Gestaltungsexperiment, sondern gleichzeitig auch eine kluge Lösung für die Unternehmensdarstellung.
FOTOGRAFIE Christine Francis
Christine Francis