Workout im Korsett
Im fränkischen Herzogenaurach hat der Sportartikelhersteller Adidas sein Forschungs- und Entwicklungszentrum Laces bezogen. Der Bau von Kadawittfeldarchitektur aus Aachen schert souverän aus dem orthogonalen Raster gewöhnlicher Verwaltungsbauten aus. Stattdessen ersannen die Architekten einen verzerrten Ring, dessen Taille mit stählernen Bänden fest verzurrt wurde. Sportlich zeigt sich derweil das Interieur, das Wände zu Möbeln erklärt.
Logos gibt es viele. Aber nur die wenigsten von ihnen lassen sich im Handumdrehen in seriöse Architektur übersetzen. Der Sportartikelhersteller Adidas hatte hierbei gute Karten. Anstatt luftige Haken oder widerspenstige Raubkatzen in bauliche Formen gießen zu müssen, machte die Marke mit den drei Streifen die Fassadengestaltung zu einer leicht lösbaren Aufgabe. Selbst eine horizontale Gliederung, wie sie vor neunzig Jahren mit der Moderne das Laufen erlernte, würde die Marktenbotschaft auf den Punkt bringen – sofern die magische Zahl Drei eine Rolle spielt.
Für die Architekten lag genau darin die Herausforderung. Schließlich gilt der Ausstatter der deutschen Fußballnationalmannschaft nach seinem Hauptkonkurrenten Nike als zweitgrößten Sporthersteller der Welt und erzielte 2011 mit seinen 46.800 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 13 Milliarden Euro. Ein Gebäude mit lediglich drei Etagen wäre entweder viel zu klein oder müsste sich ins Uferlose ausdehnen, um genügend Platz für die 1.700 Mitarbeiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung zu bieten.
Horizontale Ordnung
Und so griffen Kadawittfeldarchitektur zu einem baulichen Trick: Sie versetzten an der Schauseite des Gebäudes – die dem schwarz verspiegelten Adi Dassler Brand Center von Querkraft Architekten gegenüber liegt und zugleich den Haupteingang beherbergt – das Erdgeschoss mitsamt dem ersten Obergeschoss ins Innere des Blocks zurück. Das Ergebnis: Die oberen drei Etagen bilden einen schwebenden Baukörper, der sich über einen überdachten Vorplatz ins Freie hinausschiebt und dem Gebäude mit seinen spitz zulaufenden Ecken den Anschein eines Dampfschiffs verleiht. Unterstützt wird diese Wirkung durch eine Verspiegelung des angeschrägten Sockels, der die umliegenden Rasenflächen und Bäume reflektiert und somit die physische Präsenz des Gebäudes mindert.
Gegliedert wird die weiß verputzte Fassade durch horizontale Fensterbänder, die mit schwarzen Rahmen und leicht abgedunkelten Scheiben einen klaren grafischen Kontrast erzeugen. Der Grundriss des 62.000 Quadratmeter Nutzfläche bietenden Gebäudes ähnelt einer dynamisch verzerrten Acht, deren Taille das zentrale Atrium und Herzstück des Gebäudes bildet. Für die Architekten folgt dieses einer doppelten Strategie: Während sämtliche Arbeitsplätze über einen unverstellten Blick auf die umliegende Landschaft verfügen, bildet das Atrium eine innere Landschaft, die das Gebäude in sich zusammenhält.
Kommunikatives Zentrum
Vermittelt die Architektur von außen einen betont ruhigen Eindruck, herrscht im Inneren Dynamik. Filigrane Verbindungsbrücken aus Stahl durchkreuzen den Raum auf verschiedenen Ebenen und „schnüren“ den Baukörper wie ein Korsett zusammen. Für die Organisation des Gebäudes spielen diese eine entscheidende Rolle, ermöglichen sie schließlich einen effizienten Bewegungsfluss. Anstatt durch endlose Korridore und fremde Abteilungen irren zu müssen, können die Mitarbeiter auf direktem Wege zu ihrem Arbeitsplatz gelangen, ohne für die Kollegen unsichtbar zu werden. Überdacht wird das Atrium von lichtdurchlässigen ETFE-Kissen, die ebenso für die Fassaden- und Dachgestaltung der Münchner Allianz Arena zum Einsatz kamen.
Sämtliche Arbeitsräume wurden mit einer raumhohen Verglasung zu den Korridoren geöffnet. Aufgelockert werden diese von zahlreichen Besprechungszonen, die sich gestalterisch klar von der Einrichtung der Büros unterscheiden. Platz genommen wird auf dem schlängelnden Sofa Circle sowie dem filigranen Sessel MYchair, die Ben van Berkel für Walter Knoll entwarf. Auch der Boden setzt sich optisch wie sensoriell vom hellgrauen Estrich der Flure und Büroräume ab. Um die Akustik zu verbessern, wurde der Teppichboden Poodle 1400 von Object Carpet als Sonderanfertigung auf die Größe der Besprechungsräume passgenau zugeschnitten. Mit seiner flauschigen, dreidimensionalen Struktur sorgt dieser für eine angenehme, wohnliche Atmosphäre, die durch raumhohe Vorhänge unterstrichen wird.
Schränke mit Schräglage
Für die Möblierung der Arbeitsplätze zeigt sich das Berliner Architektur- und Designbüro Kinzo verantwortlich. In Zusammenarbeit mit dem Hersteller Planmöbel entstand das eigens für Adidas entwickelte Möbelsystem Workout, das ganze 1.750 Tische, 4.500 Container, 1.100 Schränke, 860 Raumteiler und 7.880 Kleiderständer umfasst. Anders als in „normalen“ Büros hantieren die Mitarbeiter von Adidas nicht nur mit Akten und Paper, sondern ebenso mit Turnschuhen, Kleidung, Accessoires und Unmengen an Skizzen. Die Lösung von Kinzo bestand darin, die raumhohen Ablagen offen zu halten und die Materialproben und Prototypen in ihnen wie auf Bühnen in Szene zu setzen. Mit ihren rhomboiden Seitenflügeln gliedern die Schränke zudem den Raum und erzeugen eine formelle Verbindung zu den polygonalen Füßen der Arbeitstische.
„Wir zerhacken das Büro nicht mit Stauraumblöcken, sondern schaffen einen wellenartigen Fluss. Durch den Einsatz von Möbeln statt Wänden lässt sich in Zukunft sogar eine gesamte Etage ohne Baustelle umbauen“, erklärt Kinzo-Designer Chris Middleton. Erstmals wurden die Oberflächen einer gesamten Möbelserie in Pulverbeschichtung veredelt. Gehört dieses Verfahren bei Metallmöbeln längst zum Standard, kam es nun auch auf temperaturempfindlichen Materialien wie Holz zum Einsatz. Die Möbel erhalten auf diese Weise eine einheitliche, robuste Oberfläche, die auch Jahren intensiver Benutzung problemlos standhält. So wie es sich für professionelle Sportgeräte eben gehört.
FOTOGRAFIE Werner Huthmacher
Werner Huthmacher
Links