Biennale 2016: Small Scale, Big Impact
Einfachheit, Logik und Bescheidenheit: Fünf Länderbeiträge der Architekturbiennale 2016.

Neue Bauten müssen her! Die 15. Architekturbiennale in Venedig sucht unter der kuratorischen Leitung von Alejandro Aravena nach Erdung. Einfachheit, Logik und Bescheidenheit werden als Kriterien verstanden, um Investorenschick und Übermaß Einhalt zu gebieten. Dass räumliche Qualitäten dabei nicht auf der Stecke bleiben, zeigen fünf ausgewählte Länderbeiträge.
Es sind vor allem leise Töne, die auf dieser Architekturbiennale in Venedig angeschlagen werden. Statt einer auftrumpfenden Armada an Starchitects sind viele kleine, aber keineswegs unspannende Büros vertreten. Sondieren, Überlegen und Ausprobieren lautet die Lösung, mit der der Fokus von Prestigebauten auf Wohn- und Geschäftsgebäude mit bescheidenen Budgets verlagert wird. „Reporting from the Front“, gibt Aravena als Losung vor.
Dass der Goldene Löwe für den besten Länderpavillon nach Spanien ging, erscheint an dieser Stelle konsequent. Schließlich begreift der Beitrag die Investruinen der Finanzkrise als kreativen Freiraum für neue Projekte. Auch Frankreich widmet sich den eigenen Schwachstellen mit einem Beitrag über neues Bauen in den Vorstädten. Mexiko entwickelt innovative Finanzierungskonzepte für geringverdienende Häuslebauer. Argentinien beleuchtet die Poesie von Ziegelsteinen. Und Portugal begleitet Álvaro Siza bei einer Rückkehr zu seinen eigenen Wohnbauten.
Unfinished / Spanischer Pavillon
Der wilde Bauboom der neunziger und frühen zweitausender Jahre hat eine Vielzahl an unfertigen oder leerstehenden Gebäuden in Spanien hinterlassen. Der von Iñaqui Carnicero und Carlos Quinánas kuratierte Beitrag Unfinished setzt sich mit diesem Phänomen auseinander. „Das Ziel der Ausstellung besteht darin, den negativen Aspekt dieser Entwicklung zu untergraben und die Ruinen vielmehr als unfertige Arbeiten zu betrachten, die kreatives Potential in sich tragen“, sagt Iñaqui Carnicero. Welch spannende Lösungen daraus entstehen können, zeigt der Umbau eines leer stehenden Kinos im katalanischen Dorf Riudecols.
Im früheren Zuschauersaal organisieren die Architekten Núria Salvadó und David Tapias den Wohnraum als übereinander gestapelte Container. Die aus Holz gefertigten Module sind mit transluzenten Kunststofffolien verkleidet, um möglichst viel Tageslicht durch die verglasten Türen in den ansonsten fensterlosen Raum zu leiten. Indem sich die Kuben einzeln beheizen und kühlen lassen, wird nicht nur Energie gespart. Die autarke Bauweise erlaubt eine beständige Neukonfigurierung des Hauses im Haus, das somit an wechselnde Bedürfnisse angepasst werden kann.
Frankreich begibt sich auf die Suche nach neuen, qualitativen Bauten in der urbanen Peripherie – und kehrt deren früheres Stigma einfach um: Aus Armenvierteln werden Nouvelles Richesses (neue Reichtümer). Dass damit keine Gentrifizierung gemeint ist, offenbart ein Umbau in Saint Denis. In dem unscheinbaren Gebäude befand sich einst das Café Au bon coin, das mit einem Foto von Robert Doisneau Bekanntheit erlangte und später über viele Jahre lang leer stand. Der neue Eigentümer entschied sich dafür, Sozialwohnungen einzurichten und beantragte das Büro Ramdam sowohl mit dem Innenausbau als auch mit einer Erweiterung des dreigeschossigen Gebäudes.
Das neue Volumen überragt das bestehende nicht nur um eine Etage. Der komplett aus Holz konstruierte Anbau setzt ebenso mit seiner hölzernen Fassade einen warmen Gegenpol zu den umliegenden Industriebauten. Damit die beiden Gebäudeteile nicht optisch auseinanderfallen, sind die Fenster des Altbaus aus demselben Holz gefertigt wie die Fassaden des Anbaus – und schaffen somit ein rundes Gesamtbild. Nach der Fertigstellung ist auch das Café im Erdgeschoss wiederbelebt worden: unter dem eindeutig zukunftsgewandten Namen Coin des Rêves (Ecke der Träume).
Unfoldings & Assemblages / Mexikanischer Pavillon
Soziales Engagement und kollektive Planung bestimmen die Schau Unfoldings & Assemblages im mexikanischen Pavillon. Zu den vorgestellten Projekten zählt die Non-Profit-Organisation Comunidad Vivex in der Stadt Monterrey. Ihr Ziel besteht darin, einkommensschwachen Bauarbeitern zu eigenen Wohnhäusern zu verhelfen. Das Architekturbüro S-AR entwickelte daraufhin zwei Haustypen für die Standard-Grundstücke mexikanischer Vorstädte von sieben mal fünfzehn Metern. Die Realisierung der Häuser erfolgt über eine klare Aufgabenverteilung: Vivex liefert die Pläne und Materialien. Die Bauarbeiter steuern das Grundstück und ihre eigene Arbeitszeit und -kraft bei.
Die eingeschossige Casa Cubierta verfügt über einen zentralen Patio und wird mithilfe eines angehobenen, auskragenden Flachdachs auf natürliche Weise klimatisiert. Dieser Bautypus ist als Einstiegsgröße gedacht und kann später in die Vertikale und Horizontale erweitert werden. Die Casa Caja (Box-Haus) ist ein zweigeschossiger Bau, der die Hälfte des Grundstücks einnimmt und damit Platz für einen langen schmalen Innenhof lässt. Auch diese Erdgeschosszone wird als Erweiterung der Wohnräume ins Freie genutzt und kann in einem späteren Entwicklungsstadium überbaut werden. Während der Bauphase erhalten die Arbeiter Unterstützung durch professionelle Trainingskurse, um somit ihre Fähigkeiten zu verbessern und diese künftig auf andere Projekte übertragen zu können. Die Folge: Ein Eigenheim für eine Familie ist bereits für 150.000 Peso, umgerechnet rund 7.300 Euro, erhältlich.
Dass die Front, an der Architekten im Alltag zu kämpfen haben, durchaus Poesie zu Tage fördert, zeigt der argentinische Pavillon mit dem Beitrag ExperimentAR. Ins Auge fällt hier vor allem das Wohnhaus des Architekten Diego Arraigada in der Stadt Rosario, das mit raffinierten, halbdurchlässigen Fassaden die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum verschwimmen lässt. Um das Grundstück optimal auszunutzen, organisierte Diego Arraigada die Wohnräume über drei Etagen und umhüllte den Baukörper mit 45 und 30 Zentimeter dicken Backsteinmauern. Deren Besonderheit liegt in einem gleichförmigen Raster an kreuzförmigen Aussparungen, das an der Nord- und Südseite durch große rautenartige Fenster und dreieckige Türöffnungen durchbrochen wird. Das Ergebnis ist ein raffiniertes Lehrstück, wie Ziegelsteine auf eine spielerische, leichte und hoch atmosphärische Weise verwendet werden können – ohne dabei in den Verdacht des ewig Gestrigen zu geraten.
Neighbourhood / Portugiesischer Pavillon
Der portugiesische Pavillon hat in diesem Jahr den passenden Ort gefunden: den von Álvaro Siza 1983 entworfenen Wohnblock Campo di Marte auf der Insel Giudecca, wo quer gegenüber auch Aldo Rossi einige Wohnbauten plante. Von dem ursprünglich geplanten Gebäudewinkel ist nur ein Flügel umgesetzt worden. Danach ging das Bauunternehmen in Konkurs, und das Projekt stand still. Bewegung kam erst wieder hinein, als das portugiesische Kulturministerium 2015 anfragte, den Rohbau des unfertigen Gebäudeflügels als Pavillon dieser Biennale zu nutzen. Und wie es aussieht, soll das Gebäude nach dem Ende der Schau tatsächlich fertiggestellt werden.
Der Charme dieses Beitrags liegt nicht nur in der rauen Baustellen-Atmosphäre. Es sind vor allem die Filme, die in dem abgedunkelten Räumen an die Wände geworfen werden. Sie zeigen, wie Álvaro Siza im Frühjahr 2016 zu mehreren Wohnbauten zurückkehrt – darunter auch zu seinem 1980 realisierten Eckgebäude am Schlesischen Tor in Berlin – und mehrere Bewohner besucht. Es wird gesprochen, diskutiert, geraucht und angestoßen – dazwischen fallen auch immer wieder erfrischend direkte Töne. Wenn sich etwa eine ältere Dame über die dünnen Wände beschwert und ihr Siza verständnisvoll erklärt, dass er sie auch gerne dicker gemacht hätte – nur dafür kein Budget zur Verfügung stand – wird das Bauen auf unmittelbare Weise menschlich. Die von Aravena gewählte Front-Metapher erscheint an dieser Stelle etwas ungeschickt. Sitzen Architekten und Bauherrn nicht im selben Boot?
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