Die Anti-Provokanten: Nachwuchs auf der imm
Die Talente 2019: mit Henkelchen und grünem Charakter, dafür ohne Mut und Spektakel.

Wer auf der Kölner Möbelmesse wissen will, was es in den nächsten Jahren zu sehen geben wird, besucht die Pure Talents. Die Nachwuchsschau samt Wettbewerb ist ein Anlaufpunkt für nichtindustrielle Innovationen und ein potentielles Talentbecken. Manches findet sich schon im Folgejahr in den Katalogen der Produzenten. 2019 blieb vielmehr das hängen, was es alles nicht zu sehen gab: Mut, Spektakel oder Experimente.
Zeitgeist und Möbeldesign stehen in einem ambivalenten Verhältnis. Davon zeugen auch die Jury-Erklärungen der ausgezeichneten Entwürfe des Pure-Talents-Wettbewerbs der diesjährigen Kölner Möbelmesse. „Für die heutigen Wohnanforderungen perfekt“, heißt es zur Gewinnerleuchte Baschnja von Ilja Huber. „Es ist einfach nur Holz und Farbe, aber das Design ist pur und wirklich gut“, beurteilt die Jury die Bench Gang von Christian Cowper. Der Enthusiasmus ist so verhalten wie das Design selbst. Dabei war die Beteiligung der jungen Designer groß wie nie: Fast 1000 Entwürfe sind in diesem Jahr eingereicht worden, nur 26 davon wurden ausgestellt. Es handelt sich also um die kuratierten Highlights. Was ist also los mit dem jungen Design?
Grün und gefällig
Eine der vielen Antworten auf diese Frage findet sich ebenfalls in den Kommentaren der Jury. Wilfried Lembert, Möbelhändler von minimum urteilt, „dass es eben nicht darum geht, etwas zu entwerfen, das super neu und besonders ist, sondern einfach nur gut gemacht und gut im Gebrauch. Damit es lange hält.“ Die ästhetische Zögerlichkeit wird als ein Beitrag zur Nachhaltigkeit gelesen. Unter grüner Fahne werden Dinge entworfen, die so gefällig sind, dass ein Nichtgefallen auch in der Zukunft nahezu ausgeschlossen scheint. Die jungen Designer versuchen fernab von Moden zu gestalten. Dahinter verbirgt sich ein nur scheinbar sicherer Weg, weil er eine Gratwanderung ist. Schnell ist man auf der Seite der Banalität, schnell ist das Ergebnis einfach nur langweilig. Und der Nachwuchs verpasst die große Chance einer jeden Generation. Denn in der Kunst, der Mode und im Design sind es eigentlich die Jungen, die das Establishment provozieren. Von Alchimia und Memphis über Marcel Wanders bis hin zu Maarten Baas: Sie haben als Nachwuchs Möbel verbrannt oder der Funktionalität eine Absage erteilt, um die Zukunft mit ihren Ideen zu infizieren. Auch das war ein Akt der Nachhaltigkeit – mit anderen Intentionen.
Körpernahe Assistenten
Die Zögerlichkeit des jungen Designs ist ein Spiegel der aktuellen politischen und sozialen Realität. Das Nachwuchsdesign erzählt von einer Zukunft, in der Wohnraum immer kleiner wird und die Städte zu Megacities. Das Leben ist mittlerweile so selbstverständlich nomadisch, dass keiner mehr feste Installationen zulässt – ganz im Gegenteil müssen alle Besitztümer eigentlich in einen Umzugskarton passen – inklusive Möbel. Sie werden im übertragenen Sinn an die Leine genommen, kriegen Rollen und Henkelchen. Allein die zwei Siegerprodukte der Pure Talents verfügen über einen Tragegriff. Da ist einmal der mobile Dunstabzug The Portable Kitchen Hood von Maxime Augay, der im Bereich LivingKitchen den ersten Platz belegte – und Ilja Hubers dreiteilige LED-Laterne Baschnja. Zwei Produkte, die sich nicht auf einen Ort festlegen lassen. Stattdessen gehen sie vielmehr eine Beziehung mit einer Person ein. Sie werden zur funktionalen Erweiterung des Körpers: Licht, wo immer es dunkel ist, ein Abzug, wo immer man gerade kocht und sitzen, wann immer man es braucht. Beispielsweise auf dem Hocker House von Mu Hau Kao, einem hölzernen T-Profil mit diskreter Sitzfläche und prominentem Griff, einer erschlankten und professionalisierten Sitzinterpretation des leeren Bierkastens.
Charaktermöbel
Jetzt, wo das gute Aussehen der Dinge nur noch eine nachrangige Rolle spielt, sind die inneren Werte auf dem Vormarsch. Es geht nicht mehr um die distanzierte, ätherische Schönheit eines Produktes, sondern um seinen Charakter: Es wird gebraucht, nicht verbraucht. Materialien und Technologien spielen in der Auseinandersetzung mit einem Objekt eine vorrangige Rolle. Bastian Thürich nimmt die Ressourcenknappheit und die schädlichen Inhaltsstoffe einer herkömmlichen Batterie zum Anlass, um eine Leuchte zu entwerfen, die lediglich durch Kupfer, Magnesium und Salz betrieben wird. Salt braucht keine Seltenerdmetalle und gesundheitsschädliche Säuren und generiert ihren Strom selbst. Alice Guidi besinnt sich aufs Pappmaché, um daraus schalldämmende Fliesen zu machen. Papier, das sonst auf der Deponie landen würde, wird zum Zuschlag eines Keramikschaums und reduziert den Porzellaneinsatz. Ein Bastelmaterial zur Grundlage eines Entwurfes zu machen – das ist vor einigen Jahren bei Studio Job und ihrem Paper Cabinet noch herausfordernder und humorvoller ausgefallen. Heute ist die Vernunft Vater eines jeden Entwurfs – selbst dann, wenn das Ergebnis nach Handwerk aus der Garagenwerkstatt aussieht.
Nicht gekommen, um zu bleiben
Durch archaische Formen und naturbelassene Oberflächen kommunizieren viele der Entwürfe ihre inneren Werte an den Nutzer. Da wird nichts mehr lackiert, sondern höchstens mal lasiert und die schnell wachsenden Fichten und Kiefern – die wegen ihres Status als favorisierte Hölzer eines schwedischen Möbelhauses im High-End-Sektor lange nichts zu suchen hatten – sind jetzt wieder überall zu finden. Die Bench Gang von Christian Cowper, ein Bankentrio mit schrägen Beinen und bunten Füßen, setzt auf Kiefernholz und eine massive Silhouette mit spielerischem Moment. Die Möbel wirken wie eine Herde Tiere auf Wanderschaft. Auch sie sind nicht gekommen, um zu bleiben. Die Askese, die man auf dieser imm cologne auch bei den etablierten Herstellern fand, wird von den jungen Designern kaum gebrochen. Überall stehen Möbel auf filigranen Beinchen, verharren in der Schwebe und sehen so aus, als würden sie in unserem Leben nicht wirklich landen wollen. Glaubt man der jungen Generation, ist vorerst eines beständig: formale Befangenheit.
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