LivingKitchen 2019: Auf Messers Schneide
Die Kölner Küchenmesse steckt in der Krise. Eine Nachlese.

Die Kölner Küchenmesse steckt in der Krise. Erst flatterte eine Absage nach der anderen ins Haus. Und dann enttäuschten die Hersteller, die gekommen waren. Unser Fazit: Steuert die LivingKitchen nicht gegen, droht das Aus.
Eigentlich ist Deutschland Küchenland. Hier gibt es Küchenmöbelhersteller wie bulthaup, Poggenpohl und Siematic. Und Elektrogerätehersteller, die Big Player der Branche sind – Miele, Bosch und Siemens beispielsweise. Da würde man eigentlich erwarten, dass die LivingKitchen eine Pflichtveranstaltung sein müsste, sieht sich die Messe doch selbst „als weltweit größtes Küchenevent mit einer eindrucksvollen Entwicklung“. Doch vor Ort präsentierte sich dem Besucher ein ganz anderes Bild: Zwischen meist mittelklassigen Küchenmöbel-, Elektrogeräte- und Materialherstellern musste man die design- und technikaffinen Aussteller wie Alpes Inox, Bora und next125 fast mit der Lupe suchen.
Die Entdeckung der Nische
Das einzig Gute an der prekären Situation: Lichten sich die Reihen, wird Platz gemacht für Hersteller, die im Nischenbereich operieren und zuweilen erstmals zur LivingKitchen gekommen waren. Platz für Entdeckungen also. Da wäre beispielsweise Bax, eine 1890 gegründete kleine Manufaktur aus Detmold mit rund 55 Mitarbeitern, die maßgefertigte Küchen „in Tischlerqualität herstellt“, wie Sales Manager Robert Woelk am Messestand erklärte. Seit sieben Jahren stellt das Unternehmen seine Produkte auf der area30 in Ostwestfalen aus, mit der Teilnahme an der LivingKitchen hofft man auf ein internationales Publikum.
Doch gerade für einen kleinen Küchenhersteller wie Bax, der seine Produkte nicht auf der Großfläche, sondern in Küchenstudios verkauft, ist die Kölner Messe ein finanzieller und auch personeller Kraftakt. Wohl auch deshalb hatte man sich mit dem Elektrogerätehersteller Küppersbusch und dem Steinspezialisten Strasser Steine an einem Gemeinschaftsstand zusammengetan. Die Österreicher beschäftigen einen eigenen Stein-Scout, der in Steinbrüchen auf der ganzen Welt auf Entdeckungsreise geht. Letztes Jahr ist er in Osttirol fündig geworden und hat einen Naturstein in sattem Grün entdeckt (Alpengrün) und außerdem mit Oriental Blue einen Stein mit irisierenden, blauen Einschlüssen.
Fass!Mich!An!
Naturstein oder naturstein-imitierende Materialien waren auf der Messe überall zu sehen – bei Herstellern wie Sapienstone, Iris Ceramica und Florim Stone, die teilweise ganze Kücheninseln aus dem Material aufgebaut hatten. Das andere Material der Stunde ist eindeutig Holz, das ebenso über große haptische Qualitäten verfügt. Am attraktiv gestalteten Messestand von next125 waren grifflose Fronten aus Tannenholz zu sehen, die ganz dem Scandi-Look frönen und die der insbesondere in Deutschland beliebten weißen Küche durchaus Konkurrenz machen. Bei Team7 steht Eiche eindeutig an erster Stelle der Verkäufe, vor Kernbuche und Nussbaum. Doch weil der Einkaufspreis für Eichenholz aus Europa um 30 Prozent gestiegen ist, wollen die Österreicher die Nachfrage nach anderen Hölzern ankurbeln. Deshalb war in Köln das Küchenmodell Linee im Achtzigerjahre-Liebling Kirschbaumholz zu sehen. Der Trend zum Massivholz macht übrigens auch vor dem Korpus nicht halt, wie ein Mitarbeiter von Bax erzählte.
Kochende Hybride
Edelstahl ist ein weiteres Material, das nicht wegzudenken ist aus der Küche. Während die Italiener von Alpes Inox ihre Küchenmodule am Messestand mit Wandelementen kombinierten, die mit farbenfrohen Wax-Stoffen bespannt waren, hielt sich Ilve nicht mit Dekoration auf, sondern präsentierte gleich mehrere Neuheiten. Die italienische Edelstahlmanufaktur hat zusammen mit dem Designbüro Emo den Siebzigerjahre-Herd Panoramagic überarbeitet, der auf der LivingKitchen 2017 noch als Prototyp vorgestellt und nun zur Serienreife gebracht wurde. Ebenfalls sehr luxuriös ist ein anderes Produkt von Ilve: der von Profiküchen inspirierte Kochturm Colonna Stellata – eine Kombination aus Heißluftofen, Dampfgarer und Mikrowelle.
Lichtblicke & Lückenfüller
Nicht zu übersehen waren die vielen Freiflächen in den Küchenhallen, die die Messe für eigene Formate nutzte. So gab es erstmals eine Ausstellung nur mit Küchenentwürfen innerhalb des Pure Talents Contest. Ausgestellt waren tragbare Dunstabzüge (The Portable Kitchen Hood von Maxime Augay), ein Reinigungsset aus dem nachwachsenden Rohstoff Luffa (Rebrush von Jingbei Zheng) und eine formschöne Kompaktküche (SPL 3650 von Peter Sorg). Gleich nebenan hatte sich Alfredo Häberli Gedanken gemacht über die Küche der Zukunft. Sein Konzept Future Design erschloss sich dem Besucher allerdings erst auf dem zweiten Blick.
Was man sah, waren grüne Trennwände, ein schöner Ziegelboden, ein paar Designklassiker, Schlafsäcke und ein Dixi-Klo. Erst als man die bereitgestellten Tablets in die Hand nahm, erschloss sich seine Idee einer nachhaltigen Küche. „Ich möchte die Leute irritieren“, sagte der Schweizer Designer und betonte, dass es ihm nicht darum gegangen sei, eine „echte“ Küche aufzubauen oder gar eine Alfredo-Häberli-Schau zu gestalten. Und so war hier alles, was mit Küche zu tun hatte, nur als Virtuelle Realität zu sehen, was dem haptischen Erlebnis Küche irgendwie zuwider lief. Der Kühlschrank aus Glas, der in Arbeitshöhe angebracht ist und dessen überflüssige Energie für eine Wärmeplatte genutzt wird – ist jedenfalls noch Zukunftsmusik.
Gestalterische Geistesblitze
Versuchte sich das Gros der Hersteller in regelrechten Materialschlachten und Variationen der immer gleichen Gestaltungsmittel, gehen Bora und Blanco unbeirrt ihren eigenen Weg. Bora zeigte mit Pure einen Kochfeldabzug, bei dem der Umluftfilter kurzerhand durch die Einströmdüse – die es in sechs verschiedenen Farben gibt – entnommen werden kann. Großes Gedränge herrschte auch am Messestand von Blanco, der in verschiedene Themenkojen unterteilt war. Der baden-württembergische Hersteller zeigte gestalterische Geistesblitze wie die neue Silgranit-Farbe Beton Style, ein dekoratives Schneidbrett im Landhaus-Look und mit Blanco Sity XL 6 S ein Spülbecken aus Silgranit PuraDur, das mit farbigem Zubehör sowie der Armatur Blanco Viu-S ausgestattet werden kann. Hier lässt sich der Schlauch kurzerhand austauschen und farblich anpassen. Einen funktionalen Mehrwert bietet Blanco Evol-S Volume, eine Armatur mit Messbecherfunktion. Einfach per Drehrad die benötigte Menge wählen, anschließend das seitlich angebrachte, sensorbasierte Steuerelement betätigen und die gewünschte Dosis Wasser wird geliefert.
Bist du noch zu retten, Köln?
Was ist bloß mit der Küche los? – Das fragte man sich unwillkürlich beim Durchstreifen der Messehallen. Eigentlich erzählt einem doch jeder, dass die Küche boomt. Dass sie der Mittelpunkt des Wohnens ist. Dass sie neben dem Badezimmer der teuerste Raum des Hauses ist. Dass gerade in der Küche gestalterische und technische Innovationen stattfinden. Warum davon auf der LivingKitchen so wenig zu sehen war, darüber lässt sich nur spekulieren. Zum einen sicherlich, weil die Treiber der Branche schlichtweg nicht anwesend waren. Fakt ist auch, dass sich die klassische Küche auflöst, indem sie in den Wohnraum übergeht. Gerade die Zielgruppe unter 30 Jahren ist aber nicht mehr interessiert an massiven Küchenblöcken und Einbauküchen, sie wollen es mobil und flexibel und sind nicht mehr bereit, Unsummen für eine Küche auszugeben.
Alternative Wege
Es scheint, dass kaum ein Küchenhersteller über die sich wandelnde Bedeutung der Küche reflektiert, geschweige denn in neue Produkte umsetzt. Die Folge sind Küchen, die sich kaum noch voneinander unterscheiden, egal in welcher Preisklasse. Dabei kann es funktionieren, wie das junge Label Grillzimmer zeigt. Michael Hofmann, der in Köln mit Big Green Egg kooperierte, fertigt ausschließlich individuelle Outdoorküchen und ist damit auf eine Marktlücke gestoßen. Erst zwei Jahre im Geschäft, „läuft es super“, wie er sagt. Und dann wäre da noch das klassische Messemodell, das längst ausgedient hat. Zu teuer, zu unflexibel, zu wenig an den einzelnen Hersteller angepasst. Irgendeine Veranstaltung muss dabei auf der Strecke bleiben. Im Moment sieht es so aus, als wenn es die LivingKitchen wäre.
Mehr Stories
Best-of Eurocucina 2022
Küchenneuheiten aus Mailand

Salone del Mobile 2022
Unsere Highlights aus Mailand

Von der Fläche in den Raum
Formholzmöbel feiern ein Comeback bei Thonet

Die Welt als Bühne
Design-Ausstellung über Aldo Rossi in Mailand

Arbeitsräume der Zukunft
Brunner stellt die Onlineplattform Future Works vor

Mission Nachhaltigkeit
Über Nachhaltigkeit und zirkuläres Wirtschaften bei GROHE

Best-of Maison & Objet 2022
Die Neuheiten der Pariser Einrichtungsmesse

Best-of Küchen 2022
Küchenmöbel, Elektrogeräte & Materialien

Best-of Tableware 2022
Service, Gläser, Küchenutensilien, Vasen & Accessoires

Diven mit Tiefgang
Die Trends der Keramikmesse Cersaie 2021

3 Days of Design 2021
Die Highlights aus Kopenhagen

Zeitloser Funktionalismus
Mid-Century in der zeitgenössischen Innenarchitektur

Supersalone 2021
Die Highlights aus Mailand

Maßstab Mensch
Rückblick auf unsere Veranstaltung zu Themen der Innenarchitektur

Die Raumausstatter
Tischlerei- und Studiobesuch bei Der Raum in Weißensee

Best-of Tableware 2021
Was in diesem Jahr auf unseren Tisch und in die Küche kommt

Renaissance der Schalter
Zukunftsgerichtete Gebäudetechnik jenseits des Smart Home

Marmor, Stein und Eisen
Naturstein in der Küche

Best-of Salone del Mobile
Eine stille Retrospektive auf die Mailänder Möbelmesse

Best-of Küchen 2021
Die Küche als Über-Raum

Material der Wahl
Vier Designstudios und ihre aktuellen Werkstofffavoriten

Metallische Metamorphosen
Interiors mit Aluminium, Stahl & Co

Fliese, Fliese an der Wand
Fünf Designstudios stellen ihre Lieblingsfliese vor

Neustart in Mailand
Streifzug durch die Milano Design City 2020

German Design Graduates 2020
Award geht in die zweite Runde

Der schnelle Biss
Wie das Essen an Mobilität und Geschwindigkeit gewann

Salone del Mobile 2020 wird verschoben
Mailänder Möbelmesse findet im Juni statt

Ambiente 2020
Eine Nachlese von der Frankfurter Konsumgütermesse

Liebe und Handwerk
Zu Besuch im Werk von bulthaup

Ambiente 2019: Best-of Tableware & Accessoires
Nichts für Downsizer und Marie-Kondo-Fans: die schönsten Fundstücke von der Frankfurter Konsumgütermesse.
