LivingKitchen 2015: Das Geschäft der anderen
„Krisenzeiten sind Küchenzeiten!“ Die Küche feiert ein rauschendes Comeback in Köln.
Einfälle, Reinfälle, Ausfälle – so lautet das Fazit der dritten Ausgabe der Kölner Küchenmesse LivingKitchen. Rund 200 Hersteller aus den Bereichen Küchenmöbel, Elektrogeräte, Spülbecken, Armaturen und Zubehör präsentierten sich in drei gut besuchten Messehallen. Mit im Gepäck: neue Produkte, Küchenkonzepte und Unternehmensstrategien.
Neben der Mailänder Messe Eurocucina ist die LivingKitchen ein wichtiges Konjunkturbarometer der Branche. Nach einem für die deutsche Küchenindustrie stagnierenden Jahr 2013 mit einem Gesamtumsatz von 10,04 Milliarden Euro könnte es 2014 besser gelaufen sein. In den ersten sechs Monaten des letzten Jahres ist der Umsatz um 3,09 Prozent gestiegen, wobei das Plus vorwiegend aus dem Inlandsgeschäft resultiert, wie der Vorsitzende des Verbands der Deutschen Küchenmöbelindustrie (VdDK), Stefan Waldenmaier berichtet. Die anhaltende Wirtschaftskrise macht vor allem den südeuropäischen Herstellern zu schaffen, für die der heimische Markt nahezu komplett weggebrochen ist. Doch es gibt Grund zur Hoffnung: Die Exporte der italienischen Hersteller sind beispielsweise um knapp sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Neben den Emerging Markets China und Indien machen Trendforscher die sogenannten Best Ager als einzige wachsende Zielgruppe in den entwickelten Ländern aus. Die Generation 50 Plus ist konsumgewohnt, technologisch bewandert und kaufkräftig – Argumente, die für einen Küchenkauf im gehobenen Segment sprechen können.
In Bewegung
Diese kaufkräftige Zielgruppe fest im Blick hat auch ein Großteil der Hersteller, die nach Köln gekommen waren. Die dort vorgestellten Produkte sind Gradmesser dafür, was gerade en vogue ist im Küchendesign. Neben übergreifenden Themen wie Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Individualisierung und Vernetzung ist das vor allem das exakt aufeinander abgestimmte Zusammenspiel von Küchenmöbeln, Elektrogeräten, Spülbecken, Armaturen und Zubehör. Das hat damit zu tun, dass die Küche – zumindest nach den Vorstellungen der Hersteller – das neue Wohnzimmer ist. Dadurch gerät das ganze Haus in seiner bisherigen Form in Bewegung. Fest definierte Raumfunktionen lösen sich auf und werden durch flexibel genutzte Raumzonen ersetzt. Das hat Auswirkungen auf Funktion, Form, Materialität und Farbe aller Produktkategorien.
Ein Beispiel sind die Elektrogeräte, die sich architektonisch in das Wohnumfeld einfügen und sich „weg vom Werkzeug, hin zum Möbel“ entwickeln, wie Robert Sachon, Chefdesigner von Bosch Hausgeräte, sagt. Dazu gehört neben der stringenten Gestaltung aller Geräte insbesondere der Einsatz von Farbe – wie bei den Kühlschränken von Gorenje und Bosch im Retrolook, aber auch beim Meisterstück von Küppersbusch zu sehen war, das jetzt in Knallrot erhältlich ist. Villeroy & Boch zeigte eine Farbstudie der Designerin Gesa Hansen, die das Spülbecken künftig in knalliges Gelb (Sunrise) und Mitternachtsblau (Midnight) getaucht sehen will, während Blanco auf die elegante Ton-in-Ton-Kombination von Spülen aus Silgranit PuraDur und Bi-Color-Armaturen wie Blanco Carena setzt. Der deutsche Küchenmöbelhersteller Leicht übt sich wie Blanco in farblicher Zurückhaltung: Maximal zwei miteinander kombinierte Farben beziehungsweise Materialien kommen hier zum Einsatz, so dass die Küche immer klar und strukturiert gestaltet ist. Deshalb verschwinden die Regale gern auch hinter einer Aufsatzschiebetür (Synthia in der neuen Front Topos Esche Madeira) oder werden von einer elektrisch steuerbaren Lamellenwand verdeckt.
Krise? Küche!
Für einige Hersteller auf der LivingKitchen ist das exakt aufeinander abgestimmte Zusammenspiel der verschiedenen Elemente aber erst der Anfang. Sie überdenken ihre gesamte Unternehmensstrategie und erweitern das Spektrum der Möglichkeiten. Weil der Kunde beim Kauf einer Küche deutlich mehr Geld für die Elektrogeräte als für die Küchenmöbel ausgibt, wagen sich die Küchenmöbelhersteller Häcker und Schüller in den Gerätebereich. Vereint man beide Geschäftsfelder unter einem Dach, bleibt nicht nur die gesamte Marge im selben Unternehmen. Auch der Einfluss auf das Design der Elektrogeräte wächst, was bei Häcker bereits zu sehen ist. Das inhabergeführte Familienunternehmen, das 2014 ein sattes Umsatzplus verbuchte, hat die Markenrechte für die Kücheneinbaugeräte von Blaupunkt gekauft und die von BSH produzierten Elektrogeräte mit denselben Griffen wie bei den Küchenmöbeln versehen. So ergibt sich ein visuell einheitliches Bild. Schüller indes setzt auf eine exklusive Komplettvermarktung, indem die Küchenmöbelserie schüller.C Collection mit 66 verschiedenen Elektrogeräten von Juno (Electrolux) angeboten wird. Ein Experimentierfeld bleibt diese Strategie allemal und es wird sich zeigen, ob der Kunde sich einlässt auf diese „Bevormundung“ durch den Hersteller.
Doch schaute man sich dieser Tage in Köln um, verwunderte einen gar nichts mehr. Jeder scheint im Feld des anderen zu wildern, wobei die Küchenindustrie an diesem Trend nicht ganz unschuldig ist. Schließlich war sie es, die mit Sideboards, Regalsystemen, Tischen und Stühlen den klassischen Möbelherstellern den Kampf angesagt hatte. Auch in Köln war die Ausweitung des Sortiments in Richtung Wohnraum bei den meisten Küchenmöbelherstellern zu sehen: Warendorf stellte ein Regalsystem vor, das auf Gehrung gearbeitet und ohne Aufpreis in allen NCS-Farben erhältlich ist, Siematic überraschte mit dem Solitärmöbel SieMatic 29 von Kinzo, das einem klassischen Küchenbuffet ähnelt, aber als vollwertige Küchenzeile dienen kann, Ernestomeda stellt die Küchendeko auf Glas-Tablare und der schwarze Küchenblock Designline Black by Supergrau von Nomad Kitchen soll rollend das Wohnzimmer erobern. Den Vogel in Sachen erweiterte Küchenplanung aber hat Nolte abgeschossen. Außerhalb der Messe präsentierte der deutsche Hersteller – bisher eher bekannt für biederes Design – das von Mike Meiré ersonnene Konzept nolte neo. Es ergänzt die Küche um einen Kamin, eine illuminierte Vitrine und eine Bibliothek. Fragt sich nur, was Nolte damit vorhat: neue Zielgruppen erobern oder sich ins Gespräch bringen mit Küchentools, die andere Hersteller schon längst im Portfolio haben?
So viel aufgeplustertes Marketing braucht glücklicherweise nicht, wer eine klare eigene Linie fährt und sowieso schon in beiden Welten zuhause ist. Team 7 und Riva 1920 beispielsweise bedienen seit langem die Bereiche Küchenmöbel sowie das klassische Möbelsortiment. Während der italienische Hersteller mit dem robusten Taschentürenschrank Cambusa Small, der Küche La Cucina von Matteo Thun und einer Hockerserie für Furore sorgte, hatte Team 7 mit Nox eine bequem gepolsterte (Eck-)Bank im Gepäck. Der Küchenbereich des österreichischen Herstellers entwickelt sich zu einer eigenen Division mit Wachstumsraten im zweistelligen Bereich, wie der geschäftsführende Eigentümer Georg Emprechtinger berichtet. Die Nische Holz wird von Team 7 ebenfalls im Küchenbereich besetzt, auch wenn inzwischen viele Hersteller das Feld beackern. Allerdings kaum so konsequent wie bei den Österreichern, denn hier wird jede Küche maßgefertigt – aus Massivholz, selbst bei den Korpussen.
Während die Küchenmöbelhersteller seit einigen Jahren der klassischen Möbelindustrie zu schaffen machen, droht nun auch ihnen Konkurrenz. Denn nachdem der Küchenzubehörhersteller Naber seit 2011 mit der modular angelegten Concept Kitchen von Kilian Schindler das (Großstadt-)Publikum zu erobern versucht, macht es ihm nun der Möbel- und Baubeschlägehersteller Häfele nach und bringt mit seinen Meistermöbeln eine etwas konservativere Küchenmöbelversion auf den Markt: mit Kücheninsel, Highboard und Küchenzeile. Und auch die klassischen Elektrogerätehersteller müssen sich einstellen auf Gegenwind. Neben Samsung drängt nun auch der japanische Unterhaltungsriese Panasonic auf den Markt und bedroht deutsche Platzhirsche wie Bosch, Siemens, Bauknecht und Miele. Panasonic stellte in Köln erstmals eine komplette Linie von Einbauelektrogeräten für die Küche vor, wobei insbesondere das gradgenau einstellbare Induktionskochfeld sowie das 3-in-1-Gerät (Dampfgarer, Mikrowelle und Backofen) samt Wärmeschublade hervorstachen.
Überraschungen
Neben Quereinsteigern waren es vor allem die kleinen Hersteller mit Manufaktur-Anspruch, die in Köln für ein Aha-Erlebnis sorgten. Vielleicht deshalb, weil sich in den oft familiengeführten Kleinbetrieben Ideen schneller umsetzen lassen – insbesondere was die Gestaltung angeht. Die Tischlerei Sommer beispielsweise stellte neben dem Kochtisch K 13 eine weitere handwerkliche Trouvaille vor: einen Esstisch aus Eisbuche mit einer feinen schwarzen Maserung, die durch einen künstlich in Gang gesetzten Fäulnisprozess entstanden ist. Handwerk in höchster Vollendung war auch bei Eggersmann zu sehen. Die Westfalen preschen mutig vor und orakeln das Ende der Wohnküche. Stattdessen will man den ambitionierten Hobbykoch wieder in einer Werkstattküche à la Otl Aicher sehen, die klar vom Wohnzimmer abgetrennt ist. Dabei muss der kaufkräftige Konsument natürlich trotzdem nicht auf Luxus verzichten – es locken ein drehbares Schranksystem mit Spionglasfront und indirekter Beleuchtung (Turn System), elektrisch höhenverstellbare Arbeitsplatten, edle Oberflächen aus Quarzit (Taj Mahal) und dem fingerabdruckfreien Vollkernmaterial Fenix NTM. Und während Walter Wendel ein paar Schritte weiter mit einem sechs Meter langen, maßgefertigten Küchenblock auf die Kombination von Beton und Mooreiche setzte, hat sich Jokodomus dem Metzgerblock verschrieben – seit den sechziger Jahren schon. Daraus hat der Südtiroler Familienbetrieb das modular aufgebaute Küchensystem Cunkitchen entwickelt – eine der Entdeckungen der Messe. Ebenso wie eine mit Taschentüren verschließbare Komplettküche vom kroatischen Hersteller Inkea und eine Küche für Vegetarier, die sich Vooking nennt und den etablierten Herstellern viel Stoff für Diskussionen bietet.
Trautes Heim
Auch wenn namhafte Hersteller wie Poggenpohl, Electrolux und Schock nicht dabei waren in Köln und man sich mehr italienische Design-I-Tüpfelchen gewünscht hätte: Mehr als sechzig neue Hersteller im Vergleich zur Messeausgabe 2013 verzeichnete die LivingKitchen. Dass die Kölner Küchenmöbelmesse gegenüber Mailand aufgeholt hat, ist vor allem der Stärke der deutschen Hersteller und der stabilen Inlandsnachfrage zu verdanken. Gleichzeitig sorgen Hersteller wie Miele, Küppersbusch und Blanco vor und entwickeln Produkte für Emerging Markets wie China und Indien. „Krisenzeiten sind Küchenzeiten“, sagt Stefan Waldenmaier, Geschäftsführer von Leicht Küchen und Vorsitzender des Verbands der deutschen Küchenmöbelindustrie. Denn wenn die Zinsen gegen Null streben, gibt der Konsument sein Geld lieber sinnvoll aus. Und zieht sich zurück ins traute Heim, am liebsten in den wohligen Kokon der Küche.
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