LivingKitchen 2017: Das Küchen-Burnout
Ob die Branche ihre lockenden Versprechen umgesetzt hat oder ob es bei Luftblasen geblieben ist, erfahren Sie in unserer Nachlese zur Küchenmesse in Köln.
Die Hallen der Küchenmesse waren voll. Nur leider nicht mit Ideen. Statt mit gestalterischen und technischen Highlights zu überraschen, schienen sich die Hersteller abgesprochen zu haben. Denn fast überall ergingen sie sich in Variationen: von bereits existierenden Produkten, Materialien, Farben, Zusammenstellungen. Wir haben in Köln dennoch einige Rettungsanker entdeckt.
Es sind gute Voraussetzungen für die Küchenbranche, jedenfalls im Vergleich mit den Kollegen aus dem Möbelbereich. Die Baubranche boomt und wo ein Haus ist, ist immer auch eine Küche. Und die wird durch das Zusammenlegen mit dem Wohnzimmer immer größer – zumindest in Neubauten.
Küche klettert, Küche kentert
Zwischen 2011 und 2015 hat sich der Durchschnittspreis pro verkaufter Küche von 5.651 auf 6.439 Euro erhöht – die Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche (AMK) erwartet, dass sich dieser Aufwärtstrend fortsetzt. Schon 2016 ist der Umsatz der Küchenmöbelhersteller laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) um 6,9 Prozent gestiegen. So ist es keine Überraschung, dass auch die Zahlen der LivingKitchen ziemlich gut aussehen: Über 200 Hersteller von Küchenmöbeln, Einbaugeräten, Spülen und Zubehör sind dieses Jahr nach Köln gekommen. Darunter viele designaffine, italienische Hersteller wie Ernestomeda, Valcucine, Scavolini, Alpes Inox, Aran. Einige Hersteller indes haben Köln den Rücken gekehrt, darunter beispielsweise Eggersmann, Siematic, Rational, Franke und Falcon.
Küchenkakofonie
Trotz guter Zahlen: Schon auf der Mailänder Konkurrenzküchenmesse Eurocucina wurde man letzten April das Gefühl nicht los, dass das Thema Küche nicht endlos fortgesponnen werden kann. Unwillkürlich stand bereits damals die Frage im Raum, wohin die Reise geht. Ist mit der in Endlosschleife propagierten Wohnküche das Ende schon erreicht? Oder steht längst das nächste Schreckgespenst an der (Küchen-)Tür: der mit technischen Gadgets vollgestopfte Küchenraum, der – so der Wunschtraum vieler Hersteller – wenn schon nicht im Smart Home, dann doch wenigstens in der Smart Kitchen mündet. Doch noch scheint die vernetzte Küche in weiter Ferne zu liegen. Fragt man spontan in die durchaus technikaffine Runde, begeistert sich nämlich kaum jemand für Kühlschränke mit eingebauten Kameras (damit ich im Supermarkt über mein Smartphone nachsehen kann, ob es noch genug Milch und Butter gibt) oder sprechende Küchenhelfer mit putzigen Namen (die mir helfen sollen, das Apfelstrudelrezept von Mama umzusetzen). Auch laut Untersuchungen der GfK ist der Smart Home-Markt derzeit noch weit entfernt davon, ein Massenmarkt zu sein. Wenn schon smarte Hausgeräte, dann sind es vor allem Waschmaschinen und Kühlgeräte.
Neverending Kitchen
„Die Küche und das Wohnzimmer verschmelzen miteinander“: Kaum ein Satz war in den letzten Jahren so oft zu lesen wie dieser. Er ist geradezu zum Mantra der Hersteller geworden. Kein Wunder, denn so lässt sich das Thema Küche richtig gut vermarkten. Und Geld verdienen kann man damit auch. Denn werden Küche und Wohnzimmer eins, verändert sich vor allem die Optik der Möbel und Einbaugeräte. Und so kommt es, dass Küchenmöbelhersteller plötzlich Wohnzimmerschränke, Tische und Stühle bauen. Auch die Elektrogerätehersteller springen mit auf den Gestaltungszug: Sie vereinheitlichen den Look ihrer Kollektionen, damit alles ins Küchen-Wohn-Ensemble passt. Alles schick, alles schön – könnte man sagen. Aber auch ein wenig zu perfekt.
Kitchen Stories
Um der Langeweile zu entkommen, musste man in Köln schon ziemlich genau hinschauen. Es waren kleine, aber clevere Lösungen, die ins Auge fielen. Dinge und Ideen, die das Küchenleben einfacher machen und im besten Fall echten Zusatznutzen bringen. Blanco beispielsweise hatte mit Blanco Etagon ein Produkt im Gepäck, das durch eine innenlaufende Schiene und das Einhängen von Zusatztools aus dem schnöden Spülbecken kurzerhand einen mehrstöckigen Arbeitsplatz macht. Praktisch ist auch die Vorfenster-Armatur Blanco Laressa-F, die sich ruckzuck nach vorn abknicken lässt – für freie Sicht durchs Fenster. Gestalterisch machte das baden-württembergische Unternehmen mit Blanco Artago auf sich aufmerksam. Das Spülbecken vereint zwei gegensätzliche Geometrien, den Kreis und das Quadrat. Das runde Becken gibt es in zwei Varianten: in einer Materialkombination mit SteelFrame-Rahmen oder komplett aus Silgranit PuraDur mit einer Außenkontur mit filigranem Wellenkamm. Ins Küchenspülbeckengeschäft ist übrigens auch Hansgrohe eingestiegen. Gleich fünfzehn verschiedene Edelstahlstücke hat Phoenix Design für die Schwarzwälder entworfen, die allerdings von einem externen europäischen Hersteller gefertigt werden, wie es am Messestand hieß.
Gesehen werden
Aufmerksamkeit generieren, die eigene Marke stärken – das ist das Gebot der Stunde, wie auch bei Leicht zu sehen war. Das deutsche Küchenunternehmen hat einen Coup gelandet und darf als einziger Küchenhersteller für die nächsten drei Jahre die Farben Le Corbusiers verwenden. Fünfzehn verschiedene, meist erdige und natürliche Töne, um genau zu sein – für die Fronten- und Nischengestaltung. Das Motto des Messestands war deshalb ganz der Farben des Meisters gewidmet und Architektin Ulrike Kolb, verantwortlich für die Gestaltung des Messestands, hatte ganze Arbeit geleistet. Ergänzend zu den in Les Couleurs Le Corbusier gehaltenen Küchenmöbeln hatte sie nämlich die dekorierenden Accessoires farblich passend eingefärbt, kontrastiert durch eine schwarze Wandgestaltung.
Farbe, Farbe, Farbe!
Auch wenn noch immer Weiß als meistverkaufte Küchenmöbelfarbe zumindest in Europa keiner den Rang ablaufen wird, war Farbe das große Thema der LivingKitchen. Zumindest waren die Messestände vieler Hersteller ausgesprochen farbintensiv gehalten. Was für ein Eyecatcher Farbe sein kann, welche raumbildende Qualität sie mitunter ausbilden kann, zeigte Stadler Manufaktur. Rahmen in knalligem Pink lenkten den Blick geschickt auf die Küchenmöbel der Österreicher, die erstmals in Köln dabei waren. „Die Einbauküche ist überholt“, davon ist Robert Stadler überzeugt. Der Chef der 1936 von seinem Großvater gegründeten Tischlerei und dazugehörigen Manufaktur setzt stattdessen auf einhundertprozentige Maßvariabilität in Form von freistehenden Modulen. Einige Hersteller sind übrigens echte Farbspezialisten. Während die freistehenden Herde von Ilve in allen RAL-Farben zu haben sind, kann Warendorf in der eigenen Lackiererei sämtliche RAL- und auch NCS-Töne herstellen. Auch Allmilmö lackiert noch selbst, anders wären die wellenartigen, ausgefrästen MDF-Fronten Fine Line und Conturo auch nicht zu produzieren. Wo Farbe ist, sind Dekore nicht weit. Das war exemplarisch bei Lechner zu sehen, einem Spezialisten für Arbeitsplatten und Rückwände. Hier gibt es Laminatmotive in täuschend echter Metall-, Holz und Steinoptik, kann satiniertes Glas mit eigenen Fotomotiven bedruckt werden.
Kitchen (im)possible
Farben-, Muster- und Oberflächenspiele, gestalterische I-Tüpfelchen und kleine technische Verbesserungen sind Details, doch wohin geht die große (Küchen-)Reise? In Köln kam uns der Verdacht, dass es die Hersteller selbst nicht so richtig wissen. Denn bis auf wenige Ausnahmen wagten sie außer Variationen – nichts. Und hoffen stattdessen nach der Einnahme des Wohnzimmers auf die Eroberung des nächsten Raums. „Die Küche entwickelt sich vom Arbeitsraum zum Lebensraum und wird wahrscheinlich bald zum Home Office“, mutmaßt Roland Hagenbucher, Geschäftsführer von Siemens Hausgeräte. Mal sehen, was die Büromöbelhersteller dazu sagen.
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