Stories

Extremer Genuss

Kalkulierte Diät: Ausstellung über die Verpflegung von Soldaten und Astronauten. 

von Noman Kietzmann, 10.02.2015

Sie umkreisen die Erde in 400 Kilometern Höhe oder befinden sich gerade inmitten eines Kampfeinsatzes? Dann liegt der Besuch eines Supermarkts oder Restaurants in weiter Ferne. Bei Hunger in solchen Situationen schaffen spezielle Verpflegungspakete Abhilfe, die von den Raumfahrtbehörden und Militärs zusammengestellt werden. Dass dabei nationale Esskulturen ebenso eine Rolle spielen wie die Gestaltung, zeigt die Ausstellung Razione K in der Mailänder Triennale.

Beim Thema Essen scheiden sich die Geister. Das gilt selbst an der Front. Auch wenn die Nationen bei Friedenseinsätzen längst zusammenstehen, werden bei der Verpflegung nach wie vor eigene Wege beschritten. Einmannpackung (abgekürzt EPa) heißen die Verpflegungspakete, die die Bundeswehr ihren Soldaten bei Auslandseinsätzen mit auf den Weg gibt. Was sich darin befindet: 27 Lebensmittel – von Fertigmahlzeiten wie Kartoffelgulasch oder Ravioli in Tomatensauce über Dosenbrot, Wurst, Streichkäse, Marmelade bis hin zu Schokolade, Kaugummis und Streichhölzern. 3.400 Kilokalorien enthält ein Paket, mit dem sich ein Soldat für mindestens einen Tag ernähren soll.

Neutralisierte Verpackungen
Bei der Zusammensetzung der „Menüs“ spielen geschmackliche Vorlieben ebenso eine Rolle wie religiöse Regeln. Allein schon deswegen gleicht kein Nationen-Paket dem anderen. Beim Großteil der Speisen handelt es sich um handelsübliche Produkte, die ohne Kühlschrank für mindestens dreieinhalb Jahre haltbar sein müssen. Während Staaten wie Großbritannien, Frankreich oder Israel die Mehrzahl der Speisen in ihren bunten Originalverpackungen belassen, hüllen Neuseeland, Spanien oder die USA sämtliche Komponenten in eine grün-beige Tarnfarbe. Nur ein kleiner, sachlicher Aufdruck verrät den Inhalt der neutralisierten Verpackungen – was unter schummrigen Lichtbedingungen zu Überraschungen führen kann.

Gestaltung für Extremsituationen
Die Pakete aus kultureller wie gestalterischer Perspektive gleichermaßen unter die Lupe zu nehmen, gelingt der von Giulio Iacchetti kuratierte Ausstellung Razione K an der Mailänder Triennale. Während sich die Stadt für die im Mai eröffnende Expo 2015 herausputzt, markiert die Schau einen unkonventionellen wie stimmigen Vorgeschmack. Schließlich dreht sich bei der Großveranstaltung alles um die Zukunft des Essens. „Die Verpflegungsrationen sind eine massengefertigte Ernährung im industriellen Maßstab, wofür Aspekte wie Einfachheit und Funktionalität aufs Essen übertragen werden, die im Design bereits für die verschiedensten Lebensbereiche durchdacht wurden“, erklärt die Direktorin des Triennale Design Museums, Silvana Annicchiarico. 

Effizenz im Blick
Ernährung wird so aus dem Extrem heraus beleuchtet. Anstelle kulinarischer Qualitäten stehen Rationalität und Effizienz vorne an – auch wenn die Vorstellungen darüber von Land zu Land weit auseinandergehen. Um die Unterschiede der Malzeiten vor Augen zu führen, wählt die Ausstellung einen neutralen, dokumentarischen Blick. Auf großen weißen Tischen wurden in der Eingangshalle der Triennale die Militär-Rationen von 19 Ländern sowie die Verpflegung der Internationalen Raumstation ISS ausgebreitet – fein säuberlich nach Art, Größe und Anzahl der jeweiligen Lebensmittel sortiert. Hinzu gesellen sich – sofern im Paket enthalten – Kunststoffbestecke, Servietten, Zahnbürsten, Streichhölzer und Kocher. 

Nationale Geschmäcker
Natürlich werden hierbei zahlreiche nationale Klischees bestätigt. So führen britische Soldaten stets ein kleines Fläschchen Tabasco-Sauce, gesalzene Cashewnüsse und Zitronenkuchen mit sich. In Israel gehören mit Reis gefüllte Weinblätter, grüne Oliven und Halva dazu. Italiener müssen auch fernab der Heimat nicht auf Ravioli und Fruchtsalat verzichten, während ihnen Kaffeesahne – die bei fast allen Ländern zur Grundausstattung dazugehört – naturgemäß fehlt. Herzhaft ist die Ausstattung der russischen Soldaten, die Rindergulasch, Leber- und Fleischpastete und Ratatouille umfasst. Deutlich leichter zeigen sich die thailändischen Verpflegungspakete mit gelber Fischsuppe, Jasminreis sowie mit Pfeffer und Knoblauch gewürztes Rindfleisch, das mit Chilli-Puder zusätzlich geschärft werden kann. Einen Hauch von Molekularküche erfahren die Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation, die thermostabilisierte und gefriergetrocknete Makrelen, Cerealien und Erbsen in getrennten Verpackungen zu sich nehmen.
Rationale Schönheit
Der eigenwillige Charme dieser Essensrationen liegt in ihrer unkommerziellen Natur. Die Verpackungen müssen nicht um Kunden an endlos langen Supermarktregalen buhlen noch besondere Qualität suggerieren. Wer sich von den Paketen ernährt, hat schlicht keine andere Wahl. „Diese rigorose, funktionale Disziplin führt zu Produkten von eigenwilliger Schönheit, indem eine auf die Spitze getriebene Funktionalität wiederum selbst einen ästhetischen Wert erzeugt“, sagt Giulio Iacchetti. Die Zusammenstellung der Pakete gleicht in seinen Augen einem komplexen Puzzlespiel. Nicht nur der Nährwert spielt dabei eine Rolle, sondern ebenso das Gewicht und die Größe. Schließlich müssen die Pakete in den Taschen einer Uniform Platz finden und lange Transportwege unbeschadet überstehen können. 

Vorsichtige Vielfalt
Dass die Überlebenspakete im internationalen Sprachgebrauch die Bezeichnung K-Ration tragen, ist kein Zufall. 1939 wurde die Zusammenstellung der US-amerikanischen Rationen vom Ehepaar Ancel und Margaret Keys an der Universität von Minnesota entwickelt. Weil der Kommandeur der Infanterie, General McNair, von dem Ergebnis begeistert war, gelangte der Anfangsbuchstabe K in den offiziellen Sprachgebrauch. Dennoch mochte nicht jeder denselben Enthusiasmus teilen. Als 1961 ein Portrait von Ancel Keys auf dem Cover des Time Magazine erschien, ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. „Ich habe mich immer gefragt, wer diese fürchterliche K-Rationen erfunden hat. Sich Anderthalb Jahre von diesem Zeug zu ernähren – was für ein Alptraum“, schrieb ein betroffener Leser aus Salt Lake City. Auch wenn heutige Armeen längst mehrere Typen an Verpflegungspaketen im Gepäck führen: Wer permanent dasselbe isst, für den werden selbst sorgsam komponierte Menüs zur puren Bestrafung. 

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Links

La Triennale di Milano

www.triennale.org

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