Fuorisalone: Neues Strandgut
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Vor zwanzig Millionen Jahren sah die Welt schon fast genauso aus, wie wir sie heute kennen. Die Kontinente hatten sich getrennt, die Meere ihren Platz gefunden. Einzig dort, wo heute Island liegt, gab es nichts als Wasser. Dann begannen ein paar Vulkane im Atlantik, Lava zu spucken – so lange, bis sie das Fundament für ein neues Land gelegt hatten: Island. Die jüngste Insel Europas ist seither ein Ort, der unmittelbaren Naturgewalten ausgesetzt ist und diese umso mehr in das alltägliche Leben einfließen lässt. In einem Workshop nahmen sich Studenten der ECAL – Ecole cantonale d’art de Lausanne die Natureindrücke zum Thema und ließen sich dabei von Strandgut inspirieren. Das Resultat ist das Iceland Whale Bone Project: archaisch anmutende Objekte, die während des diesjährigen Fuorisalone in Mailand präsentiert wurden.
Island ist ein Land der gelebten Unmöglichkeiten. Die Natur beeinflusst hier so direkt den Alltag, wie wir es auf dem festen Kontinent nie erleben. Mit einer Ausnahme: der Aschewolke des Eyjafjöll-Vulkans, der im April 2010 nicht nur Island, sondern ganz Nord- und Mitteleuropa lahm legte. Nun, genau drei Jahre später, kehrte die Natur des nördlichsten Landes Europas in Form des Iceland Whale Bone Project – einem von dem in Lausanne ansässigen isländischen Designer Brynjar Sigurðarson geleiteten Workshop – nach Mailand zurück,. Die Teilnehmer, 17 Produktdesignstudenten des ECAL, waren im Januar in das Land der starken Kontraste, in dem Tradition und Fortschritt wie Feuer und Eis nebeneinander existieren, gereist, um sich mit einem bislang von Designern eher unbeachteten Thema auseinanderzusetzen. Jedes Jahr stranden zehn bis fünfzehn Wale an den vulkanischen Stränden der Insel. Die Tiere verwesen im Laufe der Zeit, bis nicht viel mehr übrigbleibt als ein Haufen weißer Knochen zwischen den schwarzen Lavasteinen.
Eine Handvoll weißer Knochen
Die Studenten, eine Gruppe aus einem guten Dutzend unterschiedlichen Nationalitäten, kamen auf dem Eiland mit einem Vorhaben zusammen: dem Sammeln von Walknochen, aber auch anderen an den Strand angeschwemmten Dingen wie Haifischleder und -zähnen oder gar Plastikabfällen. Sie fanden allesamt ausdrucksstarke Objekte, die bislang meist als Abfall und bestenfalls als dekorative Elemente für Balkon oder Garten verstanden wurden, nie zuvor jedoch als ein Material an sich, aus dem neue Objekte hervorgehen sollen. Fünf solcher neuer Objekte waren während des Salone del Mobile in einer kleinen, gelungenen Ausstellung fern des üblichen Rahmenprogramms zu sehen. Sie wurden von eindrucksvollen Filmen und Fotografien begleitet, die einen Einblick in die Islandreise und Auseinandersetzung mit dem fremden Terrain ermöglichten.
Relikte der Gegenwart
Auffallend bei allen ist die Form der Fundstücke, die als Inspirationsquelle der archaisch anmutenden Entwürfe diente. Thibault Penven etwa konzipierte eine Serie von Booten, die aus und um die Walknochen herum gebaut wurden, wobei der Knochen als Kielschwert des Schiffes dient. Die Schale selbst fertigte er aus Hartschaum an, der sich wie eine Erweiterung des Knochens zum Rumpf schließt. Der Deutsche Dominic Schlögel ließ sich von den messerscharfen Zähnen des Grönlandhais anregen und gestaltete eine Reihe von Cuttern, für die er unbearbeitete Zähne in legierte Griffe setzte und einen wirkungsvollen Kontrast zwischen den beiden Materialien herstellte. Die Französin Charlotte Baverel wiederum machte aus den Überresten von Robben, Haien und Walen drei Masken; und der Schweizer Luc Beaussart einen dekorativen Holzsockel, dessen Gestalt die Form eines Walknochens wiedergibt.
Der Serbe Milos Ristin indessen entdeckte in der Form eines Zwergwalschädels Ähnlichkeit zu stromlinienförmigen Designobjekten wie Motorrädern oder Sportwagen. Er ersetzte eine Schädelhälfte durch eine Replik aus Aluminium, um die Verflechtung zwischen Alt und Neu, Primitivismus und Fortschritt aufzuzeigen – ein erstaunlich gelungenes Objekt, das gleichzeitig ein bezeichnendes Sinnbild für das kulturelle Spannungsfeld Islands ist. So archaisch die Materialien anmuten, so eloquent zeitgemäß ist die Umsetzung der Entwürfe, die uns ursprüngliche Zusammenhänge wieder vor Augen führt – bevor es der nächste Vulkanausbruch tut.
Weitere Neuheiten, Trends und Berichte vom Salone del Mobile 2013 lesen Sie in unserem Mailand-Special.
FOTOGRAFIE Emile Barret
Emile Barret
Links
ECAL – Ecole cantonale d’art de Lausanne
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