Geschichte trifft Gegenwart
Ausstellung von Muller Van Severen in der Villa Cavrois in Lille
Als besonderes Highlight der World Design Capital 2020 im französischen Lille gilt die Ausstellung „Design! Muller Van Severen at Villa Cavrois“. In dem modernistischen Bau des Architekten Robert Mallet-Stevens zeigen Fien Muller und Hannes Van Severen mit ihren hybriden Entwürfen, wie sich Design und Architektur gegenseitig beeinflussen.
Alle zwei Jahre vergibt die World Design Organization den Titel der Weltdesignhauptstadt. Ziel ist es, Leistungen von Städten auf der ganzen Welt im Bereich Design anzuerkennen und auszuzeichnen. In diesem Jahr strebt Lille als World Design Capital 2020 eine „kreativere, ressourcenschonendere, verantwortungsbewusstere und kooperativere Wirtschaft“ an. Dafür initiieren die Veranstalter an 20 Orten über 50 Events und mehr als 600 Projekte, die sich dem Thema Zusammenarbeit verschreiben. Dazu gehört auch die Ausstellung „Design! Muller Van Severen at Villa Cavrois“, deren Eröffnung aufgrund der Corona-Pandemie vom 17. März auf den 16. Juni verschoben wurde.
Kooperation und Koexistenz
Fien Muller und Hannes Van Severen verkörpern das Thema der Kooperation gleich auf mehrere Weisen. Seit 2011 entwerfen die belgischen Künstler Einrichtungsobjekte, mit denen sie die Disziplinen Kunst und Design verbinden. Die Schneidebretter „cutting boards“ oder die Tellerserie „5 circles“ erscheinen so stark abstrahiert, dass reine Form und Funktion zur Einheit werden. Auch der Teppich „carpet blue – yellow“ könnte leicht mit einem Gemälde verwechselt werden. Und nicht zuletzt sind es die vielen unorthodoxen Materialverbindungen aus Marmor, Polyethylen, Messing oder Leder, die den meisten ihrer Möbel einen künstlerisch-experimentellen Charakter verleihen.
Wofür das Duo aber vor allem steht, sind hybride Funktionen. Denn die formreduzierten Liegen, Regale, Stühle, Tische und Leuchten aus Metall kommen oft nicht als einzelnes Möbelstück. Vielmehr handelt es sich um Kombinationen aus zwei oder mehreren Objekten, die sich mal Beine, mal Füße, mal ganze Kanten teilen. Es handelt sich gewissermaßen um Beispiele für eine Koexistenz, die, miteinander verschweißt, zu etwas gänzlich Neuem werden, das gewöhnliche Nutzungen, Arrangements und Aufgaben von Alltagsobjekten hinterfragt. Um eine Art Koexistenz dreht sich auch die Ausstellung in der Villa Cavrois unweit von Lille, genauer gesagt, um das Verhältnis von Architektur und Mobiliar.
Zwischen Geschichte und Gegenwart
Die Villa wurde 1932 für den Textilfabrikanten Paul Cavrois von dem französischen Architekten Robert Mallet-Stevens geplant, der für seine – zu seiner Zeit – als skandalös geltenden kubistischen Entwürfe bekannt ist. Mit dem modernistischen Bau schuf er ein Gesamtkunstwerk samt Inneneinrichtung. Mallet-Stevens war überzeugt, dass ein Lebensumfeld die Psyche seiner Bewohner widerspiegeln sollte.
Wie aber wählt man die Exponate für eine Ausstellung in solch charakterstarken Räumen aus? Schon auf den ersten Streifzügen durch die Architektur erkannten Fien Muller und Hannes Van Severen etwa in der Verwendung von Farbe und Proportionen Parallelen zu ihren eigenen Werken. Sogar ein Sinn für Humor ließe sich im Gebäude erkennen, sagen die beiden, die den Auswahlprozess intuitiv angingen. Ihr Ziel war es, eine Balance aus Präsenz und Integration zu schaffen.
Eine erstaunliche Verwandtschaft
Tatsächlich zeigt die Ausstellung eine erstaunliche Verwandtschaft des 1886 geborenen Architekten und der zeitgenössischen Künstler, fast so, als verschwimme die Geschichte mit der Gegenwart. „Zeit wird in diesem Projekt irrelevant, da wir das poetische Gefühl erzeugen wollen, dass unsere Objekte aus derselben Epoche wie das Gebäude stammen könnten, ähnlich wie sich auch die Architektur sehr zeitgemäß anfühlt“, sagen Fien Muller und Hannes Van Severen. Neben älteren Arbeiten stellen sie ein neues Sofa vor, das auf besondere Weise von der Villa inspiriert wurde. Es ist ein schönes Beispiel, wie sich Design und Architektur gegenseitig beeinflussen, auch viele Jahrzehnte später.
Design! Muller Van Severen at Villa Cavrois
bis 31. Oktober