Porträt eines Drachen
Die Mailänder Triennale würdigt das Werk von Alessandro Mendini
Die Mailänder Triennale zeigt in Kollaboration mit der Fondation Cartier die Retrospektive „Io sono un drago. The true story of Alessandro Mendini“: eine Reise durch sechs Dekaden und multiple Disziplinen, die der Vordenker der Postmoderne (1931-2019) souverän verband. Auch Philippe Starck hat eine audiovisuelle Hommage kreiert.
„Ich bin ein Drache (Io sono un drago)“ nannte Alessandro Mendini ein Selbstporträt, das er 2006 anfertigte. Es lieferte den Titel für die erste umfassende Ausstellung nach seinem Tod 2019, die anlässlich des Salone del Mobile 2024 in der Mailänder Triennale eröffnet wurde. Der Gestalter Mendini ist auf der Zeichnung ein Fabelwesen, zusammengesetzt als anatomisches Puzzlespiel: der Kopf eines Designers, die Hände eines Handwerkers, die Füße eines Künstlers, die Beine eines Grafikers, der Schwanz eines Dichters, der Körper eines Architekten, während die Brust einem Manager und der Bauch einem Priester zugeordnet wird. Es ist eine fantasievolle Darstellung seiner vielfältigen kreativen Aktivitäten: eine Summe von Teilen, die Widersprüchliches vereint.
Multiple Ichs
Bei Mendini ist „das Ergebnis eines jeden Prozesses eine Vielzahl von Fragmenten, die durch geschickte Anordnung an ihrem Platz gehalten werden, wobei die Komplexität der Unterschiede und Fähigkeiten optimal genutzt wird. Diese Methode auf sich selbst anzuwenden, bedeutete, die Vielseitigkeit seiner schöpferischen Begabung zu deklarieren“, wie Fulvio Irace, der Kurator der Mailänder Ausstellung, schreibt. Diese widmet einen eigenen Bereich den zahlreichen Selbstporträts, die Mendini von sich anfertigte. Nicht nur das Drachenmotiv ist zu sehen, auch eine Darstellung als Harlekin (2002) oder in Form eines Kronleuchters (2006). In den Sechzigerjahren stellte sich Mendini vor, wie seine Gesichtszüge in der Verengung eines Spiegels deformiert werden und fast gespenstische Züge annehmen. 1972 setzte er sich einen Heiligenschein auf.
Thematische Räume
Der Bereich Stanze widmet sich den thematischen Räumen, die Mendini als dreidimensionale Stillleben für verschiedene Ausstellungen schuf. Die Piccola stanza con scarabeo (1996) ist ein geheimnisvoller Ort mit einem auf den Boden gefallenen Schlüssel, wo wilde Dekoration sämtliche Möbel sowie Boden, Decke und Wände durchdringt. Auch Stanza del secolo, Stanza banale, Stanza filosofica, Stanza da manuale oder Chambre à souvenir gleichen Wunderkammern voller Zitate und Erinnerungen. Es sind in sich gekehrte Räume ohne Aussicht, in denen Melancholie und Frohsinn direkt ineinander greifen. „Hinter dem Deckmantel des Paradoxen, der erfinderischen Ungezügeltheit, der Freiheit der Zeichen und Farben spürt man die Melancholie der Träumerei“, so Fulvio Irace.
Gestaltung als Kritik
Natürlich dürfen Klassiker nicht fehlen – wie der Sessel Poltrona di Proust aus dem Jahr 1978. Mendini hatte in einem Antiquitätengeschäft einen opulent-verschnörkelten Sessel erworben, um ihn anschließend mit bunten Farbtupfern zu übersäen, als hätten die Meister des Pointillismus selbst zum Pinsel gegriffen. Zitate aus unterschiedlichen Epochen, Kunstströmungen und Orten werden zu einem verblüffenden Objekt mit eigenem Charakter verschmolzen. „Redesign“ nannte Mendini seine Methode und sah darin vor allem eine Form von Kritik. Selbst vor Designikonen wie dem Zig-Zag-Stuhl von Gerrit Rietveld machte er nicht halt: Er verwandelte die Rückenlehne in ein hölzernes Kreuz – als Memento mori für die Gestaltung der Moderne und ihre fast schon religiös anmutende Überhöhung.
Rituale des Alltags
„Objekte mit Seele“ nannte Mendini seine Entwürfe, die in Abgrenzung zur kalten Industrieform der Moderne mit ihren Benutzer*innen nicht nur kommunizieren, sondern für den Gebrauch sensibilisieren. Dass Entwürfe wie der Korkenzieher Anna G (1994) die Form einer tanzenden Figur annehmen oder wie das Kellnermesser Parrot an einen Papagei erinnern, ist nicht dem Zufall geschuldet, sondern einer präzisen Beobachtung der Funktion. So gleichen die Hebel eines gewöhnlichen Korkenziehers beim Öffnen einer Figur, die ihre Arme aus Freude in die Luft schlägt. Und der Schnapphebel eines Kellnermessers erinnert selbst in seiner technisch klarsten Ausführung unweigerlich an den Schnabel eines Papageien. „Wenn ein Gegenstand dazu führt, dass die Menschen darüber nachdenken, wie sie mit ihm umgehen, dann wird die Handlung zu einem Ritual“, erklärte Alessandro Mendini die Wirkung seiner Entwürfe, die er mit „Szenen in einem Theater“ verglich.
Riesen und Zwerge
Zum Paradoxen im Mendini-Universum gehört der Spagat zwischen Elite und Masse. Während die mit goldenen Mosaiken überzogenen Skulpturen der Serie Mobili per Uomo (1997-2008) für Bisazza hochpreisige Einzelstücke sind, werden Küchenobjekte für Alessi oder Armbanduhren für Swatch bis heute in hohen Stückzahlen günstig produziert. Beide Welten werden gleich im ersten Saal der Ausstellung überblendet. Gulliver Syndrom nannte Mendini den bewussten Sprung in den Maßstäben. Indem Möbel und Küchenobjekte in ihren Dimensionen weit nach oben skaliert werden, versetzen sie die Menschen in die zwergenhafte Welt von Lilliput. Parallel dazu werden Gebäude als Modelle im Miniaturformat präsentiert. Der französische Gestalter Pierre Charpin hat dafür ein zurückhaltendes Ausstellungsdesign aus pastellfarbenen Tischen und Podesten ersonnen, die wie miniaturisierte Bühnen wirken. Viele Möbel stehen direkt auf dem Parkettboden der Triennale, eingerahmt durch farbige Leisten. Sie sind geerdet und gleichzeitig herausgestellt.
Diversität im Stadtraum
Mit dem Kunstmuseum in Groningen (1988-1994), einer Bushaltestelle in Hannover (1994), dem Paradise Tower in Hiroshima (1989) oder der Dependance der Mailänder Triennale im südkoreanischen Incheon (2009) hat Mendini seinen eklektischen Stil in den Maßstab der Architektur übertragen. Doch auch hier blieb seine Arbeitsweise offen genug, um andere Architekt*innen wie Michele De Lucchi, Ettore Sottsass oder Coop Himmelb(l)au in seine Projekte zu integrieren. Die Pluralität der Stimmen war entscheidend für das Werk des Mailänder Gestalters und Theoretikers, der Chefredakteur der Architekturzeitschriften Casabella (1970 bis 1976) und Domus (1979 bis 1985) war und auch später regelmäßig Beiträge für sie verfasste. Diesem publizistischen Teil widmet die Schau ebenfalls einen eigenen Bereich.
Im Gehirn des Meisters
Außerhalb der Ausstellung können die Besucher*innen einen weiteren Saal betreten. Dort ist die Installation What? A homage to Alessandro Mendini by Philippe Starck zu sehen. Nichts weniger als eine „immersive Erfahrung von Alessandro Mendinis Gehirn“ hatte der französische Designer im Sinn. Und so beauftragte er mit der Umsetzung das von Stephan Crasneanscki gegründete Büro Soundwalk Collective, das sich mit Klanginstallationen und Live-Performances einen Namen gemacht hat. An die Wände werden Gesichtsfragmente Mendinis geworfen, während sich unzählige Soundschnipsel überlagern und tatsächlich ein Zischen und Raunen erzeugen, das einem Drachen würdig ist.
Io sono un drago. The true story of Alessandro Mendini noch bis 13. Oktober, What? A homage to Alessandro Mendini by Philippe Starck noch bis 16. Juni in der Mailänder Triennale