Sinn für Leichtigkeit
Alberto-Meda-Ausstellung in der Mailänder Triennale

Die Mailänder Triennale widmet Alberto Meda die erste Einzelausstellung. Der Titel „Tensione e leggerezza“ (Spannung und Leichtigkeit) ist treffend gewählt, offenbart er doch die beiden Hauptthemen des Mailänder Ingenieurs, der in den Achtzigerjahren auf die Seite der Gestaltung wechselte. Das Ausstellungsdesign von Riccardo Blumer schafft unerwartete Perspektiven.
Anfassen ist in dieser Ausstellung ausdrücklich erlaubt. Wer den Rundgang durch das Museum für italienisches Design im Erdgeschoss der Triennale absolviert hat, findet sich in einem separaten Projektraum wider: Neun weiße Kuben stehen dort frei in der Mitte, in drei Dreierreihen streng sortiert. Umrundet man die Boxen, kommt plötzlich Dynamik ins Spiel. Die Produkte werden nicht andächtig erhöht, sondern durch kinetische Inszenierungen greifbar gemacht.
Vermöbelte Gitarre
Man kann an Seilen mit Gewichten ziehen und so die Leuchte Fortebraccio (1998 für Luceplan) in verschiedenste Richtungen bewegen, als würde man eine Marionette steuern. Über eine Kurbel wird ein Propeller in Rotation versetzt, dessen Flügel mit mehrfarbigen Folien bestückt sind. Sie tauchen in den Korpus der Leuchte Titania (1989 für Luceplan) ein und sorgen für wechselnde Lichtstimmungen. Und die gespannten der Gurte der Chaiselongue Longframe (1994 für Alias) werden durch Berührung in Schwingungen versetzt, sodass sie das Möbel in ein klingendes Saiteninstrument verwandeln.
Unter die Platte geschaut
„In diesen Anwendungsbereichen werden die Produkte auf mechanische, physische und interaktive Weise erfahrbar gemacht – wie Spiele“, sagt Riccardo Blumer, der das Ausstellungsdesign entworfen hat. Ungewöhnlich ist nicht nur der direkte Kontakt mit den Exponaten, sondern auch die Verschiebung der Perspektiven. In den hinteren drei Kuben werden Sitzmöbel wie der Drehstuhl Physix (2012 für Vitra) von unten gezeigt. Dasselbe gilt für die Tische wie Frametable (2001 für Alias) oder MedaMorph (2006 für Vitra), die ohne Platte auskommen. Die Gestelle wurden über den Köpfen der Besucher*innen an die Rückwand montiert, sodass die Beine frei in den Ausstellungsraum hinein ragen. Indem sich die Unterseiten als Schauseiten präsentieren, wird die konstruktive Raffinesse lesbar, die sich durch das Werk von Alberto Meda zieht.
Leuchtende Gravitation
Er begann seine Karriere auf der technischen, nicht auf der gestalterischen Ebene. Nach Abschluss seines Maschinenbaustudiums am Mailänder Politecnico 1969 war Meda von 1973 bis 1979 als technischer Direktor für den Hersteller Kartell tätig und verantwortete dort die Entwicklung von Laborgeräten und Einrichtungszubehör. Der Wechsel auf die Designseite erfolgte mit der Leuchte On Off (1983 für Vistosi, ab 1988 für Luceplan), die er zusammen mit Franco Raggi und Denis Santachiara entwarf. Der Clou war der Verzicht auf einen sichtbaren Schalter: An- und Ausschalten gelingt, indem der Schirm von einer Seite auf die andere gedreht wird – und sich so die Wirkung der Schwerkraft zunutze macht. In der Ausstellung können die Besucher*innen gleich eine ganze Gruppe dieser Leuchten in Bewegung versetzten: mithilfe eines Drehhebels, mit dem sonst die Spielerfiguren beim Tischfussball gesteuert werden.
Evolutionärer Zugang
„Alberto Meda sieht die Form im Design nicht als vorbestimmt, sondern nur als Beziehung zwischen den Teilen. Form entsteht erst im Nachhinein und zeigt sich im Prozess als Integration von Funktionen, als Reduktion der Komponenten“, schreibt Marco Sammicheli, Direktor des Museo del Design Italiano und Kurator der Ausstellung. „Er spürt nicht die typische Angst vor der Form, die viele Designer haben. Seine Ästhetik ist eine evolutionäre Ästhetik des Machens, in der die technologische Nutzung einen kulturellen Nebeneffekt hat, der dem Projekt einen gestalterischen Wert verleiht“, so Sammicheli weiter. Mehr als 35 Patente hat Alberto Meda angemeldet – von strukturellen, mechanischen Lösungen bis hin zu Verbesserungen von Herstellungstechniken. Zahlreiche Zeichnungen, Fotos und Dokumente an den Wänden erzählen von den Prozessen, die hinter der Entwicklung stehen. Auch Souvenirs dürfen nicht fehlen wie eine Eintrittskarte für die Büromöbelmesse Orgatec 1996, auf der Vitra den Meda Chair präsentierte.
Schlanke Silhouetten
Die Ausstellung führt weiter in einen schmalen Korridor, wo die Akkustikpaneele Flap (2013 für Caimi Brevetti) von der Decke hängen. Darüber montierte Strahler sorgen für multiple Schattenwürfe an den Wänden, an denen wiederum die gerahmten Skizzen des Entwurfs zu sehen sind, den Meda zusammen mit seinem Sohn Francesco entwickelt hat. In einem weiteren Raum werden Produkte nach Typologien sortiert: An der Wand ist eine Evolution der Leuchten zu sehen, etwas weiter Heizkörper, Wasserhähne, Leichtbau-Tische und natürlich der ikonische Stuhl Light Light (1986 für Alias). Das erste aus Karbonfasern gebaute Möbel wiegt nur ein Kilogramm und besitzt eine Silhouette, die bis heute in ihrer Filigranität unübertroffen ist.
Es geht um „eine angemessene Würdigung eines Gestalters mit besonderem Profil, der sowohl Designer als auch Ingenieur ist und die Eleganz seines Strichs mit der ausgefeilten Präzision von Details und technischen Lösungen meisterhaft kombiniert. So hat er im Laufe der Zeit eine Reihe von Objekten von großer Leichtigkeit, Sorgfalt und Verwunderung hervorgebracht“, sagt Stefano Boeri, Präsident der Mailänder Triennale. Die Botschaft ist klar: Design ist nicht nur das, was auf der vordergründig sichtbaren Ebene stattfindet. Es gilt ebenso für das, was unter der „Haube“ steckt.
Alberto Meda. Tensione e leggerezza
Noch bis 7. Januar 2024 in der Mailänder Triennale
Triennale di Milano
www.triennale.orgAlberto Meda
www.albertomeda.comInterview mit Alberto Meda
www.baunetz-id.deMehr Stories
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