Über Originalität und Frechheit
Die Kollektion LeGer Home by Lena Gercke x Otto
Kurz mal die Augen reiben: Arbeiten Sebastian Herkner, Pauline Deltour und Tero Kuitunen jetzt für Otto als Designer? Nein, aber Lena Gercke.
Das Phänomen ist nicht neu: Prominente, deren Prominenz vor allem darin besteht, an TV-Formaten teilgenommen zu haben oder mit xy verheiratet (gewesen) zu sein, entwerfen mehr oder weniger inspirierte Dinge wie Armreifen, Yogamatten und Kaschmirpullis. Was vor einigen Jahren eher die Ausnahme war, hat sich in Zeiten von Social Media geradezu ins Absurde gesteigert. Influencer sind aus der Marketingwelt nicht mehr wegzudenken – sie bestimmen mit, was die werberelevante Zielgruppe zwischen 15 und 49 kauft oder was eben nicht. Das ist auch in Ordnung, solange dabei niemand Schaden nimmt. Womit wir bei Lena Gercke und Otto wären. Die Influencerin ist bisher vor allem als Model und Moderatorin in Erscheinung getreten – auch dank ihrer 2,7 Millionen Instagram-Follower. Bekannt wurde sie als Gewinnerin der ersten Staffel von Heidi Klums TV-Show Germany’s Next Topmodel und als Freundin von Nationalfußballer Sami Khedira.
Design? Kann ich!
Jetzt ist Lena Gercke also Möbeldesignerin und hat sage und schreibe 100 Produkte fürs Wohnen entworfen. Kerzenständer, Sofas, Spiegel. Und sie wird nicht müde zu betonen, dass sie sich sehr fürs Einrichten interessiere, auch weil sie gerade in eine neue Wohnung in Berlin gezogen sei. Und die muss schließlich eingerichtet werden! Auch wenn man davon ausgehen kann, dass Gercke die Produkte keineswegs selbst entworfen – will heißen: skizziert, Prototypen gebaut, Materialien ausprobiert –, sondern lediglich geschmackliche Impulse gegeben hat. Der anvisierten Zielgruppe dürfte das wohl ziemlich egal sein, denn Hauptsache, Gercke ist mit dabei – und sei es nur als Logo. Und tatsächlich: Auf der Badematte Sophie prangt unübersehbar die Buchstabenkombination LeGer, was allerdings weder besonders leger noch allzu lässig wirkt.
Der Atem stockt
Aber nicht überall, wo Lena Gercke drauf steht, ist auch Lena Gercke drin. Und genau dort liegt das Problem. Denn jedem, der sich für gute Gestaltung interessiert, dürfte beim Anblick einiger Stücke der Kollektion kurz der Atem stocken. So jedenfalls erging es Sebastian Herkner, einem der profiliertesten Designer Deutschlands, der für internationale Hersteller wie Moroso, Dedon und Wittmann arbeitet. Er hat Möbel, Leuchten und Accessoires entworfen, von denen einige wie der Glastisch Bell Table (ClassiCon) und die Leuchte Oda (Pulpo) bereits wenige Jahre nach Erscheinen zu Designklassikern avanciert und omnipräsent im Interiorbereich sind. Er traute seinen Augen nicht, als er bei Otto den Servierwagen Loana entdeckte. Kein Wunder, sieht er seinem eigenen Entwurf Grace für Schönbuch doch verblüffend ähnlich.
Gestohlenes Herzblut
Die Entwicklung von originären und teils komplexen Produkten kostet Designer und Unternehmen vom Entwurf bis zur Marktreife Geld, Arbeit und vor allem Herzblut. Dabei gehen Designer oftmals in Vorleistung, denn erst wenn ein Produkt auf den Markt kommt, können sie damit Geld verdienen. Natürlich nur, wenn sich Stuhl, Servierwagen oder Leuchte auch gut verkaufen. Für die Entwicklung des Servierwagens haben Herkner und Schönbuch rund ein Jahr gebraucht – in etwa so viel Zeit wie Otto und Gercke für sämtliche 100 Produkte der Kollektion. „Lena Gercke gibt ihren Namen her für eine Geldsumme, die ein Designer an Lizenzgebühren wahrscheinlich überhaupt nicht verdienen kann“, sagt Herkner. Erfolgreiche Gestalter wie er können es vielleicht finanziell noch verkraften, wenn andere auf ihre Ideen zurückgreifen. Doch anders sieht es für Designer aus, die gerade erst am Beginn ihrer Karriere stehen. Sie können potenzielle Auftraggeber nur von sich überzeugen, wenn sie authentische Entwürfe vorweisen können. So wie Tero Kuitunen, ein aufstrebender finnischer Designer, der 2019 durch einen Spiegel mit Fransenborte bekannt wurde, den es in verschiedenen Formen und Farben gibt. Cabinet Wall Mirror ist ein spielerisches Produkt, das sehr markant und eigensinnig ist. Auf feine Fransen setzt auch der Spiegel Franka aus der LeGer-Kollektion, weshalb man ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Tuitunens Entwurf nicht absprechen kann.
Lernen von Ikea
„Für mich ist es wichtig, wie und unter welchen Umständen meine Produkte produziert werden“, sagt Herkner, der Produktionsstätten in aller Welt besucht. Es geht beim Design eben nicht nur um rasch verdientes Geld. Es geht auch um soziale Verantwortung, was in schnelllebigen und von Social Media getriebenen Zeiten oft vergessen, aber inzwischen von immer mehr Unternehmen erkannt wird. Dabei stellt sich die Frage, warum Otto einen komplett anderen Weg einschlägt als beispielsweise Ikea oder John Lewis. Beide Unternehmen beauftragen auch externe Designer mit dem Entwurf von Home-Kollektionen, darunter etablierte Namen wie Ilse Crawford, Hella Jongerius und Doshi Levien, die normalerweise für High-End-Möbelhersteller arbeiten.
Wider die gute Form
Die Kollektion LeGer von Otto greift allgegenwärtige, massenkompatible Interiortrends auf – wie den Hygge-Look mit Holz, Natur- und Cremetönen oder den Glamour Style mit Messing, Samt und Glas. Doch vor allem verblüfft sie mit Ähnlichkeiten zu erfolgreichen Wohnprodukten anderer Hersteller, die von zeitgenössischen Designern entworfen wurden. Damit ist Otto allerdings keine Ausnahme, wie andere, teils noch junge Unternehmen im Möbel- und Interiordesignbereich zeigen. Der Verlockung der Reichweiten von Social Media erlegen und um hip und angesagt zu erscheinen, gehen sie gar nicht erst das Risiko ein, mit originären Entwürfen vielleicht auch zu scheitern. „LeGer Home bietet eine einzigartige Auswahl an künstlerischen und zeitlosen Designs“ – so wird die Kollektion beworben. Die Ironie der Geschichte: Zur Hamburger Otto Group gehört auch Manufactum, „das Warenhaus der guten Dinge“, wie es auf der Website heißt. Hier werden Produkte verkauft, die durchdacht, langlebig und manchmal auch handgefertigt sind. Eben das, was man gemeinhin gute Gestaltung nennt.
Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form zuerst in der deutschen Zeitschrift Wohn!Design.