Stories

Über Originalität und Frechheit

Die Kollektion LeGer Home by Lena Gercke x Otto

Kurz mal die Augen reiben: Arbeiten Sebastian Herkner, Pauline Deltour und Tero Kuitunen jetzt für Otto als Designer? Nein, aber Lena Gercke.

von Claudia Simone Hoff, 02.06.2021

Das Phänomen ist nicht neu: Prominente, deren Prominenz vor allem darin besteht, an TV-Formaten teilgenommen zu haben oder mit xy verheiratet (gewesen) zu sein, entwerfen mehr oder weniger inspirierte Dinge wie Armreifen, Yogamatten und Kaschmirpullis. Was vor einigen Jahren eher die Ausnahme war, hat sich in Zeiten von Social Media geradezu ins Absurde gesteigert. Influencer sind aus der Marketingwelt nicht mehr wegzudenken – sie bestimmen mit, was die werberelevante Zielgruppe zwischen 15 und 49 kauft oder was eben nicht. Das ist auch in Ordnung, solange dabei niemand Schaden nimmt. Womit wir bei Lena Gercke und Otto wären. Die Influencerin ist bisher vor allem als Model und Moderatorin in Erscheinung getreten – auch dank ihrer 2,7 Millionen Instagram-Follower. Bekannt wurde sie als Gewinnerin der ersten Staffel von Heidi Klums TV-Show Germany’s Next Topmodel und als Freundin von Nationalfußballer Sami Khedira.

Design? Kann ich!
Jetzt ist Lena Gercke also Möbeldesignerin und hat sage und schreibe 100 Produkte fürs Wohnen entworfen. Kerzenständer, Sofas, Spiegel. Und sie wird nicht müde zu betonen, dass sie sich sehr fürs Einrichten interessiere, auch weil sie gerade in eine neue Wohnung in Berlin gezogen sei. Und die muss schließlich eingerichtet werden! Auch wenn man davon ausgehen kann, dass Gercke die Produkte keineswegs selbst entworfen – will heißen: skizziert, Prototypen gebaut, Materialien ausprobiert –, sondern lediglich geschmackliche Impulse gegeben hat. Der anvisierten Zielgruppe dürfte das wohl ziemlich egal sein, denn Hauptsache, Gercke ist mit dabei – und sei es nur als Logo. Und tatsächlich: Auf der Badematte Sophie prangt unübersehbar die Buchstabenkombination LeGer, was allerdings weder besonders leger noch allzu lässig wirkt.

Der Atem stockt
Aber nicht überall, wo Lena Gercke drauf steht, ist auch Lena Gercke drin. Und genau dort liegt das Problem. Denn jedem, der sich für gute Gestaltung interessiert, dürfte beim Anblick einiger Stücke der Kollektion kurz der Atem stocken. So jedenfalls erging es Sebastian Herkner, einem der profiliertesten Designer Deutschlands, der für internationale Hersteller wie Moroso, Dedon und Wittmann arbeitet. Er hat Möbel, Leuchten und Accessoires entworfen, von denen einige wie der Glastisch Bell Table (ClassiCon) und die Leuchte Oda (Pulpo) bereits wenige Jahre nach Erscheinen zu Designklassikern avanciert und omnipräsent im Interiorbereich sind. Er traute seinen Augen nicht, als er bei Otto den Servierwagen Loana entdeckte. Kein Wunder, sieht er seinem eigenen Entwurf Grace für Schönbuch doch verblüffend ähnlich.

Gestohlenes Herzblut
Die Entwicklung von originären und teils komplexen Produkten kostet Designer und Unternehmen vom Entwurf bis zur Marktreife Geld, Arbeit und vor allem Herzblut. Dabei gehen Designer oftmals in Vorleistung, denn erst wenn ein Produkt auf den Markt kommt, können sie damit Geld verdienen. Natürlich nur, wenn sich Stuhl, Servierwagen oder Leuchte auch gut verkaufen. Für die Entwicklung des Servierwagens haben Herkner und Schönbuch rund ein Jahr gebraucht – in etwa so viel Zeit wie Otto und Gercke für sämtliche 100 Produkte der Kollektion. „Lena Gercke gibt ihren Namen her für eine Geldsumme, die ein Designer an Lizenzgebühren wahrscheinlich überhaupt nicht verdienen kann“, sagt Herkner. Erfolgreiche Gestalter wie er können es vielleicht finanziell noch verkraften, wenn andere auf ihre Ideen zurückgreifen. Doch anders sieht es für Designer aus, die gerade erst am Beginn ihrer Karriere stehen. Sie können potenzielle Auftraggeber nur von sich überzeugen, wenn sie authentische Entwürfe vorweisen können. So wie Tero Kuitunen, ein aufstrebender finnischer Designer, der 2019 durch einen Spiegel mit Fransenborte bekannt wurde, den es in verschiedenen Formen und Farben gibt. Cabinet Wall Mirror ist ein spielerisches Produkt, das sehr markant und eigensinnig ist. Auf feine Fransen setzt auch der Spiegel Franka aus der LeGer-Kollektion, weshalb man ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Tuitunens Entwurf nicht absprechen kann.

Lernen von Ikea
„Für mich ist es wichtig, wie und unter welchen Umständen meine Produkte produziert werden“, sagt Herkner, der Produktionsstätten in aller Welt besucht. Es geht beim Design eben nicht nur um rasch verdientes Geld. Es geht auch um soziale Verantwortung, was in schnelllebigen und von Social Media getriebenen Zeiten oft vergessen, aber inzwischen von immer mehr Unternehmen erkannt wird. Dabei stellt sich die Frage, warum Otto einen komplett anderen Weg einschlägt als beispielsweise Ikea oder John Lewis. Beide Unternehmen beauftragen auch externe Designer mit dem Entwurf von Home-Kollektionen, darunter etablierte Namen wie Ilse Crawford, Hella Jongerius und Doshi Levien, die normalerweise für High-End-Möbelhersteller arbeiten.

Wider die gute Form
Die Kollektion LeGer von Otto greift allgegenwärtige, massenkompatible Interiortrends auf – wie den Hygge-Look mit Holz, Natur- und Cremetönen oder den Glamour Style mit Messing, Samt und Glas. Doch vor allem verblüfft sie mit Ähnlichkeiten zu erfolgreichen Wohnprodukten anderer Hersteller, die von zeitgenössischen Designern entworfen wurden. Damit ist Otto allerdings keine Ausnahme, wie andere, teils noch junge Unternehmen im Möbel- und Interiordesignbereich zeigen. Der Verlockung der Reichweiten von Social Media erlegen und um hip und angesagt zu erscheinen, gehen sie gar nicht erst das Risiko ein, mit originären Entwürfen vielleicht auch zu scheitern. „LeGer Home bietet eine einzigartige Auswahl an künstlerischen und zeitlosen Designs“ – so wird die Kollektion beworben. Die Ironie der Geschichte: Zur Hamburger Otto Group gehört auch Manufactum, „das Warenhaus der guten Dinge“, wie es auf der Website heißt. Hier werden Produkte verkauft, die durchdacht, langlebig und manchmal auch handgefertigt sind. Eben das, was man gemeinhin gute Gestaltung nennt.

Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form zuerst in der deutschen Zeitschrift Wohn!Design.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

LeGer Home by Lena Gercke x Otto

www.otto.de

Mehr Stories

Best-of Raumausstattung 2024

Neue Tapeten, Farben & Textilien

Neue Tapeten, Farben & Textilien

Formal-Informal

Ligne Roset editiert Michel Ducaroys Polsterprogramm Kashima

Ligne Roset editiert Michel Ducaroys Polsterprogramm Kashima

CO2-Neutral und plastikfrei

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Perfekte Imperfektion

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Der Ikea-Effekt

Wenn aus Arbeit Liebe wird

Wenn aus Arbeit Liebe wird

Best-of Outdoor 2024

Möbelneuheiten für das Wohnen unter freiem Himmel

Möbelneuheiten für das Wohnen unter freiem Himmel

Ein Herz für Vintage

Wie der Hersteller COR gebrauchte Möbel neu editiert

Wie der Hersteller COR gebrauchte Möbel neu editiert

Kuratierter Kraftakt

Die Neuheiten der Stockholmer Möbelmesse 2024

Die Neuheiten der Stockholmer Möbelmesse 2024

Die Macht der Visualisierung

Wie Raumplanungen digital zum Leben erweckt werden

Wie Raumplanungen digital zum Leben erweckt werden

Best-of Tableware 2024

Neuheiten für die Küche und den gedeckten Tisch

Neuheiten für die Küche und den gedeckten Tisch

Ein Kessel Buntes in Paris

Die Neuheiten von Maison & Objet und Déco Off 2024

Die Neuheiten von Maison & Objet und Déco Off 2024

Skandinavische Designtradition

Das schwedische Unternehmen Kinnarps im Porträt

Das schwedische Unternehmen Kinnarps im Porträt

Dimensionen der Weichheit

Neuheiten von der imm cologne 2024

Neuheiten von der imm cologne 2024

Bühne für den Boden

Vorschau auf die Domotex 2024

Vorschau auf die Domotex 2024

Was darf ich für Dich tun

KI – Künstliche Intelligenz oder Kreative Invasion?

KI – Künstliche Intelligenz oder Kreative Invasion?

Wrestling & Fabelwesen

Neues von der Design Miami und Alcova Miami

Neues von der Design Miami und Alcova Miami

Alles auf einmal

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Breite Eleganz

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Alles auf eine Bank

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Homeoffice im Wandel

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 2

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 2

Blick ins Homeoffice

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1

Ruf der Falte

Paravent-Ausstellung in der Fondazione Prada Mailand 

Paravent-Ausstellung in der Fondazione Prada Mailand 

Best-of Fliesen 2023

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Sinn für Leichtigkeit

Alberto-Meda-Ausstellung in der Mailänder Triennale

Alberto-Meda-Ausstellung in der Mailänder Triennale

Bunte Becken

Die Colour Edition von DuPont Corian

Die Colour Edition von DuPont Corian

Wohnliche Exzentrik

Fabian Freytag gewinnt Best of Interior Award 2023

Fabian Freytag gewinnt Best of Interior Award 2023

Ton, Steine, Onyx, Wachs

Die Neuheiten der Fliesenmesse Cersaie 2023 in Bologna

Die Neuheiten der Fliesenmesse Cersaie 2023 in Bologna

Wohnliche Technik

Smart-Home-Lösungen von Gira zwischen Hightech und Hygge

Smart-Home-Lösungen von Gira zwischen Hightech und Hygge

Leben im Ommm

Die Verbeigung des Wohnraums ist Farbtrend und Gefühls-Seismograph

Die Verbeigung des Wohnraums ist Farbtrend und Gefühls-Seismograph

50 Jahre Togo

Ligne Roset feiert das Kultsofa der siebziger Jahre

Ligne Roset feiert das Kultsofa der siebziger Jahre