„Nachhaltige Opulenz ist möglich“
Innenarchitektin Sophie Green im Gespräch
Materialreduktion ist einer der Lösungsvorschläge, wenn es um die nachhaltige Bauwende geht. Sophie Green hingegen argumentiert, dass ein verschwenderischer Materialumgang für eine grüne Innenarchitektur auch förderlich sein kann. Wie und warum – das erzählt sie im Interview.
Sophie Green hat sich auf grüne Innenarchitektur spezialisiert. Ihr Nachname klingt dabei wie ein Aushängeschild, jedoch ist Green kein Künstlername. Ihr Vater, dem sie diesen Nachnamen verdankt, ist Amerikaner. International gestaltet sich auch ihr Berufsleben: Sophie Green führt zwei Standorte für Innenarchitektur – einen in Brüssel, den anderen in München – und realisiert weltweit Projekte. Die Bundesarchitektenkammer nominierte sie zur Delegierten beim ECIA (European Council of Interior Architects). baunetz id sprach mit Green über neue Denksysteme für nachhaltige Innenarchitekturen und Lösungen für Nachfolgenutzungen.
Innenarchitektur gilt eher als schnelllebige Disziplin. Wie kann sie zur nachhaltigen Bauwende beitragen?
Zunächst einmal: Innenarchitektur ist für mich der nachhaltigste aller Architektenberufe! Wir entwickeln keine neuen Gebäude. Wir arbeiten mit dem Bestand. Denn meistens geht es in der Innenarchitektur um eine Umnutzung. Also darum, ein neues Programm für den Nutzer zu entwickeln. Klar, wenn man Marmor aus China einfliegen lässt, ist Innenarchitektur nicht nachhaltig. Und natürlich gibt es die schnelllebige, trendige Innenarchitektur – die bezeichne ich jedoch als Interiordesign. Schnelllebige Interiors kommen bei unseren Lösungen nicht vor.
Wird eine „grüne“ Innenarchitektur eher durch den Einsatz nachhaltiger Materialien erreicht – oder geht es um Materialreduktion?
Es kommt auf die Situation an. Ein Beispiel: Die Natur ist doch eigentlich die größte Designerin und Verschwenderin schlechthin. Im Frühling wächst alles neu, wird üppig, schön und bunt. Im Herbst und Winter verfärben sich die Blätter, fallen herab, alles verrottet. Aber die Natur bewegt sich in einem Kreislauf. Nach einer gewissen Zeit wachsen neue Blüten, neue Blätter. Das ist eine positive, nachhaltige Verschwendung. Nachhaltige Opulenz.
Was bedeutet das für die Innenarchitektur?
Man kann verschwenderisch mit einem Material umgehen, wenn der Nachfolgenutzen bereits eingeplant ist. Und sich so ein zirkulärer Kreislauf ergibt. Wenn also Glas aus alten Fenstern wiedergenutzt wird, dann kann verschwenderischer damit umgegangen werden, als wenn ich neues Glas nutze. Und wenn dieses Glas dann so eingebaut wird, dass es gegebenenfalls in fünf Jahren weiter verwertet werden kann, dann ist es umso besser. Ich würde übrigens mittlerweile keine Glaswände mehr planen, wenn ich dazu neues Glas bestellen müsste. Es geht bei nachhaltiger Innenarchitektur also nicht zwingend um Materialreduktion. Man muss nur genau selektieren, mit welchen Materialien man verschwenderisch sein kann.
Lässt sich in Ihrem Arbeitsalltag eine Nachnutzung von Materialien genau einplanen?
Natürlich geht das nicht immer. Man kann es sich aber zur Regel machen, Materialien so zu verwenden, dass sie leicht zurückgebaut werden können. Beispielsweise indem man verschraubt, anstatt zu kleben. Es kommt auch vor, dass wir selbst Materialien an einer Baustelle zurückbauen und bei einem anderen Projekt wieder verwerten, weil es einfach gut passt.
Welche Herausforderungen gibt es bei Transformationsprojekten für die Innenraumplanung?
Zunächst geht es mir immer darum, den Bestand energetisch zu sanieren, das Gebäude auf den neuesten Stand der Technik zu bringen und seinen Energieverbrauch maximal zu minimieren. Das ist bei Bestandsarchitektur oft sehr komplex. Die Grundlagenermittlung, also zu verstehen, womit man es zu tun hat, ist ein weiterer herausfordernder Schritt. Menschlich und architektonisch. Gibt es vielleicht Möglichkeiten für Raumabläufe, an die der Kunde noch gar nicht gedacht hat? Ist das, was die Nutzer glauben zu brauchen, auch wirklich nötig? Workshops eignen sich hier gut, um weitere sinnvolle Szenarien offenzulegen, beispielsweise in Richtung einer Multifunktionalität der neuen Räumlichkeiten. Was wir außerdem bei jedem Projekt einprogrammieren, ist ein Audit: Welche Materialien und Produkte sind vorhanden, was lässt sich weiter verwerten? Können Materialien in der Nähe besorgt werden? Gibt es lokale Handwerker und so weiter?
Sie arbeiten in verschiedenen Bereichen – vom privaten Wohnen über Büros bis hin zu medizinischen Einrichtungen. Bei welchen Projekten gibt es den größten Spielraum für neuartige und nachhaltige Lösungen?
Am schnellsten, innovativsten und experimentellsten sind die privaten Projekte. Da kommt es natürlich sehr auf die jeweiligen Bauherren an, inwiefern sie bereit sind, ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen und Eigenengagement einzubringen.
Was genau meinen Sie damit?
Wir hatten gerade ein Projekt, wo die Bauherren Fliesen von einer alten Schule nutzen wollten. Dazu musste aber erst einmal der alte Zement am Rücken der Fliesen entfernt werden. Egal ob neue oder alte Fliese, das Fliesenlegen kostet dasselbe. Aber es gibt kaum Spezialisten, die ein altes Baumaterial für eine Nachnutzung tauglich machen. In unserem Fall haben die Bauherren selbst Hand angelegt. Das muss man bedenken.
In welchem Bereich gestaltet sich die Umsetzung von Nachhaltigkeit am schwierigsten?
Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist überall vorhanden. Die schnellste Hebelwirkung liegt bei den Investoren-Projekten. Wenn man jedoch zu den Kosten kommt, wird da oft gekniffen: Lokale Holzplatten aus nachhaltigem Anbau sind eben erst einmal teurer. Jedoch: Bei günstigen Holzplatten aus der Ferne sind die Preise nicht ehrlich berechnet – es kommen ja immer noch die Kosten für die graue Energie, den CO2-Verbrauch hinzu. Schwieriger gestaltet sich auch die Nachhaltigkeit im Healthcare-Bereich. Das liegt aber an den strengen Vorgaben hinsichtlich der Hygiene. Böden müssen beispielsweise hochgradig versiegelt sein und verklebt werden.
Bei welchem Projekt aus Ihrem Portfolio ist die Umsetzung von Nachhaltigkeit besonders gut gelungen?
Bei der Gestaltung der Empfangshalle eines Wohlfahrtsbüros in Brüssel. Wir haben dort alle Einbauten erhalten und lediglich neu verkleidet oder gestrichen. Alte Türen haben wir so aufgearbeitet, dass selbst Schließmechanismen nicht erneuert werden mussten. Aber auch hier: Man findet sicherlich die eine oder andere Sache, die man hätte nachhaltiger umsetzen können. Der große Trick ist eben, so wenig wie möglich zu machen. Und das ist schwierig, denn die Kunden kommen ja eigentlich zu uns, weil alles umgebaut werden soll. Es ist eine neue Art zu denken, die erst einmal in den Köpfen ankommen muss!