Menschen

Nähe, Frische und Substanz

Leo Lübke über Strategien der Nachhaltigkeit bei COR

COR zählt zu den nachhaltigsten Unternehmen der Möbelbranche in Deutschland. Und das bereits seit über 25 Jahren. Die Veröffentlichung des ersten Nachhaltigkeitsberichts ist nun der Auftakt dafür, das Engagement des Unternehmens gezielt zu kommunizieren. Wir sprachen mit dem Geschäftsführer Leo Lübke über Werte, lokale Ressourcen, nachhaltige Materialtrends und das neue Projekt RE:COR.

von Kathrin Spohr, 09.11.2022

Sie haben gerade den ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Wie bedeutsam ist das für Sie persönlich?
Sehr bedeutsam! Umweltschutz hat schon immer einen hohen Stellenwert gehabt. Als Anfang der Achtzigerjahre beispielsweise die ersten Katalysatoren herauskamen, habe ich sofort einen für mein Auto gekauft. In meinem Freundeskreis hat das damals keiner verstanden. Darüber hinaus: Sinnvolle Sparsamkeit war bei uns zu Hause großgeschrieben. Man schaltet das Licht aus, wenn es nicht gebraucht wird, und so weiter. Trotzdem bin ich auch ein Kind der Wohlstandsgesellschaft und bin mir bewusst, dass wir viel zu viel verbrauchen. Ganz ehrlich: Das quält mich auch ein bisschen! Jedes Produkt, das nicht produziert wird, ist besser für die Umwelt.

Wie lange spielt das Thema Nachhaltigkeit bei COR schon eine Rolle?
COR war 1996 eines der ersten Unternehmen der Möbelbranche, das an einem Öko-Audit teilgenommen hat. Unsere Dächer werden seit 17 Jahren sukzessive mit Photovoltaik ausgestattet. Wir haben an unserem Standort eine sehr hohe Fertigungstiefe. Wir setzen auf Buchenholzgestelle. Die Buchenholzreste nutzen wir zum Heizen. Wir sind autark, was die Wärme angeht. Jedoch unser Stromverbrauch liegt über dem, was wir produzieren. Dafür nutzen wir Ökostrom. Wir haben einen CO2-Ausstoß von 770 Tonnen. Das ist für ein produzierendes Unternehmen nicht viel. Dabei zeigen die Zahlen unserer CO2-Bilanz schon zum dritten Mal nach unten. Das ist ein wichtiger Schritt. Seit 2020 sind wir zudem klimaneutral durch den Zukauf von Klimazertifikaten.

Was ist der Grund dafür, dass Sie erst jetzt einen Bericht veröffentlicht haben?
Die diesjährige Milan Design Week, auf der wir seit der Pandemie erstmals wieder vertreten waren, war unser Ziel für den Launch des Nachhaltigkeitsberichts. Die Kund*innen interessieren sich derzeit sehr für dieses Thema. Sie sollen sicher sein können, dass die Produkte, die sie bei COR kaufen, die Umwelt nicht belasten. Deswegen ist die Veröffentlichung eines Umweltberichts ein wichtiges Statement.

Bisher verfügte COR noch nicht über eine explizite Nachhaltigkeitsstrategie. Eine externe Beratung unterstützt Sie nun dabei, diese bis zum nächsten Jahr zu entwickeln. Was ist das Ziel?
Langfristig gesehen, wollen wir aus eigener Kraft umweltneutral werden, ohne Zertifikatszukauf. Dafür brauchen wir eine Umweltstrategie, um Ziele und Prioritäten zu setzen. Das Unternehmen „Fokus Zukunft“ hilft uns dabei. Seit jeher tun wir einiges in Sachen Nachhaltigkeit. Auch im sozialen Bereich. Nur: Die Leute wissen all das nicht. Nachhaltigkeit ist so ein Megathema – und wir kommunizieren unser Engagement zu wenig. Das muss sich ändern! Wir wollen mit dem Thema Nachhaltigkeit expliziter an die Öffentlichkeit gehen. Als Teil der Unternehmenskommunikation. Wir sind eines der umweltfreundlichsten Unternehmen der Möbelbranche.

Die Trendforscherin Oona Horx-Strathern hat den Begriff FurNEARture geprägt. Es ist eine Wortschöpfung aus „Furniture“ und „Near“. Möbel sollen nicht nur nachhaltig sein, sondern aus der Gegend oder dem Land kommen, in dem wir wohnen. Inwiefern spielt dieser Trend bei COR eine Rolle?
Das ist genau unsere Philosophie! Wir haben drei Werte für COR festgelegt: Nähe, Frische und Substanz. Zwei Drittel unserer Lieferanten kommen aus Deutschland, ein Drittel aus dem europäischen Ausland. Wir haben alle relevanten Abteilungen bei uns unter einem Dach. Das Massivholz, das wir verwenden, stammt aus dem Sauerland, aus weniger als 50 Kilometer Entfernung. Der Raum Höxter, das Paderborner Land, ist übrigens der größte Buchenforst der Welt. Wir versuchen, alles lokal zu sourcen. Die Ausnahme sind einige Stoffe und Lieferanten aus Italien. Aus Übersee kommt nichts.

Nähe ist aber auch das Stichwort für unseren Absatzmarkt. Früher hatten wir den Ehrgeiz, möglichst international zu sein. Mittlerweile sind wir stolz auf eine Deutschland-Quote von 70 Prozent. Wir leben von der Nähe. Nicht nur die Nähe der Beschaffungsmärkte, sondern auch die Nähe zu den Kund*innen. Wir haben beschlossen, uns strategisch aus den Übersee-Märkten zurückzuziehen und uns auf Europa zu fokussieren.

Einige Designer*innen experimentieren mit Möbeln aus Seegras, Pilzmyzel und ähnlichen Materialien. Sind das auch Optionen für COR?
Die Firma Heller Leder, 100 Kilometer entfernt von uns, mit der wir sehr eng zusammenarbeiten, produziert Pilz-basiertes Leder. Es wird im Reagenzglas gezüchtet. Der Preis dafür ist leider astronomisch. Ein Sofa damit zu beziehen, wäre kostentechnisch unmöglich. Wir setzen eher auf tradierte be­zie­hungs­wei­se nachwachsende Materialien wie Gummi, Latex, Kokosfasern, Schafwolle und so weiter. Wenn man natürliche Materialien alternativ zu erdölbasiertem Schaumstoff einsetzen möchte, diese jedoch nach fünf Jahren durchgesessen sind, dann ist dies kein Beitrag für den Umweltschutz. Vielleicht liegt dann die Lösung darin, weniger Schaumstoff einzusetzen, also eine bessere Unterfederung zu entwickeln, damit der Schaum reduziert werden kann. Da experimentieren wir. Wir nutzen unsere Projekte, um zu lernen. Was kann man substituieren? Wo ist das natürliche Material besser?

Je länger der Lebenszyklus eines Produkts, desto nachhaltiger ist es. Welche Bedeutung hat der Austausch von Komponenten be­zie­hungs­wei­se die Reparatur von Möbeln?
Wir entwickeln ein ganz neues Projekt dazu, RE:COR. Wir möchten Möbel von Endkund*innen zurücknehmen, diese aufarbeiten und wieder dem Markt zurückgeben. Wir haben bereits damit begonnen, Möbel zu sammeln, zu reinigen, neu zu beziehen – dennoch sind wir ganz am Anfang. Deswegen kann man das Thema nur streifen. Da steckt der Teufel im Detail: Wie bekommt man die Produkte von den Endkund*innen komfortabel und nachhaltig zurück? Eine logistische Herausforderung, die natürlich auch mit CO2-Ausstoß in Zusammenhang steht. Auch interne Prozesse sind dabei nicht so ganz einfach.

In Ihrem Bericht steht auch, dass der Lederbedarf ab- und der Stoffbedarf zugenommen hat. Woran liegt das?
Das hat wenig mit Umwelt- oder Tierschutz zu tun! Viele behaupten, dass Tiere geschlachtet werden, um Leder zu erzeugen. Das stimmt aber nicht, denn es ist ein Abfallprodukt. Tiere werden gemästet, wegen des Fleisches. Für das Leder erhalten die Schlachthöfe nur wenig Geld, wenn überhaupt. Grundsätzlich ist Leder eine tolle Sache, weil es sehr langlebig ist. Es bekommt Patina. Bei guter Pflege altert Leder elegant, also anders als Stoff. Dass die Nachfrage nach Leder abgenommen hat, liegt daran, dass die Leute heute anders wohnen.

Wie wohnen sie heute?
Das Wohnzimmer ist nicht mehr der Ort, wo man sich mit Freund*innen aufhält. Besuch empfängt man eher am Esstisch. Man kocht, isst gemeinsam. Weil die Köpfe am Tisch einander zugeneigt sind, kann man sich besser unterhalten. Auf dem Sofa liegt man herum – mit iPads, Rechnern oder auch einem Buch. Es ist zu einem privaten Rückzugsmöbel geworden. Daher ist das Sofa heute tiefer, üppiger und kuscheliger – und weiche Stoffe sind kuscheliger als Leder.

Worin sehen Sie also die größte Herausforderung in Sachen Nachhaltigkeit für Ihr Unternehmen?
Die größte Herausforderung wird sein, dass unsere Kund*innen bereit sind, Nachhaltigkeit zu honorieren. Wenn man Energie einspart, spart man natürlich auch Geld. Aber viele andere Maßnahmen, etwa die Entwicklung langlebigerer Möbel, kosten Geld. Glücklicherweise findet ein Umdenken in der Gesellschaft statt, wenn auch eher in der Zielgruppe mit höherer Kaufkraft, als bei Menschen, die dazu gezwungen sind, billige Möbel zu kaufen. Meine Hoffnung ist, dass die Kundschaft bereit ist, Nachhaltigkeit zu bezahlen. Bei Architekt*innen und Planer*innen des Objektbereichs ist das anders. Sie erfragen Nachhaltigkeitsaspekte und -zertifikate unserer Möbel, weil sie klimaneutrale Projekte umsetzen wollen.

Wie machen sie den Endkund*innen verständlich, was der Mehrwert eines teureren, aber nachhaltigeren Möbels ist?
Unsere Aufgabe ist es, das wofür wir stehen, klar zu kommunizieren. Unsere Werte Nähe, Frische und Substanz haben viel mit Nachhaltigkeit zu tun. Die Nähe haben wir besprochen. Die Substanz ist essenziell: Wir beschäftigen uns intensiv damit, wie wir Sitzmöbel verbessern können. Da spielen Langlebigkeit, Reparaturfreundlichkeit, Einsatz der Materialien eine Rolle. Das ist auch ökologisch. Die Frische bedeutet, dass wir uns mit unkonventionellen Dingen auseinandersetzen. Wir sind nicht traditionell, sondern wir wollen die richtigen Möbel für die Herausforderungen dieser Zeit produzieren. Nicht retro, sondern nach vorne gerichtet. Das ist uns auch ganz wichtig. Mit diesen Werten sind wir gut für die Zukunft mit den kommenden Herausforderungen aufgestellt. Und ja, wir hoffen natürlich, dass wir genug Kund*innen finden, die sagen: Genau das haben wir gesucht!

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Damit ein Möbel aber all diese Qualitäten erfüllen kann, müssen vorab sehr viele Menschen vieles sehr richtig gemacht haben. Sie müssen, zum Beispiel, die besten Materialien ausgewählt haben. Sie müssen diese nach höchsten handwerklichen Standards verarbeitet und geprüft haben. Und vor alledem steht der kluge Entwurf eines Designers, der all das vorwegnimmt, was das Sitzen, Entspannen und Wohnen über Jahre hinweg zu einem Vergnügen macht. Diese Art von Möbeln fertigen wir bei COR.

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