Stian Korntved Ruud
Ein Interview mit dem Herrn der Löffel über sein Projekt Daily Spoon.
Stian Korntved Ruud hat immer ein Messer dabei. Und er ist ständig auf der Suche nach besonderen Hölzern. Die Faszination für das Material und seine vielen Möglichkeiten begleitet den jungen Osloer Designer schon seit seiner Kindheit. Vor fast einem Jahr begann er – mehr beiläufig als geplant – jeden Tag einen Löffel zu schnitzen und folgte damit dem wachsenden Trend für 365–Projekte, die über einen Zeitraum von einem Jahr dokumentiert und täglich auf Social-Media-Kanälen geteilt werden. Mittlerweile hat er eine große Kiste voll Löffel und eine Hand voller Narben. Anlässlich der nahenden Ziellinie sprachen wir mit ihm über sein Projekt Daily Spoon, das Ausloten von Kreativität, Schaffensfrust und Handwerkstradition.
Der heutige Löffel unterscheidet sich – wie man auf Deinem Instagram-Account verfolgen kann – ganz deutlich von seinen Vorgängern. Was hat es damit auf sich?
In der letzten Zeit habe ich mich viel mit dem Dampf-Biegeverfahren beschäftigt. Ich habe gerade Hölzer bekommen – Ahorn, Esche und Birke, – die sich besonders gut für diese Technik eignen. Wenn ich, wie jetzt im Moment, neue Methoden ausprobiere, dann klappt es häufig erst mal nicht besonders. Es ist ein ständiger Wechsel zwischen Lernen und Scheitern. Aber genau deshalb mache ich ja gerade gebogene Löffel (lacht)!
Der wievielte Löffel ist das jetzt?
Ich habe heute meinen dreihunderundvierzigsten Löffel gemacht. Irgendwann im April werde ich fertig sein.
Und weißt Du schon, wie die übrigen fünfundzwanzig aussehen werden? Gibt es so etwas wie einen Ideen-Vorrat oder methodisches Vorgehen?
Ich halte meine Einfälle zeichnerisch in Skizzenbüchern fest. Aus den meisten Ideen entstehen häufig mehrere Varianten, die ich dann in verschiedenen Hölzern oder unterschiedlichen Techniken umsetze. Ich lasse mich auch sehr von den verschiedenen handwerklichen Macharten inspirieren und experimentiere viel. Es ist ein lebendiger Prozess, der mittlerweile eine eigene Dynamik entwickelt hat. Manchmal finde ich ein sonderbar aussehendes Stück Holz. Dann mache ich erst mal einen ganz einfachen Löffel daraus, um das Holz und seine Eigenschaften besser kennen zu lernen, bevor ich entscheide, wie die eigentliche Form werden soll und mit welcher Technik und mit welchem Werkzeug ich arbeite. Meistens entsteht also eine Form, welche die Eigenschaften des jeweiligen Holzes wiederspiegelt. Durch die manuelle Bearbeitung versuche ich, den natürlichen Charakter des Materials herauszuarbeiten. Ich folge da einer Art inneren, kohärenten Logik.
Wie ist das Projekt entstanden?
Das Material Holz begleitet mich schon mein ganzes Leben. Mein Großvater ist Holzschnitzer. Als Kind habe ich ihm immer bei der Arbeit zugesehen und seine Werkzeuge bewundert. Diese Faszination für dieses traditionelle Handwerk brachte mich dazu, Hölzer zu sammeln. Dann hatte ich irgendwann ein paar neue Messer, die ich ausprobieren wollte und eben viel unbearbeitetes Holz herumzuliegen. Da war ein kleiner Löffel zum Testen meiner Schnitzfähigkeiten das Naheliegendste. Irgendwann hatte ich um die zwanzig Stück, fing an, sie zu dokumentieren und plötzlich wurde daraus ein Projekt. Da merkte ich: Es gibt kein Zurück.
Der Löffel ist einer der archaischsten Artefakte unserer Sachkultur. Hat während des Prozesses eine Beschäftigung mit historischen und kulturellen Bezügen stattgefunden, oder sind die Entwürfe in einer Art „Vakuum“ entstanden?
Im Laufe der Zeit hatte ich Kontakt zu verschiedenen Sammlern, die auch Bücher zum Thema veröffentlich haben. Dadurch konnte ich einen Einblick in die Vielfältigkeit und den Formenreichtum dieses doch relativ simplen Gegenstandes bekommen. Es passiert auch, dass jemand kommt, sich einen Löffel anschaut und sagt: „Der sieht aus wie aus dem Mittelalter.“ Dann fange ich an, das zu recherchieren und lasse mich davon inspirieren. So entsteht ein Wechselspiel zwischen historischen und kulturellen Referenzen und meiner eigenen Kreativität, mit der ich Gesehenes interpretiere.
Apropos simpel: Welche formalen und ästhetischen Qualitäten müssen denn die Löffel besitzen? Gibt es vordefinierte Kriterien oder ist das angesichts der schieren Menge unmöglich?
Neben der weitgehenden Berücksichtigung der klassischen, einen Löffel charakterisierenden Bestandteile wie Stiel und Laffe, versuche ich experimentelle Formen zu schaffen, um zu sehen, wie weit man das Prinzip, nach dem dieser Gegenstand funktioniert, ausreizen kann und wie die verschiedenen Formen vielleicht andere, eher unkonventionelle Handhabungen hervorbringen können. Manche Löffel sehen aus wie Essstäbchen, andere wie ein Spachtel, manche sind auch einfach wirklich dysfunktional und nur optisch-ästhetisch interessant.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Arbeit an Daily Spoon intensiv und auch sehr zeitaufwendig ist. Welche Bedeutung hat diese Arbeitsweise für deine anderen Projekte?
Im Rückblick sehe ich das Projekt als eine Art Verdichtung meiner generellen Arbeitsweise, empirisch viele Alternativen zu einer einzigen, offensichtlichen Lösung zu suchen. Ich glaube, das Projekt hat mir die Augen geöffnet und gezeigt, wie ich arbeite, was ich als Gestalter leisten kann. Außerdem ein fertiges Objekt nicht als Endergebnis zu betrachten, sondern als Teil eines übergeordneten Prozesses zu begreifen. Das ist eine wertvolle und schlüssige Erkenntnis für einen Designer.
Gab oder gibt es Momente, in denen du dachtest, dass eine Grenze erreicht ist?
Ja, manchmal ist es ermüdend, immer nur das gleiche zu machen, sich tagaus, tagein mit nur einer Sache zu beschäftigen. Vor allem dann, wenn nicht alles sofort auf Anhieb klappt. Manchmal muss ich vier Löffel machen, um am Ende einen zu haben, der funktioniert. Das gibt natürlich Frustration. Aber je mehr kaputtgeht, desto mehr lerne ich. Auf jeden Fall freue ich mich, dass das Projekt bald zu Ende sein wird und ich mich in der dann frei gewordenen Zeit wieder mehr mit anderen Dingen beschäftigen kann.
Was sind die weiteren Pläne für Daily Spoon?
Im Moment suche ich Verleger, um das Projekt in Form eines Buches zu veröffentlichen. Außerdem sind Ausstellungen in Oslo und Amsterdam geplant. Und es gibt schon jetzt Anfragen von Interessenten, die Löffel aus der Kollektion kaufen möchten. Aber natürlich ist das keine Option, denn damit würde das gesamte Konzept von Daily Spoon auseinanderbrechen, da ja dann Teile des Ganzen – einzelne Tage aus dem gesamten Jahr sozusagen – fehlen. Daily Spoon ist eben die Summe seiner 365 einzigartigen Teile.
Vielen Dank für das Gespräch.
FOTOGRAFIE Stian Korntved Ruud
Stian Korntved Ruud