Ätherische Höhle
Das Interior von Beyond Space beamt ein Büro in eine Unterwasserblase
Als das Amsterdamer Studio Beyond Space den Auftrag erhielt, die Räume des Textilspezialisten Siersema zu entwerfen, orientierten sich die Architekt*innen am Portfolio des neuen Kunden – und gestalteten nicht nur ein ungewöhnliches Büro, sondern eine begehbare Visitenkarte.
Die Lage und Struktur der hohen Räume in einem Amsterdamer Hafenneubau hätten idealer kaum sein können: Sie liegen direkt an der Mündung des Flusses IJ, bieten einen ungehinderten Blick auf das Wasser und profitieren von jeder Menge Tageslicht. Trotzdem fehlte den Architekt*innen von Beyond Space dort etwas Wesentliches – die Atmosphäre. „Der Raum war, ehrlich gesagt, ansonsten ziemlich langweilig“, erzählen sie. Sie entschieden sich dafür, die Qualitäten des Außenraumes auf das Interior zu übertragen und gleichzeitig die Unternehmensidentität des Textilherstellers Siersema zum Thema zu machen. Die Wahl des dominierenden Materials war somit schon vor der Entwurfsphase festgelegt. Beyond Space entschied sich, konsequent mit Stoff zu arbeiten und mit ihm nicht nur dekorative, sondern auch raumbildende Maßnahmen umzusetzen.
Räume nach Schnittmuster
Ein weitläufiger und rechteckiger Raum ohne trennende Elemente war die Ausgangssituation. Dort sollten nicht nur Büro und Ausstellungsfläche verbunden, sondern auch unterschiedliche Arbeitszonen, wie Schreibtischgruppen, Lounge-Areal, Besprechungsraum und Gemeinschaftsbereich aufgenommen werden. „Die Vorgabe, dass sich das Kerngeschäft des Kunden in unserem Raumkonzept zeigen sollte, brachte uns schnell auf die Idee, die Räume aus Vorhängen zu gestalten“, erläutert das Team von Beyond Space. Die Textilbahnen wurden in dichter und regelmäßiger Abfolge unter der gesamten Decke montiert. Weil jede Bahn in einer individuellen Länge und Silhouette zugeschnitten wurde, kann die Installation die einzelnen Funktionsbereiche bilden. An den Fenstern weiten sich kuppelförmige Höhlen und die große, quadratische Innenfläche wird dank einer einheitlichen Höhe zum offenen Interaktionsraum mit Küchentresen und Barhockern.
Präziser Wellenschlag
Mit der Wahl des Stoffes greifen die Gestalter*innen die Lage am Fluss als Metathema auf. Durch eine weich fallende und semitransparente Textur und eine wasserähnliche Farbe entsteht ein Raumklima, das Anleihen an einem Aquarium nimmt. Und weil Beyond Space die Installation der Bahnen wellenförmig angelegt hat, erinnern sie tatsächlich an das Kräuseln einer Wasserfläche im Wind. Um den Negativraum so präzise wie möglich zu definieren, haben die Planer*innen auf das handwerkliche Können ihres Kunden Siersema gesetzt. Die Textilexperten nutzten für den Zuschnitt einen computergesteuerten Laser. Kordelgewichte beschweren die Säume und lassen den semitransparenten Stoff entsprechend seines vorgesehenen Faltenwurfs fallen. Insgesamt ein Kilometer Textil steckt in dem Interieur – und Liebe, Präzision und exklusive Verarbeitung stecken in jedem Zentimeter. Dabei wurde auch auf dem Weg noch einmal nachgebessert, wie die Architekt*innen berichten: „In der Praxis stellten wir fest, dass es für das Design entscheidend war, dass die Vorhänge nicht bis zum Boden reichen. Wenn sie den Boden berührten, wirkte der Raum viel zu bedrückend.“
Viel Sicht und kaum Lärm
Durch die ungewöhnliche Definition eines Layouts über die Mittel des Textils konnte auf den Einbau physischer Wände weitgehend verzichtet werden. Nur der kleine Besprechungsraum ist durch eine rahmenlose Glaswand von der restlichen Fläche getrennt. Die Sichtachsen zwischen der Küche und den Arbeitszonen – und bis zum benachbarten Fluss – werden somit nicht gestört. Beyond Space erklärt das Raumgefühl ebenfalls mit einem Verweis auf Unterwasserszenarien: „Wir hatten die Idee, dass man in diesen Räumen die Intimität einer Luftblase erleben könnte.“ Unterstützt wird das Narrativ auch durch die schallschluckende Eigenschaft des Stoffes und eine Insel aus Grünpflanzen, die wie ein kleines Korallenriff in der Fläche steht. Der durch die textile Intervention entstandene Raum fließt ineinander und ist doch separiert. Mit schwebender Leichtigkeit wirkt er gemütlich und schafft private Bereiche, die sich doch nicht abschotten. Das Resultat ist ein Showcase des Portfolios von Siersema, findet Beyond Space: „Das neue Büro ist eine geradezu magische Demonstration dessen, was unser Klient am besten kann.
FOTOGRAFIE Peter Tijihus
Peter Tijihus