Architektur für die Menschenschlange
Arbeitsämter gehören als öffentliche Zweckbauten aus architekturtheoretischer Sicht in die Kategorie der Profanarchitektur. Und in den meisten Fällen ergibt sich durch ihre Organisation ein jeder Ästhetik entbehrender Funktionalismus: Der bürokratische Wahnsinn haust nur allzu oft in kleinen Amtsstuben hinter schmalen langen Fluren oder manifestiert sich in großen Wartehallen mit surrenden Nummernmaschinen. Das alte Dessauer Arbeitsamt, 1928 von Walter Gropius entworfen, sollte verstopften Behörden mit einem durchdachten Raumkonzept ein Ende bereiten. Statt eines Sackgassen-Grundrisses gestaltete der ehemalige Leiter des Bauhauses einen dynamischen Kreislauf, der die Arbeitssuchenden automatisch durch alle Stationen des Amtes leitete.
Die Geschichte der Arbeitsämter ist noch jung. Vor kaum mehr als 100 Jahren eröffnete in Berlin der erste „Arbeitnachweis“ – wie die heutige „Agentur für Arbeit“ damals noch genannt wurde. Diese zentral organisierten Vermittlungsstellen waren mehr oder minder die Stein gewordene Kehrseite der Industrialisierung und des wirtschaftlichen Aufschwungs und Vorboten der 1929 zuschlagenden großen Weltwirtschaftskrise. Davon ahnte man 1927, als in Dessau der Bau eines neuen Arbeitsamtes beschlossen wurde, freilich noch nichts. Die ansteigenden Arbeitslosenzahlen wurden als unumgängliche Folge von Mechanisierung und Rationalisierung interpretiert und als Anbruch einer neuen Zeit verstanden, in der Maschinen und Fließbänder Handwerk und Handarbeit automatisieren würden – die Geburt des Maschinenzeitalters. Gleichzeitig zogen immer mehr Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Städte und 1925 näherten sich die Arbeitslosenzahlen in Deutschland der Zweieinhalb-Millionen-Grenze. Wer um Arbeit warb, hatte viel Konkurrenz und musste mit langen Wartezeiten bei den zuständigen Stellen rechnen, die bald nicht mehr in der Lage waren, die neuen Anforderungen organisatorisch zu bewältigen.
Rationalisierung „von Amts-Wegen“
Als der geschlossene Wettbewerb für das neue Arbeitsamt in Dessau 1926 ausgeschrieben wurde, war die Entwicklung eines speziellen Gebäudetyps für die Vermittlung von Stellen eine völlig neue Bauaufgabe. Hugo Häring, Max Taut und Walter Gropius waren eingeladen ihre Entwürfe einzureichen. Man entschied sich schlussendlich zugunsten der Lösung des ersten Bauhaus-Direktors, der einen flachen Rundbau mit einem zurückgesetzten Gebäuderiegel vorsah. Ein durch und durch funktionales Gebäude, das sich durch Proportion, Zugang und Gestaltung in den städtebaulichen Kontext einfügt, gleichzeitig durch seine innere Organisation die Behörde und ihre Abläufe neu strukturiert. Damit war Gropius einem Hauptanliegen der Stadt Dessau gerecht geworden, die sich eine effiziente Abwicklung der Belange der Arbeitssuchenden mit möglichst wenigen Beamten gewünscht hatte. Zudem war die Zahl der täglichen Besucher großen Schwankungen unterworfen und Gropius regulierte die Ströme durch eine kreuzungsfreie Wegeführung.
Menschenströme in den Amtsadern
Zentral in der Stadt an einem begrünten Platz gelegen, empfingen fünf Eingänge die verschiedenen Arbeitsgruppen wie beispielsweise Angestellte, Metallarbeiter oder höhere Beamte. Gleichzeitig war das Gebäude in eine „männliche Abteilung“ und eine „weibliche Abteilung“ getrennt, wobei der Bereich für die arbeitssuchenden Frauen ungleich kleiner ausfiel. Eine verschiebbare Schranke zwischen den beiden Sektoren ermöglichte jedoch bei veränderter Auslastung durch Erweiterung oder Verkleinerung des Raumes dynamisch zu reagieren. Und auch der übrige Grundriss zeugt von Gropius Begeisterung für funktionale Architektur, die in ihrer konsequenten Organisation schon fast an industrielle Fabrikabläufe erinnert: Hatte der Arbeitssuchende das halbkreisförmige Gebäude betreten, landete er zunächst in einem Wartezimmer, von dem aus zwei Büros abzweigten. Hier wurde er unter vier Augen von einem Mitarbeiter des Amtes beraten und – wenn er Glück hatte – auch vermittelt. Das war ein Novum, denn in den meisten „Arbeitsnachweisen“ gab es zu dieser Zeit große Schalterhallen, in denen alle verfügbaren Arbeitsstellen laut ausgerufen wurden. Der Ausgang der Büros führte in den inneren, ebenfalls halbkreisförmigen Flur, zur Kasse und zu den beiden Ausgängen, die an der Rückseite des Gebäudes lagen. Dadurch, dass der Grundriss die Abläufe des Amtes aufnahm und alle Stationen hintereinander schaltete, war der Weg durch das Gebäude und die Abwicklung des Gesuches ein Kreislauf ohne Wegedopplungen. Die Innenausstattung und Möblierung wurden von den Bauhaus-Werkstätten übernommen, so dass sich neben Tischen auch Klassiker wie Wilhelm Wagenfelds Tischleuchte aus Glas oder Bauhaus-Türdrücker fanden.
Neues Bauen: Sheddach und Stahlskelett
Erscheinung und Konstruktion des Amtes für Arbeit nehmen Anleihen bei der Architektur industrieller Funktionsbauten. Von außen ist der Stahlskelettbau mit senffarbenen Klinkern verkleidet und fensterlos gehalten – nur ein am First entlang laufendes Fensterband und die Sheddächer sorgen in den Innenräumen für einen gleichmäßigen Lichteinfall. Eine Beleuchtungslösung, die die Räume zwar sehr hell macht, aber nicht bei allen zeitgenössischen Nutzern auf Gegenliebe stieß. Nach dreijährigem Amtsbetrieb konstatierte der Leiter des „Arbeitsnachweises“, dass das Oberlicht „gewisse Nachteile an stimmungsmäßiger Wirkung auf die Arbeitnehmer“ hätte. Und so wurden wenig später schon die Außenwände des Bogenbaus durchbrochen und zusätzliche Fenster eingesetzt, sowie die den Schreibtischen gegenüberliegenden Wände in fröhlichen Farben gestrichen und durch Bilder aufgelockert.
Das Arbeitsamt von Walter Gropius ist das einzige Dessauer Bauhaus-Gebäude, das die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschädigt überstanden hat. Und das, obwohl man sich zu NS-Zeiten immer wieder über das „zirkusähnliches Gebäude in ausgesprochen bolschewistischem Stile“ empört hatte. Vor einigen Jahren wurde das alte Arbeitsamt denkmalgerecht saniert – die nachträglich eingebauten Fenster jedoch blieben erhalten. Heute beherbergt das Haus den Sitz des „Amtes für Ordnung und Verkehr“ und kann während dessen Öffnungszeiten auch von Innen besichtigt werden.
FOTOGRAFIE Wissenschaftliches Bildarchiv für Architektur
Wissenschaftliches Bildarchiv für Architektur
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