Bade-Kathedrale
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Eleganz, Logik, Ordnung – dies sind nur einige Begriffe, mit denen Meisterwerke der Moderne immer wieder assoziiert werden. Wer schon einmal Häuser von Le Corbusier oder Mies van der Rohe besucht hat, weiß wie inspirierend und beruhigend diese sein können. Und so elegant, geordnet und befreiend sie sind, so auch die Weltanschauung jener Architekten. Doch die Dinge haben sich nicht ganz so weiterentwickelt, wie es sich die Modernisten damals vorstellten. Es mag flüchtige Momente der Logik und Ordnung inmitten des Wirrwarrs der heutigen Welt geben, aber diese ist doch vor allem von Komplexität und Schnelligkeit geprägt. Wenn Geschichtsschreiber in Zukunft einmal auf die gegenwärtige Zeit zurückschauen werden, werden sie sich wohl an die Architektur erinnern, die diese Facetten reflektiert. Und zu dieser werden sicherlich auch die unkonventionellen Werke des amerikanischen Städteplaners Daniel Libeskind zählen, der nach einer Reihe von Museumsbauten nun das „Westside“, sein weltweit erstes Freizeit- und Einkaufszentrum, am westlichen Rand des schweizerischen Bern umsetzte.
Neben Einkaufspassagen, Restaurants, Bars, Cafés und Kinos umfasst der futuristische Bau auch einen Wellness-Park mit einer 175 Meter langen Wasserrutsche. Ganz neu ist die Idee nicht, Einkaufen, Ausgehen, Sport und Freizeit miteinander zu verbinden, aber zwischen den üblichen, standardisierten Einkaufszentren und dem ungewöhnlichen Erlebnisbad im „Westside“ mit seinen rund 2000 Quadratmetern Wasserfläche und achtzehn Becken liegen Welten. Zum Angebot des in Zusammenarbeit mit der Münchner Innenarchitektin Ushi Tamborriello gestaltete „Bernaqua“ gehören neben den insgesamt drei Außenrutschen, einem Wildwassercanyon und einem wellenlosen Flussbad mit der größten Gegenströmungsanlage der Welt auch ein Römisch-Irisches Bad mit Massageliegen. Desweiteren gibt es im Außenbereich ein Becken mit Sprudelliegen, Wasserfall, Strömungskanal, Nacktduschen und Wandmassagedüsen sowie das sogenannte Solewasserbecken, das mit einer 3-prozentigen Salzsohle ein echtes Meeresgefühl garantiert. Und dass damit noch nicht genug ist, beweist der nach traditionell asiatischen Ritualen konzipierte Spabereich mit besonderen Badewannen und Duschkabinen. Auch die drei Saunen, zwei Dampfbäder und drei Thermen wurden individuell gestaltet: Das Repertoire reicht von einer Soletherme mit Salzkristallen, einer Lavasauna mit glühendem Boden bis hin zu einem Meditationsraum mit speziellen Farblichtinszenierungen.
Kaleidoskopischer Effekt
Doch ist es nicht nur das vielzählige Angebot, das das „Bernaqua“ zu einem Erlebnis macht. Wie schon bei dem von Libeskind entworfenen Jüdischen Museum in Berlin ist auch in Bern das Gehäuse mit der kantigen Fassade aus Glas, Metall und Holz der eigentliche Protagonist. Hier wird das Baden in den kathedraleähnlichen Räumen des für Libeskind typischen kristallinen Baus mit den ausgeprägten kubischen Formen, schrägen Winkeln und dramatischen Treppen zu einem besonderen Ereignis. Vieleckige Fenstereinschnitte öffnen die Fassade und schaffen Panoramaausblicke zur umliegenden Landschaft. Eine entscheidende Rolle spielen die großen Glaskacheln an den Innenwänden, deren aquamariner Farbton den Raum in ein riesiges Kaleidoskop verwandelt. Ansonsten sind die Räume überwiegend in Weiß- und Grautönen gehalten – wie auch im Einkaufszentrum des Westside – mit individuellen Farbtupfen wie die orange-roten Wasserrutschen oder die kolorierten Glaspaneele, die die einzelnen Bereiche voneinander abtrennen.
Expressiver Ausdruck
„Im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind Bauwerke keineswegs leblose Objekte,“ erklärt Daniel Libeskind. „Sie leben und atmen und besitzen genau wie wir Menschen ein Inneres und ein Äußeres, einen Körper und eine Seele.“ Der in Polen geborene, mit seinen Eltern nach Israel und dann nach New York ausgewanderte Städteplaner war als Architekt ein Spätberufener; das Jüdische Museum in Berlin war das erste Gebäude, das er überhaupt realisierte – mit über 50. Heute gilt er als Urheber einiger der ausdrucksstärksten Gebäude der Gegenwart. Seine abschüssigen Räumlichkeiten sind aus einer Perspektive geschaffen, die nicht den gewohnten Konventionen entspricht. Mögen sie früher einmal unverständlich und beunruhigend gewirkt haben, so sind sie heute fast schon besänftigend. Bauten von Libeskind waren bislang dafür bekannt, den größten Effekt kurz vor der Eröffnung zu erzielen, wenn noch keine Inhalte die Wirkung der Form stören. Das „Bernaqua“ könnte zu einer Ausnahme werden – zum Beispiel beim Schwimmen im noch leeren Becken in der lichtdurchfluteten Haupthalle in den frühen Morgenstunden.
FOTOGRAFIE Bitter Bredt
Bitter Bredt
Links
Daniel Libeskind
www.daniel-libeskind.comUshi Tamborriello
www.tamborriello.deBernaqua
www.bernaqua.chMehr Projekte
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