Monolith in der Schwebe
Ein abgelegenes Waldbad von Vector Architects in China

Die Einsamkeit ist gewollt, die mystische Ästhetik auch. Im nördlichsten Teil Chinas haben Vector Architects mitten in den Bergwald ein Badehaus gestellt, das mit seinen acht hohen Betonzylindern, den Bullaugenfenstern und zehn Stelzen wie ein architektonisches Fabelwesen wirkt.
Das Yan-Gebirge nördlich von Peking ist vor allem für die Gemeinde Badaling bekannt, durch deren Wälder und Hügel sich der meistbesuchte Abschnitt der Chinesischen Mauer schlängelt. Ähnlich, aber weniger touristisch, sieht es in einem abgelegenen Flusstal im Wuling-Gebirge aus. Tief in einem Pappelwald, umgeben von einer Schwemmlandebene im Osten und einer steilen Felsklippe im Westen, schieben sich acht Betonzylinder zwischen den Wipfeln gen Himmel. Um das geheimnisvolle Bauwerk zu erreichen, müssen Besucher*innen über eine Stahlbogenbrücke einen Bach überqueren. Dann öffnet sich der Blick auf die steingraue, brutalistisch anmutende Architektur, die sich nach unten mit kreisrunden Luken, einem fast vollständig verglasten Geschoss und einer konsequent geometrischen Kubatur fortsetzt. Nur ein Teil des Hauses ruht auf dem Hang, zehn Stützen heben den vorgesetzten Riegel des T-förmigen Baukörpers vom Boden und vermindern die Versiegelungsfläche sowie den ökologischen Fußabdruck.
Der Weg gehört zum Ziel
Der Wellness-Bau, der an die Ruinen in Andrei Tarkowskis Film Stalker erinnert, wurde von Vector Architects aus Peking entworfen. „Wir stellten uns das Gebäude als einen zu den lokalen, heiß dampfenden Quellen gehörenden Apparat vor, der ganz leicht den natürlichen Hang berührt“, erläutern die Planer*innen. Ein gut verankerter und fensterloser Turm dient als Versorgungsschacht und beherbergt einen Aufzug. Mit dem Haupttrakt ist er über brückenartige Korridore verbunden. Die Gäste kommen nach ihrem im Erholungserlebnis inbegriffenen Waldspaziergang ebenerdig im Spa an, können am Empfangstresen einchecken und werden zu Umkleiden und Duschen geführt. Warmes Teakholz kontrastiert mit den rohen Betonwänden und die über der Kopfhöhe installierten Oculi-Fenster lassen gedämpft Tageslicht einfallen. Sie schaffen eine intime, höhlenartige Atmosphäre, die durch indirekte Lichtquellen und Textilien verstärkt wird.
Entspannungszone mit Wipfelblick
Im zweiten Stock, hinter bodentiefen Fenstern, befindet sich eine Entspannungslounge. Von außen wirkt sie wie ein alles enthüllendes Aquarium, doch im Inneren offenbart sich eine abgeschirmte, geborgene Atmosphäre. Umgeben von dicht wachsenden Pappeln übernimmt das Blattwerk die Aufgabe eines schützenden Vorhangs mit achtsamkeitsfördernder Aussicht. Vorbeiziehende Wolken, Sonnenuntergänge, Nebel oder Vögel, die in den Baumkronen landen, bieten in den schweren Sesseln visuelle Unterhaltung. Bei schönem Wetter können zudem die oberen Fenster geöffnet werden, sodass der Luftstrom auch den Duft des Waldes hereinträgt. Die von den acht Zylindern gekrönte dritte Etage ist die eigentliche Badezone. Bis auf einen schlanken, verglasten Schlitz ist sie fensterlos. Dennoch fällt diffuses Tageslicht in die dunklen Räume – durch die acht Meter hohen Schächte, die oberseitig verglast sind. Unter ihnen liegen verschiedene Pools und Wasserbehandlungen wie eine kalte Schwalldusche, ein Thermalbecken und eine Beckengrotte mit zwei Kammern und integrierten Unterwasserbänken.
Einsamer Brutalismus
Die Therme ist eine Hommage an asketische Wasserwelten wie Zumthors Therme in Vals oder das Retreat an der Blauen Lagune in Island von Basalt Architects. Das Badehaus an der Quelle namens Eye Stone zeigt seine Naturverbundenheit durch formale Reduktion und minimalinvasive Bauweise. Jede Station, vom Empfang im Erdgeschoss über die Entspannungslounge bis hin zum Pool, bietet den Besucher*innen ein dynamisches Erlebnis mit wechselnden Ausblicken. Vector Architects haben ein brutalistisches und charakterstarkes Gebäude entworfen, das als strenge Geste mitten im Wald steht und einem minimalistischen Gestaltungskonzept folgt. Im Dialog von Wald, Wasser und Architektur entsteht eine meditative Atmosphäre, die sich an Körper und Geist richtet.
FOTOGRAFIE Liu Guowei, Tian Fangfang
Liu Guowei, Tian Fangfang
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