Belgischer Raumzauber
Filmreifer Auftritt: Wie Drehtüren und barocke Versteckspiele eine Schule in ein Wohnbau verwandeln.
Wie eine frühere Schule, ein Agentenfilm und barocke Täuschungsmanöver unter einen Hut zu bringen sind, zeigt das belgische Architekturbüro De Vylder Vinck Taillieu. Im Süden von Antwerpen entführt es die Bewohner eines Hauses auf eine beständige Entdeckungsreise.
Am Anfang war eine Tür. Keine gewöhnliche Tür, sondern eine besonders gut versteckte. In einer Wand des Schlosses von Versailles führt sie in die weit verzweigten Geheimgänge, die kaum weniger spannende Geschichten zu erzählen haben als seine prunkvollen Säle. Jene Geheimtür diente als gedanklicher Ausgangspunkt für eine Renovierung unweit von Antwerpen, bei der das Spiel von Sein und Schein zum roten Faden erkoren wurde.
Zurück ins Klassenzimmer
Die Aufgabe, vor der Jan De Vylder, Inge Vinck und Jo Taillieu (DVVT) gestellt wurden, klang zunächst vertrackt. Eine frühere Schule sollte in ein Wohnhaus umgebaut werden, ohne die ursprüngliche Atmosphäre des Klassenzimmers zu zerstören. Noch bevor sich die Architekten der Gestaltung des Innenraumes widmen konnten, mussten sie die Eingangssituation neu austarieren. Um von der Küche direkt in den Hof zu gelangen, war eine zusätzliche Tür unerlässlich. Doch ganz gleich, welche Form am digitalen Reißbrett ausprobiert wurde: Der Rhythmus der historischen Backsteinfassade wäre nicht nur empfindlich durcheinander gewirbelt worden. Er wäre unwiderruflich zerstört.
Die Illusion der Ordnung
Genau an dieser Stelle kommen nun die Geheimgänge von Versailles ins Spiel. Anstatt die Dekore einer reich verzierten Wand aufzutragen, kaschierten De Vylder Vinck Taillieu eine unscheinbare Tür mit einer Mauerschicht. Ein Trompe-l’œil-Effekt, der durch den genauen Abgleich der Ziegel- und Mörtelfarbe sowie die Justierung der Fugenkanten seine Wirkung nicht verfehlt. Selbst der zementierte Sockelbereich des Hauses zieht sich als schmaler Streifen über die Unterkante der Tür hinweg und macht die Illusion perfekt. Lediglich eine vorgelagerte Betonstufe dient als sicherer Indikator, dass an dieser Stelle etwas nicht stimmt. Eine Vermutung, die beim Öffnen der Tür bestätigt wird.
Optischer Zusammenhalt
Wie die Pforte eines unbezwingbaren Banktresors mutet die tiefe Tür an, die nicht nur mit der Außenfassade bündig abschließt, sondern ebenso mit der weiß gestrichenen Innenwand. Linker Hand vom Eingang erstreckt sich eine lange, dunkelgrüne Küchenzeile, deren einzelne Segmente von weißen Trennleisten rhythmisch abgesetzt werden. Die hellblauen Wandfliesen korrespondieren mit der Farbe des gekachelten Fußbodens und sorgen für einen optischen Zusammenhalt des Raumes. Als Kontrapunkt zur Strenge des Küchenblocks wirkt ein offenes Regal, das sich vom Boden bis zur Decke erstreckt. Das Sperrholzmöbel unterteilt den früheren Unterrichtsraum nicht nur in einen Wohn- und einen Kochbereich. Es spielt zugleich ein doppeltes Spiel.
Rotierende Wände
Während die zur Küche ausgerichtete Seite als Ablage für Lebensmittel, Bücher und Kochutensilien dient, ist die Rückseite als glatte Wand ausgeführt. Doch auch an dieser Stelle vermochten De Vylder Vinck Taillieu, ihre Zaubertricks anzuwenden. Als Übergang zwischen beiden Räumen dient eine breite Drehtür, die sich in das Raster des Regals genau einpasst und der Ausstattung eines Agentenfilms durchaus würdig wäre. Mit dem nötigen Augenzwinkern haben die Architekten zudem eine weitere Verbindung in die Sperrholzwand eingelassen: Ein Fenster, das die Formen der historischen Fenster aufgreift – wenngleich mit leicht verkleinerten Proportionen. Die Besucher und Gäste des Hauses auch hierbei geschickt an der Nase herumzuführen, konnten sich De Vylder Vinck Taillieu einfach nicht verkneifen.
FOTOGRAFIE Filip Dujardin
Filip Dujardin