Case Study Camouflage
Tuchfühlung mit der Natur: die Casa Irekua Anatani im mexikanischen Valle de Bravo.

Auf den Spuren der Moderne wandelt der Architekt Gerardo Broissin mit der Casa Irekua Anatani im mexikanischen Valle de Bravo. Das Wohnhaus für eine Familie lässt nicht nur Innen- und Außenraum miteinander verschmelzen. Es setzt den Blick ins Tal effektvoll in Szene und setzt sich dabei sogar noch eine grüne Tarnkappe auf.
Sie rufen laut wie Sirenen: die verlockenden Jahre der Nachkriegsmoderne, die Designer wie Architekten derzeit gleichermaßen in den Bann ziehen. Auf den Pfaden des Mid Century wandelt der mexikanische Architekt Gerardo Broissin mit einem Wohnhaus für eine Familie in Avandaro. Der beschauliche Ort liegt im Umland von Valle de Bravo, einer 25.000-Einwohner-Stadt rund 150 Kilometer südwestlich von Mexiko City. Bekanntheit hat Avandaro längst nicht nur mit dem alljährlich stattfindende Festival Rock y Ruedas erlangt, sondern ebenso mit unberührter Natur und zahlreichen Wasserfällen.
Unter Bäumen
Der Name der Casa Irekua Anatani – in der Sprache der indigenen Tarasken steht Irekua für das Wohnhaus einer Familie und Anatani für „unter den Bäumen“ – wurde somit zum Programm: Das Gebäude soll keinen Fremdkörper bilden, sondern sich in das mit Bäumen bewachsene Grundstück an steiler Hanglage möglichst unsichtbar einfügen. Gerardo Broissin wählte einen betont schmalen Grundriss, um möglichst wenige Bäume fällen zu müssen. Die umliegenden Tannen, Pinien und Eichen rücken nah an den eingeschossigen Baukörper heran, dessen Dach dicht mit Gräsern und Farnen bewachsen ist.
Die Begrünung der fünften Fassade dient nicht nur einem kühlen Zweck: Sie lässt das Gebäude von der Bergseite aus beinahe unsichtbar werden. Lediglich die Südost-Fassade tritt als architektonischer Eingriff in Erscheinung, wenngleich auch sie das Naturmotiv auf raffinierte Weise aufgreift: in Gestalt vertikaler hölzerner Lamellen, die eine luft- und lichtdurchlässige Pufferzone zwischen der Einfahrt und der zurückgesetzten Hauswand aus Beton definieren.
Auf eine Verflechtung von innen nach außen legt Gerardo Broissin ebenso im Inneren des Hauses wert. Bodentiefe Fenster setzen den Ausblick ins Tal wie auf einer Panorama-Kinoleinwand in Szene. Auskragende Terrassen und Dächer verlagern den Wohnraum in der warmen Jahreszeit – die Temperaturen in Avandaro schwanken zwischen 37° und 3° Celsius – vollends ins Freie. Für Abkühlung sorgt ein großes Schwimmbecken, das sich ebenso ins Tal hinausschiebt und von den umliegenden Bäumen überragt wird.
Als Visitenkarte des Hauses dient der mittig angeordnete Eingangsbereich, der direkt in eine weitläufige Terrasse übergeht. Auf eine Begrünung des Dachs wurde hier bewusst verzichtet. Stattdessen leiten transparente Oberlichter viel Sonnenlicht ins Innere und akzentuieren die Materialität der Deckenbalken. Holz findet nicht nur bei den Dielenböden und Deckenverkleidungen Verwendung. Auch bei der Möblierung setzt Gerardo Broissin auf den nachwachsenden Rohstoff – und kombiniert neue Produkte mit sorgsam ausgesuchten Vintage-Stücken der fünfziger Jahre.
Das Ergebnis ist eine unverkennbare Referenz an die Case Study Houses von Pierre Koenig und Richard Neutra. Dennoch hat Gerardo Broissin einen eigenen Zugang gefunden: Während warme, natürliche Materialien für Wohnlichkeit und Atmosphäre sorgen, fügt sich das Haus mit seiner grünen Camouflage-Bedachtung stimmig in die Umgebung ein.
FOTOGRAFIE Alexandre d’ La Roche
Alexandre d’ La Roche
Gerardo Broissin
www.broissin.comMehr Projekte
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