Das Büro als Boudoir
Agenturräume in London von Daytrip

Wie werden unsere Anforderungen an Büros sein, wenn wir uns an den heimischen Komfort des Homeoffices gewöhnt haben? Werden private und professionelle Sphären gänzlich miteinander verschmelzen? Die Gestalter*innen des Londoner Studios Daytrip entwarfen die Büroräume einer Medienagentur – und schufen eine Mischung aus Office und Boudoir.
„Wir wurden von Anfang an ermutigt, einen gewagten und einzigartigen Ansatz für die Gestaltung dieser Arbeitsplätze zu entwickeln“, sagen Emily Potter und Iwan Halstead, die Gründer*innen des Innenarchitektur- und Designstudios Daytrip. In einem ehemaligen Lagerhaus aus dem 18. Jahrhundert im Londoner Stadtteil Clerkenwell sollten sie für eine Medienagentur Büros entwerfen, die Komfort und Nutzerfreundlichkeit garantieren. Und mit der gängigen Büroästhetik brechen.
Clubhaus und Glamour
Der Bauherr der Medienagentur beauftragte das Duo mit der Gestaltung von drei Stockwerken innerhalb des alten Backsteinbaus, der auch über einen Dachpavillon und eine Terrasse verfügt. Gewünscht waren individuelle Arbeitsparzellen. Hier sollten die Mitarbeiter*innen eine entspannte Arbeitsatmosphäre vorfinden, die nicht ablenkt und kreatives Denken fördert. Von offenen Studioflächen wollte man weitestgehend absehen. Dafür sah das Briefing geräumige, zentral gelegene Küchen sowie eine komplette Etage für einen flexiblen Lounge- und Besprechungsbereich vor.
Schon in den Grundzügen der Umgestaltung gefiel Potters und Halsteads Ansatz einer Aufteilung, die gleichsam Offenheit, Gemeinschaft und Intimität zuließ. Aber auch bei der Farb- und Materialgestaltung gingen sie ungewöhnliche Wege. Sie suchten nach einer softeren, wärmeren Gestaltung und fanden Inspiration in den Küchen der Fünfzigerjahre, in kalifornischen Clubhäusern und im Hollywood-Glamour. So kombinierten sie voluminöse Polster und organisch geschwungene Möbel mit expressiven Mustern, warmen Farbtönen, bodentiefen Vorhängen und zahlreichen Kunstobjekten.
Barockes Büro
„Uns gefallen vor allem die ruhige Atmosphäre sowie die feinen Texturen und Kontraste“, erklären Potter und Halstead. Auch die Farbauswahl, die die Designer*innen als „lebendige und gefühlsbetonte Palette“ beschreiben, ist mit ihren vielen Rot-, Rosa- und Rosttönen für ein Büro eher ungewöhnlich. Vor allem aber die Kombination aus Farbe und Material stellen die Gestalter in den Vordergrund: Hier treffen „säuregelber Teppich, rot gebeiztes Furnier, hellrosa Gebrauchsfliesen, hochglänzender, olivgrüner Lack und dazu passender Samt“ zusammen.
Einrichtung und Beleuchtung seien ein eklektischer Mix aus Mid-Century-Möbeln, Stücken der Sechziger- und Siebzigerjahre, darunter Leuchten von Verner Panton und Mobiliar von Dieter Rams, und Stoffen aus den Zwanzigerjahren. Sie wechseln sich ab mit zeitgenössischen Entwürfen. Doch ging es den Gestalter*innen keineswegs nur um stilistische, sondern durchaus auch um substanzielle Ansprüche. Sämtliche Möbelstücke wurden durch sie und die Agentur auf ihre Bequemlichkeit getestet, um sicherzustellen, dass sie sich in langen Meetings bewähren und auch für einen Powernap eignen.
Kreativer Komfort
Wer hier auf Sofa oder Chaiselongue wieder aufwacht, könnte in Sachen Epoche und Standort kurz die Orientierung verlieren, so gekonnt lenken die Designer*innen vom strengen Bürokanon ab. Das Interior sei eine nostalgische Anspielung auf die Filmindustrie, meinen die Designer. Und wenn das Sonnenlicht durch die transparenten Vorhänge Schatten auf die Muster der Möbel werfe, wirke die Lounge im obersten Stockwerk geradezu magisch. Tatsächlich haben die bis ins Detail gestalteten Räume mehr von einem privaten Boudoir als von einer geschäftigen Agentur mitten in London.
Doch einer allzu gefühligen Farb- und Formsprache wirkt das Studio Daytrip mit rohen Materialien wie Birkensperrholz, MDF, Ziegelstein, passiviertem Zink oder Beton entgegen. Und auch die Decke samt Haustechnik ließen sie unverblendet. So sorgen Emily Potter und Iwan Halstead für die nötige Sachlichkeit eines Arbeitsumfelds und schlagen den Bogen zum industriellen Charakter des Gebäudes.
„Da sich das Arbeitsleben in den letzten Monaten dramatisch verändert hat, stellt dieses Büro ein bahnbrechendes Beispiel dafür dar, wie Arbeitsplatzgestaltung und Wohnkomfort miteinander vereinbart werden können, um eine neue Kultur kreativer Talente zu beleben und zu fördern“, sagen sie. Hoffen wir, dass sie recht behalten, Büros wohnlicher werden – und nicht umgekehrt, der Wohnraum zum Büro wird.
FOTOGRAFIE Mariell Lind Hansen
Mariell Lind Hansen
Mehr Projekte
Büro im Bestand
Flexibler Workspace in den Berliner Wilhelm Hallen von PLY Atelier

Modulares für Mobiles
Ein Campus im Campus von Alexander Fehre

Alles unter einem Dach
Mixed-Use-Konzept in opulenter Villa von Lukas Nobili

Fünf Räume in einem
Multifunktionaler Co-Working-Space von BABELstudio in Bilbao

Wiedergeburt einer Architekturikone
Die Kreativagentur Sid Lee zieht in ein Hochhaus von I. M. Pei

Um die Spirale arbeiten
New-Work-Büro in Amsterdam von Beyond Space

Thinktank im Brauhaus
Hyperflexible Arbeitslandschaft von Mintdesign für einen Biopharmazeuten

Ästhetik und Funktionalität
Hochhaus in Paris von IF Architectes und SRA Architectes

Vier Bäume für den Holzhybrid
Vattenfalls nachhaltiges Headquarter am Berliner Südkreuz

Keimfreie Keramik
Umweltaktive Bodenbeläge für umgebautes Bürogebäude in Turin

Offenes Denkmal
Norwegisches Pressehaus von Atelier Oslo und Kima Arkitektur

Zonen des kommunikativen Arbeitens
MVRDV gestaltet neue Bürowelt für Shopify in Berlin

New Work im Grachtenhaus
Modernisierung in Amsterdam von M+R interior architecture

Architektur im Förmchen
Ein Headquarter für Traditionsgebäck von Neri+Hu
Baukasten für die Zukunft
Flexibler, zirkulärer Holzpavillon von DP6 in Almere

Arbeitsplatz aus zweiter Hand
Zirkuläre Innenarchitektur im Berliner CRCLR Haus von LXSY Architekten

Ausdruck des Geistes
Naturnah gestaltetes Architekturbüro von Mind Manifestation in Indien

New Work in Peking
Neues Büro des Architekturstudios Crossboundaries

Homeoffice im Baumhaus
Nachhaltiger Anbau von Alexander Symes in Australien

Moderne Festung
Wohnhaus mit Showroom von Associates Architecture in Mexiko

Arbeiten neben Arkaden
Flexibler Workspace in London von David Thulstrup

Transformation einer Ikone
Lichter Umbau eines Betonkolosses von Vilhelm Lauritzen Architects

Büro für Hunde und Menschen
Integratives Office-Konzept von toi toi toi für Contentful

Leitsystem aus Farben
Therapiezentrum von UNStudio in Peking

Arbeit flexibel gedacht
INpuls gestaltet eine Büroetage in München

Tiroler Putz in Madrid
Atelier- und Wohnhaus Blasón von Burr Studio

Hygge im Headquarter
Büroneubau von Henning Larsen in Kopenhagen

Büro in Silber
Umbau eines Souterrains in München von Fabian Wagner

Bühne für junge Gründer
Aspekt Office gestaltet Agenturräume in Frederiksberg

Barcode in der Landschaft
Sauerbruch Hutton erweitert den Gira-Firmensitz in Radevormwald
