Das recycelte Büro
In Zeiten des Klimawandels, des Schwindens der Ressourcen und ökonomischer Krisen suchen Designer und Architekten nach einem geeigneten Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit. Die Ausnutzung des lokal Vorhandenen wird dabei immer mehr zum Thema. Als eine Art Pilotprojekt transformierten Doepel Strijkers Architekten nun ein altes Fabrikgebäude der Handelskammer (HAKA) am Rotterdamer Nordufer in einen Coworking-Space für Unternehmen und Institutionen, die sich mit sauberer Wasser- und Energieversorgung beschäftigen. Ziel war es – neben der Verringerung des CO2-Ausstoßes und der laufenden Kosten – einen neuen Ansatz im Umgang mit Abbruchmaterialien zu definieren: die Schaffung eines geschlossenen Material- und Energiezyklus’.
Alle reden von Recycling – doch was bringt die Wiederverwertung vorhandener Materialien wirklich? Und wie weit kann man damit gehen? Gemeinsam mit einem Müllverarbeitungsunternehmen und der Stadt Rotterdam wurde untersucht, welche Auswirkungen Verwendung, Verarbeitung und Transport von Abbruchmaterialien auf den CO2-Abstoß haben. Neben den Berechnungen zum Kohlenstoffdioxid-Verbrauch war ein wichtiger Aspekt dabei die Zertifizierung von wiederverwendeten Materialien im Zusammenhang mit Brandschutz- und Bauvorschriften. Die gewonnenen Erkenntnisse geben einen Einblick in das Potenzial dieser Strategie.
Eine Maschine mit Umweltbewusstsein
Das Gebäude war einst in Analogie zu einer Maschine konzipiert worden – eine physische Übersetzung des Produktionsprozesses, der in ihr stattfinden sollte. Genau dieser Gedanke stellte auch den Ursprung für die Neukonzeption der ehemaligen Fabrik dar: Die Nutzer, die Wert auf Umweltschutz und Ressourceneinsparung legen, wünschten sich eine bauliche Entsprechung ihrer Arbeits- und Denkweisen – plus einer möglichst flexiblen Nutzungsform. Daher werden die Flächen erst dann ausgebaut, wenn eine gesicherte Nutzung feststeht. Dieser Prozess soll langsam und behutsam vonstatten gehen. Das zuerst ausgebaute Erdgeschoss gliedert sich in einen Arbeitsbereich mit Meeting- und Aufenthaltsräumen. Eine angehobene Plattform bietet temporäre Arbeitsplätze für die derzeitigen Nutzer – nach der nächsten Umbauphase soll diese dann zu einem Restaurant umfunktioniert werden. Eine Küche gibt es bereits: Diese wird für Caterings bei Veranstaltungen im Haus und für die Lunchpausen der Mitarbeiter genutzt.
Jeden Tag ein Türchen
Die Grundlage der Inneneinrichtung bilden vor allem recycelte Abbruchmaterialien aus verschiedenen Gebäuden in und um Rotterdam: So war es möglich, Bau- und Abrissphasen miteinander zu verknüpfen. Jeder Werkstoff wurde genau auf seine Möglichkeiten hin überprüft, wie er wo wiedereingesetzt werden könnte. Entscheidend war auch, Materialmengen, Transport und Verarbeitungsaufwand auf ein Minimum zu reduzieren. So entstand eine „Toolbox“, mit deren Hilfe die Büros eingerichtet werden können. Wird etwas an einer Stelle abgerissen, kann man es einige Zeit später in anderer Funktion und an anderer Stelle im Haus wiederfinden. Wichtig war den Planern außerdem, eine möglichst flexible Verarbeitungsform für die Materialien zu finden und sie so zu verbauen, dass sie jederzeit leicht zu entfernen sind. Das betrifft auch die hinzugefügten Funktionsbereiche: Diese wurden als Raum-im-Raum ausgeführt und haben keine feste Verbindung zur Raumhülle. Einige der Arbeitsbereiche sowie die Küche wurden zur Decke hin durch alte Fenster akustisch vom Gesamtraum getrennt. Der Tagungsraum basiert auf einem einfach Holzgerüst, in das die alten Holztüren des Bürotrakts eingebaut wurden. Alle 20 Türen sind nach wie vor zu öffnen, so dass man den Raum innerhalb von wenigen Minuten praktisch „in Luft auflösen“ kann. Welche Tür man zum Verlassen des Raumes wählt, kann dann schon mal zu leichter Verwirrung führen.
Kleider auf Rädern
Die Tribüne mit den temporären Arbeitsplätzen und das Regalsystem wurden aus Kisten gebaut, in denen früher Ziegelsteine transportiert wurden. Das an eine Kirche erinnernde Auditorium besteht vollends aus Resten alter Holzleisten. Hier entwarfen die Architekten ein einfaches Rahmenmodul, das durch Aneinanderreihung zur Bank wird. Die Bühne und das Rednerpult sind aus dem gleichen Material gefertigt und stecken ineinander – bei Bedarf kann man das Pult hinausziehen, umkippen, wieder hineinschieben und hat dann eine ebene Plattform.
Als akustische Trennwand zwischen Auditorium und dem Ausstellungsbereich dient ein Stapel von 8.000 Kilogramm gebrauchten, verschiedenfarbigen Kleidungsstücken, der in neun Abschnitte gegliedert ist. Jedes Abteil ist auf Rollen gelagert und kann so bei Bedarf verschoben oder entfernt werden. Die Stoffmauer hat über die gesamte Länge einen Farbverlauf, der zusammen mit der weichen Materialität einen wohltuenden Effekt auf den sonst sehr karg belassenen Fabrikraum mit seinen harten Oberflächen hat. Die Sitzmöbel im Ausstellungsraum sind aus vertikal geschichteten Wabenschichtplatten gefertigt, die Ausstellungstische aus Wellblechwänden mit einer aufgelegten Glasscheibe.
Das HAKA-Modell
Zurzeit gibt es noch keinen wirklichen Markt für Abbruchmaterialien, obwohl dies auch aus ökonomischen Gründen eine gute Idee wäre. Denn immerhin können Materialien und Werkstoffe günstig erhalten und auch in der Zukunft noch umfunktioniert oder weiterverkauft werden. Allerdings verändert sich auf diese Weise auch der Gestaltungsprozess von einem auf Nachfrage basierten zu einem auf Angebot basierten. Werden abgerissene Häuser und die verbauten Rohstoffe nicht zurück auf den freien Markt gebracht, kann auch nicht gebaut werden. Es wäre schön, wenn sich das ändern würde!
FOTOGRAFIE Ralph Kämena
Ralph Kämena