Der Genius Loci des Gaspereau-Tals
Kanadische Waldhütte auf Stelzen von Omar Gandhi
Auf staksigen Beinchen scheint Omar Gandhis Waldhütte beinahe zu schweben. Der Architekt hat in der Einsamkeit der kanadischen Wälder ein ortsbezogenes Refugium entworfen, das der Natur Respekt zollt und lokale Ressourcen nutzt.
Das Tal rund um den Gaspereau-Fluss liegt am östlichsten und südlichsten Zipfel Kanadas, auf der Nova-Scotia-Halbinsel. Trotz des kühlen maritimen Klimas begann in dieser Region vor einigen Jahrzehnten der Weinbau im größeren Stil. Eines der renommiertesten Weingüter liegt in der Nähe der Gemeinde White Rock, die ihren Namen einer prägnanten Felsformation zu verdanken hat. Der kanadische Architekt Omar Gandhi ist ein Enthusiast für diese Ecke seines Heimatlandes, die kulinarisch viel zu bieten hat, mit ihren klirrend kalten Wintern zum Skifahren einlädt und im Sommer mit blühenden Landschaften zum Wandern motiviert. „Das Tal gewinnt schnell an Beliebtheit und ist eine Alternative zu Meer und Küsten“, erläutert Omar Gandhi. Er hat hier, mit dem Rücken zum Wald und dem Ausblick auf eine Lichtung, einen Rückzugsort entworfen, bei dessen Gestaltung er sich von „Jagdhütten und Tarnverstecken“ inspirieren ließ.
Wanderung inklusive
Im Stil eines Stelzenhauses ruht der Kubus scheinbar auf schlanken Beinchen. In seinem Schatten aber tarnt sich ein kleines, dunkles Stahlvolumen, das den Eingang beherbergt und das Bauwerk im Gelände verankert. Die erhöhte Lage und die Position am Absatz eines Hangs heben die Räume über das Niveau der Baumwipfel und geben den Blick bis weit über das Flusstal frei. „Wir haben einen Ansatz gewählt, bei dem sich Handwerk, Design, Textur und Lichtinszenierung miteinander verbinden, um eine geheimnisvolle und dunkle Stimmung zu erzeugen, die durch reizvolle Überraschungen und atemberaubende Ausblicke ergänzt wird“, beschreibt der Architekt sein Projekt. Schon die Anfahrt bringt die Bewohner*innen und Gäste näher an die Natur. Nach einer steilen Auffahrt und einer Haarnadelkurve geht es nur noch zu Fuß weiter. Ein Schotterweg führt zum Haus, das sich mit seiner Hülle aus Cortenstahl ästhetisch in den Wald einfügt und wie ein Nest über dem zwei Hektar großen Gelände schwebt.
Zwischen Wipfeln und Unterholz
Von außen wirkt der kleine Kasten mit seinem Fenstervisier und der rostrot verwitterten Verkleidung zurückhaltend. Der ebenerdige Eingangsbereich ist bewusst schwach beleuchtet und führt hinauf in die Wohn- und Schlafräume, die sich auf zwei Etagen verteilen. Unten befinden sich ein Bad neben dem Treppenaufgang und zwei nach vorn ausgerichtete Schlafzimmer, die seitliche Aussichten auf das Unterholz bieten. Darüber liegt der zweite Stock, der nicht nur als eine einzige offene Fläche angelegt, sondern auch hell und großzügig inszeniert ist. Das von außen so stilprägende, von einem Rahmen eingefasste Frontfenster ist auch Protagonist im Interieur. Mit seiner Aufgabe als naturnahes Rückzugsrefugium geht es im Haus White Rock um den Wald und das Panorama. Das Interieur agiert als Echo. Vor den Wänden aus geräucherter Eiche stehen viele zeitlose Möbel – und Architektenlieblinge – wie ein antiker Arne Norell-Sessel und Entwürfe von Luca Nichetto.
Magischer Rückzugsort
Wichtig waren Gandhi auch die inneren Werte der schwebenden Hütte. Durch ihre abgehobene Positionierung und eine geringe Bodenversiegelung hinterlässt sie nur einen geringen Fußabdruck. Das Regenwasser wird akribisch aufgefangen und durch die gute Verschattung wird die Aufheizung der Innenräume vermieden. Ein Kamin im Wohnraum ist die einzige Wärmequelle und lädt mit einer angeschlossenen Bank, die am Fenster entlangläuft, zum Aufwärmen mit Aussicht ein. Gegenüber, entlang der Westwand, steht eine Küche aus Edelstahl. Sie trifft auf industrielle Details, wie die Werkstattleuchten in den Schlafzimmern, und einen wohnlichen Landhausstil mit handgefärbtem Leinen, Fellen und Handwerksobjekten. Das eigentliche Highlight des Hauses finden hingegen nur Eingeweihte. In die Decke über der Treppe ist eine Dachluke aus Cortenstahl eingelassen, die auf die große Dachterrasse führt – und damit zu dem Ort, der dem Wald am nächsten ist. Für Gandhi ist das der wichtigste Platz von White Rock: „Hier kann man in die Magie der Natur eintauchen und ihre Ursprünglichkeit annehmen.“
FOTOGRAFIE Ema Peter Ema Peter
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