Ein Haus zum Reinwachsen
Lebensraum für eine Hamburger Patchwork-Familie: sanierter Altbau in Altona.

Hamburg-Altona ist an der Grenze zu Eimsbüttel nicht gerade eine Einfamilienhaus-Idylle. Viergeschossige Fünfziger-Jahre-Bauten reihen sich in einer schmalen Straße ohne sichtbares stadtplanerisches Konzept aneinander, unterbrochen mal von einem grauen Bunker, in dessen Hinterhof die Laster einer Spedition rangieren, mal von Autowerkstätten. In diesem baulichen Durcheinander wirken die drei Stadthäuser aus der Gründerzeit mit ihrer verschnörkelten Fassade etwas fehl am Platz, wie Damen aus besserer Gesellschaft, die sich in eine Eckkneipe verirrt haben.
Eines dieser Häuser hat die Innenarchitektin Angela Stein für eine junge Familie umgebaut. Eine Stylistin, ein Fotograf und ihre beiden Söhne wohnen hier. Zwei weitere Kinder machen die Patchwork-Familie an den Wochenenden komplett. Bevor die Familie einziehen konnte, musste das zweistöckige Haus allerdings umgebaut werden. „Von außen war es ein tolles Haus, aber innen hatte es nach der Feuchtigkeitssanierung jeglichen Charme verloren“, sagt die Bauherrin. „Jeder Neubau wäre schöner gewesen.“ Für sie war klar, dass der Umbau nur mit einer Innenarchitektin zu bewerkstelligen sei – allein schon wegen des knappen Zeitplans: Die Planung begann im Mai 2012, im Oktober 2013 sollte die Familie einziehen.
Wie aus einem Guss
„Immer mit der Frage im Hinterkopf, ob sich diese Dinge einmal in dem Haus befunden haben könnten, ließen wir Fenster- und die Türgriffe durch unauffällige Modelle, die aus den fünfziger Jahren stammen könnten, ersetzen und Heizkörper austauschen“, sagt Angela Stein. „Die Epochen des vergangenen Jahrhunderts sollen sich in dem Haus wiederfinden.“ Es sind Kleinigkeiten wie diese Fenstergriffe, die man auf den ersten Blick vielleicht nicht wahrnimmt, die die Einrichtung aber wie aus einem Guss wirken lassen. Da korrespondiert die Messingkante des Linoleums in der Küche mit den Gardinenstangen oder die senffarbenen Sofakissen mit den schweren Vorhängen. Da gibt es aber auch scharfe Kontraste wie zwischen dem Vintage-Couchtisch aus einer alten Palette und dem violetten, leicht ins Grün changierenden Samtbezug des Sofas, eine Farb-Stimmung, für die ein Film aus den 30ern die Inspiration lieferte.
Mit Großküchen-Flair
Ganz wichtig war der Bauherrin, dass ihr Haus nicht gestylt wirkt. „Man soll nicht das Gefühl haben, die Kleidung nach der Einrichtung aussuchen zu müssen“, sagt sie. Deutlich wird das in der offenen Küche. Sie hat nichts mit dem Standard zu tun, den man in modernen Wohnungen vorfindet. Statt eines schweren Küchenblocks mit voluminösen Ober- und Unterschränken steht in der Mitte ein leichter Arbeitstisch mit Herd und Ofen, eine Anfertigung vom Schlosser nach Plänen von Angela Stein. Eine längliche Arbeitsleuchte sorgt für Großküchen-Flair. Flaschen und Werkzeug stehen griffbereit. In die sandfarbene Arbeitsplatte aus Zodiaq an der Wand ist neben dem Waschbecken ein kleiner Abwurf für Küchenabfälle eingelassen - eine Arbeitsküche für eine Bauherrin, die leidenschaftlich gerne kocht. Einen Kontrast zu der modernen Funktionalität bilden die schwarzen Leuchten an der Wand und das antike Sideboard an der Stirnseite. Es stand in der vorherigen Wohnung im Arbeitszimmer.
Wie das Sideboard brachten die Bauherren die meisten Möbel mit, darunter viele Stücke aus dem Antiquitätenladen oder von Flohmärkten. Angela Stein suchte zusammen mit der Bauherrin die passenden Plätze aus. Einige wie das Moormann-Regal im Wohnzimmer mussten an die niedrigere Deckenhöhe des neuen Heims angepasst werden. In diesem Fall ließ man einfach ein Stück absägen. Das B&B Italia-Sofa im Wohnzimmer wurde neu bezogen.
Wintergarten als Lebensraum
Die untere Etage ist das Zentrum des Familienlebens. Dort befinden sich Küche und Esszimmer, die durch einen erweiterten Durchgang mit einem schrägen Winkel verbunden sind. Daran schließen sich das Wohnzimmer, das Arbeitszimmer und der Wintergarten an. Er dient mal als Bastelstube für die Kinder, mal als Musikzimmer. Die abgehängte Decke wurde abgenommen, darunter kommt die gewölbte Struktur zum Vorschein. Wieder hat man das Gefühl, dass es genau so sein muss. Wie in der Küche wurde auch hier über die neuen Dielen, die nicht zu den alten im Wohnzimmer passen, grünes Linoleum verlegt. Gegen die Ehre des Fußbodenverlegers wurde der Boden darunter nicht mit einer Spachtelmasse begradigt. Die Dielen dürfen im Licht als sanfte Wellen durch den Belag durchscheinen.
Einhebelmischer haben Hausverbot
Die Raumaufteilung des Hauses ist ständig in Bewegung. „Eigentlich war der erste Stock als Eltern-, der zweite als Kinderetage gedacht“, sagt Angela Stein. Doch momentan haben die Kinder ihre Zimmer im ersten Stock neben der elterlichen Ankleide, weil sie näher am Familiengeschehen im Erdgeschoss sein wollten – und schlafen im zweiten Stock im Gästezimmer neben ihren Eltern. „Hier kann eigentlich alles getauscht werden“, sagt Angela Stein, „einzelne Möbel, aber auch ganze Zimmer.“
Im Bad im ersten Stock schafft ein brauner Wandschrank aus gebeiztem Bauzaun-Holz mit Messingbeschlägen aus dem Schiffsbedarf Stauraum. Das WC ist mit einer Tür abgetrennt. Einfache, profilierte Industrie-Fliesen kleiden die geräumige Dusche aus. Ein dicker Vorhang vor dem Fenster schafft eine wohnliche Atmosphäre. Wie auch sein Pendant im Schlafzimmer, wurden die Ränder lediglich gekettelt und nicht umgenäht, die Webkante bewusst nicht abgeschnitten. So wirkt der Stoff viel leichter als mit einem herkömmlichen Saum. Im „Kinderbad“ in der zweiten Etage durften die beiden Söhne die Farben mitbestimmen. Ein Sohn entschied sich für einen türkisen, der andere für einen bunten Waschtisch. Moderne Armaturen, ja sogar Einhebelmischer sucht man im Haus vergeblich. Stattdessen erinnern die Zweiwegewasserhähne und eine schlanke Handbrause an die siebziger Jahre. „Ich bin eigentlich nicht sentimental“, sagt die Bauherrin fast entschuldigend. „Ich finde das einfach schön und es passt zum Haus.“
Viel Farbe für die Kinder
Für das Kinderzimmer des älteren Sohnes hat Angela Stein ein Hochbett aus taubenblau gestrichenem Stahl entworfen mit spindartigen Kleiderschranktüren und einer Höhle zum Spielen. Der Bauherrin war wichtig, dass es dem Achtjährigen auch als Teenager noch gefällt. „Es soll ein Haus zum Aufwachsen sein“, findet auch Angela Stein. Der jüngere Sohn hat ein vom Tischler gefertigtes Doppelbett mit Dach und Fenster. Orangefarbende Schulbänke vom Flohmarkt bilden einen farblichen Kontrast zu dem weißen Schreibtisch und dem gelb gestrichenen, geräumigen Balkon, der an ein hoch umzäuntes Fußballfeld erinnert. Mit einer einfachen Konstruktion aus Kabelbindern wurde das Netz am Geländer befestigt, das sonst gefährlich niedrig wäre.
Noch immer ist das Haus nicht ganz fertig eingerichtet. Im Archiv stehen noch Umzugskartons, ein Teppich soll noch die Eingangstür mit der Garderobe im Kellergeschoss verbinden, einige Leuchten fehlen noch. Der Garten, der vorher als Parkplatz diente, wurde erst im Sommer fertig. Doch die Bauherren sehen es gelassen, schließlich wachsen sie jeden Tag ein Stück mehr in ihr Haus hinein.
FOTOGRAFIE Till Leeser
Till Leeser
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