Elementare Teile
Umbau in Australien von Melanie Beynon
Sich einmischende Bauherr*innen können gleichermaßen Fluch und Segen sein. Im Fall der Northcote Residence erwies sich die Zusammenarbeit zwischen Architektin, Handwerker*innen und Auftraggeber*innen offensichtlich als harmonischer Dreiklang. Für zwei australische Musiker*innen und ihre Kinder entwarf Melanie Beynon ein Haus, das gleichsam akustische, visuelle und taktile Qualitäten besitzt – und über die Zeit immer schöner wird. Ein Umbau mit Mehrwert, der beweist: In der richtigen Konstellation kann eins und eins durchaus auch mal drei ergeben.
300 Quadratmeter für eine sechsköpfige Familie zu gestalten, ist eine seltene Herausforderung. Für Melanie Beynon, die ein kleines Architekturstudio in Melbourne leitet und auf langjährige Erfahrungen in den Bereichen Wohnen, Einzelhandel und Gastgewerbe blickt, offenbar jedoch genau die Richtige. Ihr Erfolgsrezept: persönlicher Service und ein Ohr für die Visionen und Wünsche der einzelnen Kund*innen. Das brauchte sie diesmal mehr denn je, denn ihre Auftraggeber*innen waren Musiker.
Gefühliges Gebäude
Die Renovierung und Erweiterung ihres alten edwardianischen Hauses in Melbourne stand an. Es sollte mehr Licht ins Innere gelangen und gleichzeitig Geräusche von außen abgeschottet werden, aber auch emotionale Konzepte wie Erinnerung und Gefühl Einzug halten. Dafür wurden die Bauherr*innen zum Teil selbst aktiv. „Ihr einzigartiges Handwerksverständnis, ihre Materialwahl und ihre Hingabe zu den einzelnen Komponenten führten zu einem ausgezeichneten Design“, sagt die Architektin.
Es entstanden zwei Bereiche: einer für die Erwachsenen, einer für die Kinder. Dazwischen siedelte Beynon das Wohnzimmer an. Mit hohen Wänden und großen verglasten Schiebetüren versehen, dient der Raum nicht nur als voluminöses Verbindungselement zwischen den beiden Flügeln, sondern auch als Schnittstelle nach draußen zu einer ausladenden Terrasse. Das Ergebnis ist ein Raum, der förmlich aufatmet und ausreichend Platz für die Aktivitäten einer Großfamilie bietet.
Helle Materie
Ausreichend Platz aber auch für außergewöhnliche Möbelentwürfe: Hier trifft man auf Klassiker von Serge Mouille oder Thonet genauso wie auf expressive, zeitgenössische Objekte, darunter der Sessel Roly Poly von Faye Toogood oder die Tischleuchte Snoopy von Flos, die von den Bauherr*innen selbst zusammengestellt wurden. Dazu gesellen sich speziell angefertigte Schreinerarbeiten und Leuchten aus handgeschöpftem Papier. Sogar die Türgriffe von der Designerin Patricia Urquiola wurden bewusst ausgewählt und spiegelten die Wertschätzung der Eigentümer für handwerklich gefertigte Stücke wider, die Haus und Familie durchaus überdauern könnten, erklärt die Architektin.
Derselbe nachhaltige Gedanke bestimmte die Wahl der Baumaterialien. Die Fassade des Hauses ist aus Zedernholzschindeln zusammengesetzt. Diese Holzelemente würden mit der Zeit eine Patina annehmen, sodass sich der neue Bau bald an seine Umgebung anpasse, meint Beynon, die diese natürlich-unprätentiöse Gestaltung im Innenraum fortsetzt. Die schrägen Decken und Wände des Gemeinschaftsraums verkleidete sie mit Holzpaneelen aus tasmanischer Eiche und wiederverwerteten Ziegeln. Des Weiteren kommen handgefertigte Keramikfliesen, Terrazzo und Naturtextil zum Einsatz.
Elementarteilchen
Ziel war ein Haus, „das bescheiden, einfach, optisch ansprechend und haptisch fühlbar ist“, sagt Beynon. Das ist gelungen. Tatsächlich haben alle Einrichtungselemente eine besondere Oberflächenbeschaffenheit, die sich erst bei genauerem Hinsehen oder Berühren offenbart und den Reiz des Hauses ausmacht. Doch nicht nur das, auch Herstellungsprozesse werden sichtbar. Neben dem architektonischen Schaffen sehe man im fertigen Haus auch die Hände von Maurer, Tischler, Verputzer, Fliesenleger und Maler, meint die Architektin.
Ein harmonisches Zusammenspiel also aus diversen Gewerken. Aber auch aus ganz unterschiedlichen Möbelstücken und Materialien, die – wie Atome und deren elementare Teilchen – bis ins kleinste Detail ihr volles Potenzial entfalten.
FOTOGRAFIE Tom Blachford Tom Blachford