Projekte

Fabrikstil im Villenviertel

Eigene Entwürfe und Klassiker aus den Fünfzigern: Aus diesem Prager Projekt wurde der Neubaucharakter verbannt.

von Markus Hieke, 18.07.2016

Als der Eigentümer dieser Wohnung in Prag Dagmar Štěpánová von Formafatal engagierte, ihm sein Zuhause einzurichten, wollte er nicht viel mitreden. Fest stand, dass in diesem Neubau im beliebten Villenviertel Hřebenka etwas passieren musste, um eben nicht wie ein Neubau zu wirken. Die Architektin und Gestalterin setzte auf Industriecharme, auf eigene Entwürfe und allerhand Designgrößen – überwiegend aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts.

Vom Auftraggeber völlig freie Hand zu bekommen, klingt wie ein Freifahrtschein ins Schlaraffenland: Von allem darf genascht werden, die schönsten Designhighlights sind gerade gut genug, und auch für eigene Entwürfe bleibt noch Spielraum. Während in diesem Fall nur das Budget begrenzt war – insgesamt standen immerhin 90.000 Euro zur Verfügung – setzte der Eigentümer dieser Prager Neubauwohnung volles Vertrauen in die Architektin und Interieurdesignerin Dagmar Štěpánová. Die Gründerin von Formafatal führt ihr Studio mit vier befreundeten Kollegen in der tschechischen Hauptstadt.

Besser im Rohzustand
Gerade als der Innenausbau dieses Investorenprojektes nach Standardplänen beginnen sollte, konnte auch Dagmar Štěpánová an die Arbeit gehen – und verhinderte damit Schlimmeres. „Für mich ist es unverständlich, weshalb Neubauwohnungsblocks in der Tschechischen Republik dermaßen geschmacklos sind“, so die Gestalterin. Anstelle von gespachtelten, weißen Wänden und Tapeten sowie niedrig abgehängten Decken plante sie hier etwas anderes. Sie ließ die Deckenverkleidung kurzerhand wieder abnehmen, sodass der Beton zum Vorschein trat. Fußboden und Wände befanden sich noch im Rohzustand.

Wie eine Fabriketage
Nimmt man den Aufzug, der direkt bis hinauf in die Wohnung führt, bietet sich hinter den Türen ein loftartiger Eindruck, ein wenig wie auf einer Fabriketage. Ein Gitter aus Bewehrungsstahl bildet die Garderobe. Ein Stück Wand wurde von Filmspezialisten auf Alt getrimmt. Auf 85 Quadratmetern Wohnfläche sind Küche und Wohnbereich weitgehend offen gestaltet. Etwas zurückhaltender fügen sich Bad, Gäste-WC, Schlaf- und Gästezimmer in den hinteren Bereich ein. Vom Wohn- und Gästezimmer aus hat man direkten Zugang zur einer 50 Quadratmeter großen Terrasse, wo die Stadtkulisse das Bild zeichnet. Drinnen aber ist Štěpánová für jedes noch so kleine Detail verantwortlich.

Ganze 44 Objekte wurden von ihr eigens für dieses Projekt entworfen: vom Küchenschrank aus grauschwarz geöltem Sperrholz über die Glasschiebetüren bis hin zu den Kissenbezügen auf dem Sofa. Darüber hinaus wählte sie eine Vielzahl bekannter Designklassiker, überwiegend aus den Fünfzigern, aus. Um den Esstisch herum stehen beispielsweise die Stühle CH88 von Hans Wegner (Carl Hansen). Darüber die Leuchte Les Acrobates von Lampe Gras (DCW éditions), eine aktuelle Adaption der Atelier- und Industrieleuchten von Bernard-Albin Gras aus den Zwanzigern.

Braun gegen Grau und Schwarz
Im Wohnbereich wurde der skulpturale Flavio-de-Carvalho-Sessel FDC1 (Objekto) platziert, ihm gegenüber ein The Hunting Chair von Børge Mogensen (Fredericia). Etwas aktueller: Counterbalance heißt die Leuchte von Daniel Rybakken (Luceplan), die die Sofatische – darunter My Moon My Mirror Table aus der Diesel-Kollektion für Moroso – beleuchtet. Brauntöne schaffen den warmen Gegenpol zum ansonsten kühlen Stil, dem blanken, geschliffenen Estrichboden und der überwiegend grauen und schwarzen Möblierung: ein Kuhfell am Boden, ein Lederpolster auf dem Sofa. Die farblich passenden Gemälde an der Wand stammen aus der Sammlung des Bauherrn.

Industriell gebettet
Nicht weniger industriell geht es im Schlafzimmer weiter. Am Kopfteil des Bettes verlaufen Stahlrelings. In der Raumecke steht ein Diamond-Sessel von Harry Bertoia (Knoll). Als Schreibtisch dient ein wandlehnender Sekretär, davor ein Marko Chair von Ynske Kooistra für Marko Veendam – ein niederländischer Schulstuhlklassiker. Auch der Ankleideraum nebenan wirkt spartanisch, der liegt wenig verborgen hinter einer Glastür.
Als Gast schläft man in einem Doppelstockbett. Eine Wand wurde mit Holzplanken verkleidet, was den Coziness-Faktor des Raumes erhöht. Deutlich kühler wirkt hingegen das Badezimmer. Schwarze Rohre verlaufen vor dem weißen, leicht unebenen Fliesenspiegel. Das Waschbecken ist aus Beton. Organisch ist hier maximal die freistehende Badewanne, die vor einem riesigen Wandspiegel thront.

Dagmar Štěpánová ist es gelungen, den Neubaucharakter weitgehend draußen zu behalten. Einziges Manko: Die Klimaanlagen hätten in einem zeitgemäßen Bau deutlich dezenter installiert werden können – wenngleich ihre Präsenz den Fabrikstil auch wiederum unterstützen mag.

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Links

Projektdesigner

Formafatal / Dagmar Štěpánová

www.formafatal.cz

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