Farbe macht Schule
Hölzerner Anbau von Bindloss Dawes in Somerset

180 Jahre steht das alte Schulhaus schon in einem kleinen Dorf im Süden Englands, seit fünfzig Jahren mit einem nicht allzu gelungenen Anbau. Als die Farbspezialistin Joa Studholme das Haus bezog, ließ sie das lokale Architekturbüro Bindloss Dawes erst einen neuen Gebäudetrakt aus Kastanienholz entwerfen – und richtete ihn dann mit ihrem Mut zur Farbe ein.
Die Landschaft wird jedem Klischee englischer Landidylle gerecht. Mauern aus Findlingen sortieren die Schafherden, die Nachbarschaft besteht aus einem rustikalen Kirchengebäude sowie historischen Cottages und das Wetter bewegt sich unentschieden zwischen Niesel, Nebel und Sonnenschein. 1864 wurde das kleine Pitcombe's Old School House zwischen den sanften grünen Hügeln Somersets errichtet. 2017 zogen hier Joa Studholme, Farbexpertin für Farrow & Ball, und ihr Mann Andrew ein. Sie hatten sich auf den ersten Blick in das alte Schulgebäude verliebt, merkten aber schnell, dass sie der in den 1970er-Jahren angebaute Schlaftrakt immer mehr störte. Schwer und unharmonisch lehnte er sich gegen den ursprünglichen Bestand, während sich die Aufteilung der Räume als mangelhaft geplant erwies. Die Studholmes wandten sich an das ebenfalls in Somerset ansässige Architekturstudio Bindloss Dawes und baten um Rat.
Vier Frontseiten
Schon kurz nach Startschuss der Planungsphase war klar: Die beste Lösung lautete „Abriss und Neustart“. Statt sich stilistisch historisierend am Altbau zu orientieren, lag die neue Strategie darin, einen Gebäudeblock zu entwerfen, der eine zeitgenössische Architektursprache spricht und sich mit dem ursprünglichen Charakter versteht. Bindloss Dawes analysierte Volumen, Silhouette und Grundriss des Bestands und entwarf einen Trakt, der dazu in Harmonie steht. Klare Linien, nachhaltige Konstruktionsprinzipien, lokale Materialien und wohlüberlegte Details würdigen das Erbe und stellen gleichzeitig eine Verbindung zur Gegenwart her. Außerdem nutzten die Planenden das volle Potenzial des Standorts. „Anders als bei Erweiterungen von Häusern in Vorstädten bietet sich eine wunderbare Gelegenheit, mit den vollen 360 Grad eines Gebäudes zu arbeiten. Das Old School House liegt in einer wunderschönen Ecke von Somerset und wir wollten die Sonne einfangen, wenn sie um das Haus herumgeht“, erläutert George Dawes, einer der Gründer von Bindloss Dawes.
Fassadenkleid aus Edelkastanie
Das Architekturbüro entschied sich für eine Holzbauweise mit einer Verkleidung aus englischer Edelkastanie. Im Laufe der nächsten Jahre werden Sonne und Regen die noch goldene Nuance der natürlichen Oberfläche in ein silbernes Grau verwandeln, das dann mit dem verwitterten Stein des Haupthauses eine farbliche Einheit bilden wird. Während die Lattung im Erdgeschoss horizontal ausgerichtet ist, sorgt die vertikale Anordnung der Holzbretter bei Obergeschoss und Dach für ein homogenes Volumen. Dieser grafische Wechsel der Struktur passt gut zur zufällig wirkenden Anordnung der Fenster, deren Logik jedoch im Inneren offensichtlich wird. Das Hauptschlafzimmer im oberen Geschoss hat ein weites Panoramafenster mit Blick aufs Tal, die Räume im Erdgeschoss fangen die besten Perspektiven in jede Himmelsrichtung ein und sind bewusst so platziert, dass sie das Tageslicht mit dem Lauf der Sonne optimal ins Innere transportieren.
Verbindender Appendix
Um das neue Haus mit dem alten zu verbinden, wurde ein Flurraum vor den Bestand gesetzt, der sich durch eine Front aus patinierten, verzinkten Stahltüren absetzt. Er dient als Wintergarten, Empfang, Lesezimmer und Gartenzugang. Der Neubau ist durch eine angebundene Treppe zu erreichen, die in die nach oben und nach unten versetzt angeordneten Etagen führt. Das Untergeschoss wurde versenkt konstruiert, sodass die halbhohen Fenster innen auf Augenhöhe liegen, aber außen auf Rasenniveau abschließen. Drei Schlafzimmer und ein Bad für Gäste finden sich unten, darüber liegt der Master Bedroom mit Ensuite-Bad. Bei der Innenraumgestaltung übernimmt Farbe – entsprechend dem Berufsprofil der Hauseigentümerin – eine besondere Rolle. Sanfte Farbtöne, wie das eigens für das Haus entwickelte School House White, treffen auf kräftige Töne: ein gedecktes Wiesengrün oder ein dunkles Petrol.
Mut zu Farben
Als Farbexpertin kombiniert Joa Studholme gern mehrere Farben in einem Bereich und kontrastiert sie mit der Palette im nächsten Raum. Dabei zieht sie Trennlinien horizontal entlang der Wand, streicht Decken und Böden mit und fügt gemusterte Textilien auf Polstermöbeln, Kissen und Vorhängen hinzu. „Das ist das Tolle am Interiordesign aktuell: Es gibt keine Regeln. Man kann einfach das machen, was man will“, erläutert sie ihre mutigen Entscheidungen. Rücksicht nimmt sie allerdings auf die Szenerie vor dem Fenster. Viele der gewählten Farbtöne sind ein Echo auf die malerische Landschaft Somersets. Ihre eigene Note bringt Studholme außerdem durch gesammelte Kunstwerke und persönliche Gegenstände ein. Mit der Erweiterung des Schulhauses respektiert Bindloss Dawes die Wünsche und Vorstellungen der Auftraggeber*innen, die Geschichte des Hauses und die Ressourcen der südenglischen Landschaft – und wappnet das Haus mit seiner zeitgemäßen Erweiterung gleichzeitig für die zukünftige Nutzung. Für diesen sensiblen Zugang wurde das Team von Bindloss Dawes bereits ausgezeichnet: Beim RIBA-Architekturpreis 2024 erhielten die Planer*innen für das Projekt Pitcombe's Old School House den South West and Wessex Award.
FOTOGRAFIE Francesca Iovene Francesca Iovene
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