Farbe unterm Reetdach
Ein transformiertes Haus am See von Keßler Plescher Architekten

Das Ferienhaus Dr. Funk steht an einem stillen Plätzchen an einem kleinen See und lässt seine Gäste schnell vergessen, dass es bis zum Meer auch nicht weit wäre. Nach 60 Jahren Sommerfrische wurde das reetgedeckte Kleinod jetzt saniert – und beglückt die Familie des Erbauers mit fantastischen Ausblicken, einem frühlingshaften Farbkonzept sowie lauen Nächten unter der Discokugel.
Von ihnen gibt es nur wenige – und sie werden immer seltener: magische Orte. Ihren besonderen Charakter ziehen sie aus Eigenschaften wie einer abgelegenen Lage, friedvoller Natur und natürlich den Menschen, die dort ihre Zeit miteinander verbringen. Im Fall des Ferienhäuschens an einem kleinen See in Mecklenburg-Vorpommern sind das nicht allzu viele. Das Haus ist 38 Quadratmeter groß und bietet Platz für bis zu sechs Personen. Allerdings kommt sowieso keiner wegen der Architektur allein. Es sind vor allem das spiegelnde, von Schilf und Laubwald eingerahmte Wasser, das Zwitschern der Vögel und das Lichtspiel der verschiedenen Tageszeiten, die alle Besucher*innen sofort in einen Modus der Entschleunigung versetzen.
Ein Haus, ein See
Seit sechzig Jahren steht der kleine Kastenbau gut versteckt am Ufer. Lediglich eine Handvoll Nachbar*innen besiedeln die Umgebung, in Sichtweite ist keiner von ihnen. Besucher*innen folgen knirschenden Sandwegen, bis sich eine kleine Bucht öffnet. In ihrem Zentrum steht das Haus, das einst von Dr. Funk erbaut wurde und deshalb bis heute seinen Namen trägt. Mit seinem dichten Reetdach und den vielen großen Fenstern erinnert es an die Bäderarchitektur der nicht weit entfernten Ostsee, allerdings nicht in der Dimension einer Villa, sondern im Format einer Datsche. Mittlerweile hat die Enkel*innen-Generation es übernommen und die wechselnden Konstellationen von Bewohner*innen forderten auch ein Überdenken der bisher kleinteiligen Grundrissstruktur.
Neustart für die nächste Generation
Die vielen Jahre der Nutzung haben ihre Spuren hinterlassen. Die Gestaltung wurde Keßler Plescher Architekten übertragen, einem jungen Kölner Büro unter der Leitung von Arne Keßler und Katrin Julia Plescher. In ihren Projekten zeigen sie Mut zur Farbe, ein Faible für maßgeschneiderte Einbauten und ein Händchen für sensible Raumeffizienz – Talente, die beim Haus am See genau an der richtigen Adresse waren. Nach der Öffnung des Layouts galt es, im Erdgeschoss eine Küche, einen Wohnbereich, das Bad und die Garderobe unterzubringen. Als einziger abgeschlossener Raum blieb die gerade ein Doppelbett aufnehmende Schlafkammer erhalten. Alle anderen Funktionen wurden als Teil einer raumhohen Schrankwand geplant, die unmittelbar am Eingang platziert wurde und gleichzeitig Dusche, WC und Waschraum abtrennt.
Mäandernde Einbau-Landschaft
Hinter den großen Türen aus hellen Dreischichtplatten findet sich jede Menge Stauraum für den Besitz der Gäste. An das Wandmodul schließt sich die Küchenzeile an, die wiederum in eine Bank übergeht. Unter dem Fenster mit vollem Seepanorama mündet sie in eine weitere sitzhohe Holzfläche, die die Heizung verkleidet, beim Essen als Stuhlalternative dient und in kontemplativen Momenten als fensternahes Aussichtsfleckchen funktioniert. Die einzigen nicht fest eingebauten Möbel sind der neongelb lackierte Esstisch und die dazu passenden Sitzmöbel, die von den Architekt*innen speziell für das Haus entworfen wurden. Die Wohnküche ist das kommunikative und organisatorische Herz, das im Sommer fließend in den Garten mit Feuerstelle und Steg übergeht.
Schlafversteck unter dem Reet
Gut versteckt ist hingegen der zweite Schlafraum. Er findet sich in dem kleinen Spitzboden und ist nur über eine Einschubtreppe zu erreichen. Korrespondierend zur dunklen Dachkammer unter dem Reetdach ist auch das Schlafzimmer im Erdgeschoss dunkel gehalten. Ausgehend von der Idee, dass man sich dort nur nach Sonnenuntergang aufhält, wurden die Wände in einem fast schwarz erscheinenden Dunkelgrün gestrichen, das die Raumgrenzen verschwimmen lässt. Umso strahlender wirken das Panorama vor dem Fenster und die frühlingshaften Nuancen des Wohnraums. Wände, Fenster und Decken sind in einem hellen Pistaziengrün gestrichen, Türgriffe, Garderobenstangen und Möbel strahlen sonnengelb und der Boden ist mit einem an Schwedenrot erinnernden Fliesenspiegel belegt. Als besonderen Clou hat das Gestalter*innen-Duo die Verlegerichtung zum Raum hin verdreht und verursacht dadurch einen spielerischen Irritationsmoment, der wahrscheinlich dann besonders gut zum Tragen kommt, wenn die Wohnküche beim nächsten Sommerfest zur Tanzfläche wird – die Discokugel hängt jedenfalls schon bereit.
FOTOGRAFIE Schnepp Renou Schnepp Renou
Innenarchitektur
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