Felsiges Refugium
Lärchenholz, Sichtbeton und Stahl: Wohnhaus in den italienischen Alpen.

Alle guten Dinge sind bekanntlich drei. Auf diese Regel setzte der Architekt Alfredo Vanotti bei der Planung eines Wohnhauses in den italienischen Alpen. Lärchenholz, Sichtbeton und Stahl hat er auf 1.000 Höhenmetern zu einer ausgewogenen Melange zusammengeführt. Den Grundriss gab ein bestehendes Gebäude aus den 1980er Jahren vor: ein Stall.
Wer die Uferstraßen des Comer Sees nach Norden fährt, gelangt nach einem östlichen Schlenker direkt ins Veltlin-Tal. Die umliegende Skigebiete locken nicht nur Wintersportler. Seit über 2.000 Jahren wird in der Region auch Wein angebaut, darunter der berühmte Valtellina Superiore und der Sforzato di Valtellina aus der Nebbiolo-Traube. Einen eindrucksvollen Blick auf die Weinberge bietet das Wohnhaus, das der Architekt Alfredo Vanotti auf der Südseite des Tals bei Sondrio errichtete.
Geschichtete Zeiten
Die zurückgezogene Lage auf 1.000 Höhenmetern gab dem Gründer des Büros EV+A Lab die gestalterische Richtung vor: Ein Schaukasten in die Landschaft sollte her, der Motive traditioneller Alpenarchitektur mit der Gegenwart verbindet. Einen weiteren Ansatz lieferte das Grundstück, auf dem sich die Überreste eines Stalles fanden, der in den 1980er Jahren aus Beton-Ziegeln gemauert worden war. Alfredo Vanotti vervollständigte die Wände zum Teil mit neuen Beton-Bausteinen und verstärkte die Innenwände mit einer Schicht aus Sichtbeton. Um die thermische Isolation zu erhöhen, verkleidete er die Außenfassaden mit Felssteinen, die auf dem umliegenden Grundstück sowie in einem benachbarten Waldstück zusammengetragen wurden.
Dass das Haus eine verschlossene, geradezu wehrhafte Erscheinung verströmt, bewirkt eine klar geordnete Fassaden-Hierarchie: Die zum Berg ausgerichtete Südseite sowie die Westseite sind jeweils bis auf eine einzelne Fensteröffnung verschlossen. Kaum anders sieht es an Ostseite au, wo die Eingangstür von lediglich zwei kleinen Fenstern flankiert wird. Die Botschaft ist eindeutig: Die Musik spielt allein an der Nordfassade, wo vier Fenster von jeweils 2,3 mal 1,4 Metern den Innenraum mit Blicken ins Tal und auf die umliegenden Gipfel öffnen.
Durchgehende Dachschräge
Die Ausrichtung zum Hang wird durch einen Höhensprung verstärkt. Alfredo Vanotti stockte das Erdgeschoss mit Wohnraum, Küche und Essbereich um eine zusätzliche Etage auf. Diese bietet Platz für zwei Schlafzimmer, die jeweils eines der beiden oberen Panoramafenster okkupieren. Zur Bergseite senkt sich das Obergeschosses hingegen deutlich ab, sodass eine durchgehende Dachschräge anstelle eines traditionellen Satteldaches entsteht. „Ich habe zuallererst an der Isolierung und Beleuchtung des Hauses gearbeitet, weil auf die Südseite des Tales nur wenig Sonnenlicht fällt“, sagt Alfredo Vanotti, der sein Büro im Stadtzentrum von Sondrio unterhält.
Doch so verschlossenen sich das 75 Quadratmeter große Wohnhaus von außen auch gibt: Im Inneren wird diese Wirkung genau umgekehrt. Für Helligkeit und Transparenz sorgen neben den vier großen Fenstern auf der Talseite zwei Oberlichter, die Küche und Esstisch mit viel Tageslicht durchfluten. „Das Innere des Hauses entstand größtenteils in Zusammenarbeit mit lokalen Handwerkern. Ich glaube an diese Tradition, weil sie unsere Geschichte repräsentiert“, ist Alfredo Vanotti überzeugt. Für Kamin, Treppe, Küchenzeile sowie die übrige Möblierung setzt er auf das Zusammenspiel dreier Materialien: unbehandeltes Lärchenholz trifft auf klinisch weiß lackierten Stahl – gepaart mit der rauen Eleganz von Sichtbeton.
Alpenästhetik und Gegenwart
Mithilfe einer Reduktion der Formensprache können die Materialien ihre Wirkung entfachen – und sorgen dabei für spannende Überblendungen. Indem das stark gemaserte Lärchenholz für Dielen, Sitzflächen und Deckenbalken verwendet wird, schmiegt sich das Interieur in raumgreifender Geste um seine Bewohner. Auch die seitliche Verkleidung der unteren Treppe erweist sich als kluger Schachzug, um die Grenzen zwischen Architektur und Möbel aufzuheben. Alfredo Vanotti ist damit nicht nur der Schulterschluss zwischen Alpenästhetik und Gegenwart gelungen. Er hat einen atmosphärischen Ort geschaffen, ohne in die überholte Retrokiste greifen zu müssen.
FOTOGRAFIE Marcello Mariana
Marcello Mariana
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