Fliegendes Dach
Wohnhaus von Architekt Gui Mattos im brasilianischen Regenwald

Als wäre die Urhütte als minimalistische Betonstruktur nachgebildet worden: Ein Ferienhaus in Brasilien, das inmitten des dichten Regenwaldes und in unmittelbarer Nähe zum Strand steht, wurde in seiner Gestalt auf das Wesentliche reduziert. Wo sich das größere Schauspiel abspielt – in der radikal geöffneten Wohnskulptur oder der üppigen Natur – kann nur jeder für sich selbst entscheiden.
Ein Dach: Mehr brauchte es früher nicht, um den Menschen vor seiner Umwelt zu schützen. Doch Anforderungen und Bedürfnisse haben sich stark verändert – und so wird ein Haus ohne Wand und Tür wohl kaum mehr unserer Sehnsucht nach Sicherheit und Komfort gerecht. Dass es aber auch anders geht beweist ein Wohnhaus in Itamabuca, einer kleinen Ansiedlung an der brasilianischen Südost-Küste, nördlich von São Paulo. Der Architekt Gui Mattos platzierte zwar eine steinerne Bodenplatte mit einem darüberliegenden Dach auf dem Grundstück und markierte damit den Wohnort – aber der Platz wirkt alles andere als vom Menschen besetzt. Dafür sorgt die mögliche Öffnung des Hauses zu allen vier Seiten.
Markierung aus Beton
Die Bodenplatte ist ähnlich einer Bühne leicht vom umgebenden Terrain angehoben. Unter dieser Stufe verbirgt sich nicht nur die notwendige Haustechnik, sie ist gleichzeitig auch eine umlaufende Sitzbank für die Bewohner. Das Dach, getragen von acht Stützen, schwebt über dem Haus wie eine grafische Markierung. Dazu trägt die Form einer auf den Kopf gestellten Pyramide bei, deren vier Seiten sich über der Mitte des Neubaus treffen. Die prismatische Form ist aber nicht nur Ornament, sie sorgt auch für eine bessere Durchlüftung des Gebäudes und eine gute Isolation nach oben – nicht unwichtig bei einer Behausung im Regenwald. Die vier Fassaden bestehen aus raumhohen, schiebbaren Fensterelementen, die sich fast vollständig öffnen lassen.
24 Stunden Naturspektakel
Die privaten Rückzugsräume behandelte Mattos wie Möbelstücke: Er schob zwei mit Holz verkleidete Kisten zwischen Boden- und Deckenplatte und hob eine weitere auf das Dach. In ihnen finden sich die Schlaf- und Badezimmer. Um sie herum ordnen sich der Wohn-, Koch- und Essbereich an. Sämtliche Einbauten und Möbel sind aus dunklem Holz und laden zum entspannten Genuss des Naturspektakels ein, das sich sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag um das Gebäude herum abspielt. Durch die nach außen ansteigenden Decken und scheibenartig geformten Stützen eröffnet sich den Bewohner ein ungestörtes Panorama auf die Umgebung. Auch die Treppe, die Erd- und Obergeschoss miteinander verbindet, scheint unsichtbar: Die dünnen, schwarzen Metallstufen, die von der Decke abgehängt wurden, lösen sich vor der natürlichen Kulisse mit ihren Farben auf.
Kontrast auf dem Dach
Auf dem Dach platzierte der Architekt den Großteil der Schlafräume: Mit nur wenigen schmalen Fenstern ausgestattet wirken sie im Vergleich zu dem restlichen Wohnbereich geradezu introvertiert. Dazu trägt auch die hölzerne Oberfläche von Wand, Boden und Decke bei, die den Räumen einen wohnlich-intimen Charakter verleiht. Mit dem Neubau hat Gui Mattos eine Gegenüberstellung verschiedener Extreme geschaffen, die sich gegenseitig beeinflussen. Mensch und Natur, Rückzug und Öffnung, Komfort und Wildheit bilden die Pole, zwischen denen sich die Bewohner in ihrer neuen Unterkunft bewegen und damit ein spannungsvolles Wohnkonzept auf seine Tauglichkeit überprüfen können.
FOTOGRAFIE Nelson Kon
Nelson Kon
Itamabuca House
Neubau aus Ortbeton und mit vollverglaster Fassade / 300 Quadratmeter / Itamambuca / Fertigstellung: 2016
Mehr Projekte
Camden Chic
An- und Umbau eines ehemaligen Künstlerateliers von McLaren.Excell

Aus Werkstatt wird Wohnraum
Umbau im griechischen Ermionida von Naki Atelier

Londoner in der Lombardei
Tuckey Design Studio verwandelt ein Wohnhaus am Comer See

Zwischen Stroh und Stadt
Nachhaltiges Wohn- und Atelierhaus Karper in Brüssel von Hé! Architectuur

Flexibel zoniert
Apartment I in São Paulo von Luiz Solano

Freiraum statt Festung
Familienhaus mit Innenhof in Bangalore von Palinda Kannangara

Kork über Kopf
Umbau eines Penthouse mit Korkdecke von SIGLA Studio in Barcelona

Drei Pavillons für ein Familiendomizil
Australisches Wohnhaus von Pandolfini Architects und Lisa Buxton

Ein Haus der Gegensätze
Kontrastreicher Neubau nahe Barcelona von Ágora

Die Magie der Entgrenzung
Luftiger Neubau Casa Tres Patis von Two Bo in Spanien

Raumsequenzen in der Grotte
Casa Gruta in Mexiko von Salvador Román Hernández und Adela Mortéra Villarreal

Altes Haus im neuen Licht
Familienwohnung von Jan Lefevere in Kortrijk

Mehr Platz fürs Wesentliche
Umbau eines Backstein-Cottage in London von ROAR Architects

Raum-Chamäleon
Flexibel nutzbarer Anbau in Brisbane von Lineburg Wang

Wohnräume mit Tiefgang
Innenausbau einer Villa am Rhein vom Düsseldorfer Studio Konture

Holz und Stein im alpinen Dialog
Apartmenthaus Vera von atelier oï und CAS Architektur in Andermatt

Haus mit zwei Gesichtern
Umbau eines Reihenhauses in Lissabon von Atelier José Andrade Rocha

Umbau am offenen Herzen
Ply Architecture transformierte einen Sechzigerjahre-Bungalow in Australien

Reise in die Vergangenheit
Studio Hagen Hall gestaltet ein Londoner Reihenhaus im Mid-Century-Stil

Downsizing als Designprinzip
Kompaktes Wohnhaus in Portugal von Atelier Local

Der Reiz der Reduktion
Innenarchitekt Ilkka Palinperä gestaltet ein Wohnhaus bei Helsinki

Authentische Askese
Apartment-Rückbau in Paris von Atelier Apara

Umbau im Anbau
Gianni Botsford erweitert Fosters Londoner Frühwerk

Visionen vom Wohnen
Design-Apartments auf der MDW 2025

Mit Ecken und Kurven
Umbau eines Reihenhauses in London von Pensaer

Raw in Rio
Von Säulen geprägter Wohnungsumbau von Estudio Nama

Nostalgie nach Mass
Belgravia Townhouse von Child Studio

Grobe Perfektion
Symbiose aus Beton und Holz in einem Apartment in Tokio von Kenta Hirayama

Appetitliches Apartment
Wohnungsumbau von Iva Hájková Studio in Prag

Raumwunder in Porto
Umbau eines portugiesischen Mini-Häuschens von Spaceworkers
