Für Schreibtisch-Toreros
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Wenn man für das karge Land der Extremadura im Westen der iberischen Halbinsel eine Corporate Colour wählen müsste, wäre diese unweigerlich Rot. Der braunrote Boden der spärlich bewachsenen Landschaft kurz vor der portugiesischen Grenze ist omnipräsent, auch die Steine der mittelalterlichen Burgen, Kathedralen und Stadtmauern tragen einen rötlichen Schimmer. Doch während Stadtmauern eigentlich der Befestigung einer Stadt dienen, gibt es in Badajoz, einer der beiden Provinzhauptstädte der Extremadura, eine typologische Besonderheit zu entdecken: Als kreisrunder Ausschnitt in den fünfeckigen Befestigungswall „San Roque“ war seit dem 19. Jahrhundert eine Stierkampfarena eingeschnitten. Man opferte hier für die Gewinnung von öffentlichem Raum also ein Stück Sicherheit – eine Erkenntnis, die die Architekten SelgasCano (Madrid) bei der Konzeptfindung für das an dieser Stelle neu enstandene Kongresszentrum einen entscheidenden Schritt weiter brachte.
Die alte Stierkampfarena hatte eine bewegte Geschichte hinter sich. Seit dem 19. Jahrhundert war sie der soziale Mittelpunkt der Großstadt gewesen, doch während des spanischen Bürgerkriegs – im so genannten „Massaker von Badajoz“ im Jahr 1936 – trieben hier die Franquisten die besiegten Republikaner zusammen und erschossen sie. Dieses kollektive Trauma lastete auf der Anlage, die ursprünglich ja ein Ausdruck für eine offene Gesellschaft gewesen war. Vielleicht war das auch ein Grund, warum man sich mit der Errichtung des neuen Kongresszentrums entschloss, eine neue Arena einige hundert Meter entfernt zu bauen, während das Kongressgebäude die Erinnerung an die alte Arena in der Nachzeichnung des Grundrisses bewahrt.
Vom Kreis zum Ring
Das Konzept für den Neubau des Kongresszentrums integriert also die existierende Idee eines öffentlichen Raumes, eines Treffpunkts für die Stadt und entwickelt sie weiter – zu einem Ring. Während die Architekten die ehemalige Kreisfläche der Arena mit dem Gebäude besetzen, schaffen sie rings um den Neubau herum eine offene Zone, die frei von Bebauung bleibt. Allerdings wird sie markiert mit einer semitransparenten Wand aus Plexiglasröhren, die eine Art „Fassade vor der Fassade“ bilden. Die eigentliche Hülle des Neubaus ist ebenfalls mit Röhren aus Plexiglas verkleidet, diese können jedoch beleuchtet werden. Durch die Schichtung der beiden Wände entsteht besonders nachts und in der Dämmerung, wenn die Beleuchtung einsetzt, ein fast magischer Effekt, der das Gebäude ein wenig unwirklich und wie schwebend erscheinen lässt. Das Gebäude changiert damit zwischen einer äußerst starken und einer sich fast auflösenden Präsenz. Diese Wirkung kann das Gebäude besonders gut vor dem Hintergrund der steinernen Stadtmauer entfalten.
Unterirdischer Krater
Die Entscheidung, einen Teil des Grundstücks offen und unbebaut zu lassen, führte unweigerlich zu der Frage, wie die geforderten 15.000 Quadratmeter Fläche unterzubringen seien. Die Architekten lösten diese Aufgabe dadurch, dass sie einen Teil des Gebäudes einfach eingruben. Mit dem Eingraben haben die Architekten Erfahrung, schließlich ist auch ihr eigenes Bürogebäude ein einziges „Souterrain“. Und ein Kongresszentrum braucht schließlich vor allem eins: ein großes Auditorium. Das – der so genannte „Große Saal“ – ist in Badajoz ähnlich wie ein Amphitheater jedoch in einem ovalen Grundriss angeordnet; da sich die Teilnehmer vor allem auf den Vortrag konzentrieren sollen, gibt es keinen Außenbezug. Sitzreihen mit einer Bestuhlung in unterschiedlichen Blautönen geben dem Saal eine lockere Atmosphäre, in die Seiten- und Rückwände sind lange Ränge eingeschnitten.
Blau wie die Nacht
Dabei sind die Sessel des „Großen Saales“ so konzipiert, dass ein Seitenstreifen aus Sitzfläche und Rückenlehne im unbenutzten Zustand die Sitzfläche nach oben zieht. Beim Herunterziehen der Sitzfläche klappt automatisch auch dieser seitliche Streifen herunter und wird dabei zur Armlehne für den Sessel. Die blaue Farbgebung, die aussieht, als sei sie per Photoshop-Pipette direkt dem nachtblauen Himmel über Badajoz entnommen, wird im blau eingefärbten Fußboden fortgesetzt, die Wände sind dagegen mit weiß hinterleuchtetem Plexiglas verkleidet, was ihnen – wie an der Außenfassade – wieder eine fast immaterielle Ausstrahlung verleiht, zudem wird darüber ein Teil der Raumakustik gelenkt. Die aus akustischen und lichttechnischen Gründen ebenfalls aufwändig gestaltete Deckenkonstruktion ist von der obersten Galerie aus seitlich einsehbar, man blickt auf eine filigrane, von einem runden Fachwerkträger abgehängte Seilkonstruktion.
Rot wie die Erde
Das Ring- oder Zwiebelprinzip wurde auch im Inneren des Gebäudes fortgesetzt: So sind Erschließungsflächen, Neben-, Ausstellungs- und Seminarräume ringförmig um das Auditorium angeordnet und ragen zum Teil bis an die Befestigungsmauer heran. Der Schreibtisch-Torero respektive Kongressbesucher bewegt sich also immer im Kreis. Dabei wartet das Foyer mit einer fast landschaftlichen Atmosphäre auf, die einerseits der dominanten kraterartigen Außenwand des Auditoriums zu verdanken ist, andererseits von in den Boden eingelassenen Sitznischen unterstützt wird. Eine Assoziation, die sicher nicht von ungefähr kommt: Boden und Decke des Vorraums sind nämlich zu großen Teilen in Rot gehalten – so rot wie die Erde der Extremadura.
FOTOGRAFIE Roland Halbe
Roland Halbe
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