G'schicht in Beton
Architekt Peter Haimerl baute ein Bauernhaus im Bayerischen Wald vielschichtig um.
Wer vor der Wahl steht, ein ruinöses Bauernhaus zu konservieren und mit dem minimalen Komfort vergangener Tage zu leben oder es den modernen Wohlfühlstandards anzupassen und die Historie unter einer neuen Schichten zu verbergen, entscheidet sich allzu oft für letzteren Weg. Doch es gibt auch Ausnahmen. Nahe der kleinen Ortschaft Viechtach im Bayerischen Wald wagten eine Bauherrin und ihr Partner und Architekt des „oide Glump“ einfach mal ein „oides Glump“ sein zu lassen. Nur auf einen Luxus wollte das Paar nicht verzichten: warme Füße.
„Ich will, dass das Gebäude bleibt wie es ist, ... aber ich will nicht mehr frieren!“ Nur diesen einen Wunsch hatte die Bauherrin an den Umbau des alten Bauernhauses. Ein bisschen mehr als nur eine warme Stube hat sie am Ende schon bekommen.
Tiptop-Jodelhütte, nein danke!
Das ursprüngliche Bauernhaus wurde 1840 inmitten der bewaldeten Landschaft des Bayerischen Waldes gebaut und, wie es der Lauf der Zeit so mit sich bringt, mehrere Male durch Aufstockungen und Anbauten ergänzt und neuen Nutzungen angepasst. Die letzte Bewohnerin, Bäuerin Cilli Sigl, starb 1974. Danach stand der Bau leer – bis ihn die Künstlerin Jutta Görlich und ihr Lebensgefährte, der Architekt Peter Haimerl erwarben. „Eine Tiptop-Jodelhüttenrenovierung für mein altes Bauernhaus kommt für mich nicht in Frage. Ich möchte, dass das Flickwerkhafte, Angestückelte des alten Hauses sichtbar bleibt“, erklärte die Bauherrin im Vorfeld ihre Vision für das Gebäude. „Man soll die Stellen sehen, wo es sich dehnen musste, wo es mit den Bedürfnissen der Bewohner wachsen musste.“ Dabei ging es ihr nicht darum, sich einen spartanischen Wohnstil aufzuerlegen, sondern vor allem um eine größere Wertschätzung der architektonischen Tradition der Region. Abblätternde Farbe, unterschiedlich starke Wände und der Futtertrog im Stall sollten als Zeitdokumente sichtbar bleiben und an die Geschichte und Bedürfnisse der vormaligen Nutzer erinnern.
Beton mit Blähglas
Von außen ist die Veränderung kaum erkennbar. Und auch im Inneren blieben die Räume in ihrer Anordnung und Nutzung exakt wie sie waren. Die Einbauten beschränken sich auf vier Bereiche, in die Peter Haimerl Kuben aus weißem Leichtbeton einfügte. Eine minimalistische Geste, die einerseits die Rohheit der Bestandsarchitektur unterstreicht und andererseits einen klaren Kontrast in der Oberfläche schafft. Durch den Zuschlag aus Blähglas erlangt der Werkstoff seine wärmedämmende Wirkung. Gleichzeitig ist die besondere Mixtur eine Referenz an eine im Bayerischen Wald häufig anzutreffende geologische Formation, den „Quarzkeil“und die daraus folgende Tradition und Glasbläserei-Kunst. Ausschnitte in den Betonflächen um alte Fenster und Türen herum oder im Boden oder der Decke rahmen die äußere Hülle des Hauses. Mal wird der Blick auf ursprünglichen Lehmboden freigegeben, mal auf die historischen Holzfenster oder hinauf in den alten Dachstuhl.
Birg mich, Cilli!
Die vier Betonvolumen dienen den neuen Bewohnern als Lebensmittelpunkt: Stube, Küche und Badezimmer im Erdgeschoss sowie das Schlafzimmer im Obergeschoss wirken wie ein abstraktes Inlay in der alten Substanz. Doch sind sie nicht nur ein formaler Eingriff, sie reaktivieren den ländlichen Lebensrhythmus, der sich nach den Jahreszeiten richtet: Während im Sommer der gesamte Bau genutzt werden kann, reduziert sich das Raumprogramm im Winter auf die Zimmer aus Beton. Sie werden über eine Fußbodenheizung, die über einen Kamin in Gang gesetzt wird, zu Wärmekapseln – umschlossen von einem kalten Hüllraum. Damit wird die architektonische Idee des liebevoll „Birg mich, Cilli!“ genannten Bauvorhabens zu einem ganzheitlichen, den Alltag der Bewohner beeinflussenden Konzept. Ganz ohne folkloristische Nostalgie, dafür aber voller Poesie.
FOTOGRAFIE beierle.görlich
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