Gläsernes Literaturhaus
Erweiterungsbau von Sibling Architecture in Sydney
Was bedeutet Zuhause? Für einen literaturaffinen Bauherrn aus Sydney war die Antwort denkbar einfach: Rückzug von der Außenwelt. Er beauftragte das Kollektiv Sibling Architecture mit einem Anbau, der das Buch als Zufluchtsort zelebriert.
Unweit von Sydneys Flughafen im Stadtteil Tempe gelegen, lässt das Gebäude zunächst keine architektonischen Besonderheiten vermuten. Der eingeschossige Klinkerbau im historischen Föderationsstil entstammt derselben Epoche wie seine dicht angrenzenden Nachbargebäude. Umso überraschender fällt die Ansicht von der Gartenseite aus.
Architektur des Lesens
Hier eröffnet sich dem Betrachter ein transluzenter Anbau, der bei Einbruch der Dunkelheit einer Lichtskulptur gleicht. Ähnlich wie Pierre Chareaus Maison de Verre in Paris plante das Kollektiv Sibling Architecture sein Glassbook House als kubischen Anbau mit einer durchgehend aus Glasbausteinen errichteten Südfassade. Da das Grundstück zum Garten hin deutlich abfällt, verfügt der neue Anbau über zwei Geschosse, ohne dabei die Firsthöhe des Bestands zu überschreiten.
Der individuelle Akt des Lesens strukturiere die zweigeschossige Erweiterung, sagen die Planer. Gemeinschaftliche Aktivitäten wie Essen, Kochen und Unterhaltung würden von einem Bücherregal flankiert, sodass man jederzeit ein Buch zur Hand hätte, erklären sie. Im tiefer liegenden Erdgeschoss befinden sich eine minimalistische Küchenzeile mit angrenzendem Essbereich sowie ein hölzernes Bücherregal, das sich über beide Geschosse zieht. Die obere Ebene wird durch eine eingebaute Lesenische am Fenster mit Ausblick über die Dächer der Nachbarschaft charakterisiert. Ein durchlässiges Metallgitter im Boden sorgt für die optische Verbindung der beiden Ebenen.
Respektvoll radikal
Obwohl die Erweiterung stilistisch einen konsequenten Bruch mit dem bestehenden Altbau darstellt, verläuft der Übergang überraschend harmonisch. Farbliches Leitmotiv ist die konsequente Verwendung von Marineblau, das im neuen Badezimmer und Kochbereich zum Einsatz kommt und sich darüber hinaus in Stahlträgern,Verbindungstreppen, Türrahmen sowie dem wollenen Bodenbelag auf der Leseebene wiederfindet. Ergänzt wird die starke Farbe durch warme Holz- und Terrakottatöne im Koch- und Essbereich, wo die von Patricia Urquiola für Mutina entworfenen Tonfliesen Tierras Tiles verlegt wurden. Im Altbau sind historische Details wie traditionelle Dielenböden und Stuckelemente restauriert und hervorgehoben worden. Die neue gläserne Südfassade lässt helles Tageslicht in das gesamte Gebäude fließen und dämmt gleichzeitig den Lärm des nahe gelegenen Highways und Flughafens.
2012 als utopisches Kollektiv in Melbourne gegründet und bekannt für seine unkonventionellen Projekte, beweist Sibling mit seinem ersten gebauten Haus in Sydney, dass es trotz seines kommerziellen Erfolgs nichts von seinem visionären Geist der utopischen Anfangsjahre eingebüßt hat. Das Glassbook House ist auf stille Weise radikal und dabei in sämtlichen Details den Bedürfnissen des Bücher liebenden Bauherrn angepasst.
FOTOGRAFIE Katherine Lu
Katherine Lu
Ort | Tempe, Sydney |
Baujahr | 2019 |
(bebaute) Baufläche | 100 qm |
(Grundstück) Gesamtfläche | 171 qm |