Große Wünsche, kleiner Raum
Wohnen und Wellness auf sieben Quadratmetern in Rotterdam
Die Besitzer*innen und Architekt*innen eines noch nicht einmal sieben Quadratmeter großen Apartments in Rotterdam nennen es die „größte“ kleinste Wohnung der Welt. Statt die Grundfläche zur Maßeinheit zu machen, haben Beatriz Ramo und Bernd Upmeyer in Volumen gedacht und deren Größe an den eigenen Körperproportionen ausgerichtet. Die Funktionen der vier Räume im Raum folgen individuellen Wünschen – und zu denen gehörte ein Spa mit Whirlpool und Sauna.
Ein wenig erinnert das Volumen auf dem Rotterdamer Wohngebäude der Fünfzigerjahre an die Brücke eines Kreuzfahrtschiffs. Unten stehen zwei orthogonal zueinander angeordnete Gebäudeblöcke mit Apartments auf fünf und sieben Etagen, obenauf thront der kleine Baukorpus, durch dessen bodentiefes Fenster es vor allem nachts wie aus einem Leuchtturm Neonorange in die Dunkelheit leuchtet. Über viele Jahrzehnte war dort oben ein Abstellraum untergebracht, eine funktionale Dachkammer ohne Infrastruktur. Dann standen die 6,89 Quadratmeter zum Verkauf. Beatriz Ramo und Bernd Upmeyer, die im Ensemble ein Apartment bewohnen, wurden zu den neuen Eigentümer*innen. Eine Wohnung für Gäste sollte es werden, befand Beatriz Ramo. Eine Wellnesskammer wünschte sich Bernd Upmeyer. Ideen, die größer sind als knapp sieben Quadratmeter, könnte man meinen. Aber: Die beiden sind Architekt*innen. Bernd Upmeyer ist Gründer des Architekturbüros BOARD (Bureau of Architecture, Research and Design) , Beatriz Ramo führt das Studio STAR strategies + architecture.
Hütte auf dem Dach
Cabanon hat das Duo sein Projekt getauft und es damit zu einer Hommage an Le Corbusier gemacht, der einst eine Hütte unter diesem Namen an der Côte d'Azur errichtete, in direkter Nachbarschaft zu Eileen Grays Villa E.1027. Eine Gemeinsamkeit des französischen und des niederländischen Cabanon-Projekts ist, dass sie beide von den Architekt*innen selbst genutzt werden sollten, die sie geplant haben. Die Entwürfe unterscheiden sich aber deutlich in ihrer Größe: Das neue Cabanon in Rotterdam ist halb so groß wie Le Corbusiers Hütte in Roquebrune-Cap-Martin. Damit alle Ideen der Bauherr*innen dort Platz finden, wurde das Volumen mit seiner Höhe von drei Metern und einer Grundfläche von 1,97 mal 3,60 Metern in vier Räume unterteilt. Ein schlanker Streifen neben dem großen Fenster übernimmt die Aufgabe von Empfang, Flur, Küche, Wintergarten, Lounge und Essbereich. Um die jeweiligen Funktionen zu aktivieren, lassen sich aus dem rechtsseitig eingebauten Holzmodul ein Tisch und eine Kocheinheit ausklappen.
Räume für Wünsche
Die drei weiteren Wohnzonen sind in dem kompakten Einbaumodul untergebracht. An der Frontseite ist der grüne Schlafbereich positioniert. Er liegt unter der Decke und wird über eine Leiter erklommen. Seine Dimensionierung, ebenso wie die der anderen Bereiche, orientiert sich an den Formaten von Standardprodukten. „Das Schlafzimmer wurde unter Berücksichtigung einer bestimmten Matratze entworfen, das Spa entsprechend der Badewannenlänge, die Küche orientiert sich an der Tiefe des Minikühlschranks“, erläutern die Planer*innen. Dadurch konnte der Umbau besonders günstig realisiert werden. Jedes nicht ausgenutzte Plätzchen nimmt Stauraum in Form von Regalen, Ablagen und Schränken auf. Ihre Kleidung können Gäste beispielsweise in Fächern neben dem Bett – und damit über der Dusche – unterbringen.
Form follows size
„Das Cabanon ist ein Tempel in den Proportionen seiner Besitzer. Es ist von luxuriösester Kleinheit, eine epikureische Reduktion“, fassen Ramo und Upmeyer ihr Konzept zusammen. Was das bedeutet, zeigen die verborgenen Räume, die hinter einer schmalen Tür liegen. Das erste Volumen ist 2,13 Meter hoch und 62 Zentimeter breit. Es beherbergt die Toilette im hinteren Bereich und nutzt die vordere Zone als komplett mit blauen Mosaikfliesen ausgekleidete Regendusche. Eine seitliche Schiebetür führt in den innersten Kern des Cabanon. Die Raumhöhe beträgt dort noch 1,82 Meter, sodass die Nutzer*innen stehend eintreten können. Der Aufenthalt ist aber vor allem aufs Sitzen ausgerichtet. Denn dort findet sich ein Spa als ästhetische Black Box: komplett mit schwarzem Marmor ausgekleidet und mit Whirlpool, eingelassenen Sitzkuben sowie Infrarot-Sauna ausgestattet.
Kein Platz für viel Besitz
Um eine maßgebende Einheit zu finden, haben Upmeyer und Ramo ihre eigenen Körperproportionen zum Modulor ihres Entwurfs gemacht. Das Cabanon ist ein sehr persönliches Projekt und keine Antwort auf die Immobilienkrise oder ein Vorschlag, wie das Wohnen in der Zukunft aussehen könnte. Es manifestiert die Wünsche seiner Besitzer*innen. Eine Bank am Fenster, ein kompakter Bett-Alkoven, eine spartanische Küche, eine Wellnesshöhle – alle Lösungen sind Antworten auf die individuellen Vorstellungen und Lebensgewohnheiten des Duos. Dass sich andere Gestalter*innen von ihrem Projekt inspirieren lassen könnten, um Wohnraum und Kosten zu optimieren, befürworten Upmeyer und Ramo jedoch. „Optimierung ist nicht als Reduzierung zu verstehen, sondern als Maximierung der Möglichkeiten eines Raums“, resümieren sie. „Strategien sind hierbei die Modulation der Höhe bestimmter Räume und die Loslösung von Besitz und Konsum, damit wir weniger geneigt sind, nutzlose Gegenstände zu kaufen und anzuhäufen, die unsere Häuser und Gedanken überladen.“
FOTOGRAFIE Ossip van Duivenbode Ossip van Duivenbode