Höhle mit Kino
Ein Gästehaus im belgischen Berlare von Atelier Vens Vanbelle

So extrovertiert geht introvertiert! Ein Filmproduzent hat in seinem Garten in Ostflandern ein Gästehaus mit Showeffekt errichten lassen. Die Architekten Dries Vens und Maarten Vanbelle ersannen einen Zufluchtsort, der doppelt wirkt: um Filme im kleinen Rahmen zu schauen und die Gedanken mit Natureindrücken zu beflügeln.
Was ist besser als Kino? Richtig, ein Heimkino! Mit Projektor statt Bildschirm, roten Samtvorhängen und einer eigenen Bar – genau wie in den Villen der Hollywood-Produzenten der Zwanzigerjahre. In Corona-Zeiten sind Privatkinos die einzigen Orte, in denen Filme noch das dürfen, wofür sie eigentlich gemacht sind: über eine Leinwand flimmern und durch die völlige Dunkelheit des Saals die Realität der Gegenwart ausblenden. Eskapismus in Reinform. Aus heutiger Sicht stehen sie für ein Stück wiedererlangte Freiheit.
Mentale Aktivierung
Genau davon profitiert nun ein Filmproduzent in Belgien. Er bewohnt eine Villa aus dem 19. Jahrhundert in Berlare, einer Kleinstadt östlich von Gent. In seinem Garten machte er eine erhöhte Stelle aus, um dort ein Haus für seine Gäste zu errichten. Viele von ihnen arbeiten selbst in der Filmindustrie, weswegen ein privater Vorführsaal auf der Hand lag. Zudem kommen die Besucher aus allen Teilen der Welt und brauchen nach ihren langen Flügen Erholung und mentale Stimulation. Ein gewöhnliches Gästehaus war damit ausgeschlossen. Es ging um ein Statement. Und genau dafür kamen die Architekten Dries Vens und Maarten Vanbelle ins Spiel. Die beiden Gründer des Büros Atelier Vens Vanbelle aus Gent haben sowohl im Interieur als auch beim Exterieur zu einer Sprache gefunden, die in der Erinnerung verankert bleibt.
Unterwasser-Überwasser
Von außen wirkt der bullige Baukörper, als hätte man das Yellow Submarine der Beatles seiner gelben Farbe beraubt und mit einem Panzer aus dem Ersten Weltkrieg gekreuzt. Der Grundriss folgt einer Trapezform mit weit abgerundeten Ecken. Zwei große Bullaugen sowie eine rechteckige Glastür öffnen die holzbeplankten Fassaden zum Garten, der mit hohen Bäumen bewachsen ist und sich zum nahe gelegenen Fluss Schelde sowie einem Schloss orientiert. Noch weitere Aussicht bietet ein kleiner Turm mit auskragender Plattform, der von einem zylindrischen Sockel emporgehoben wird.
Vertikale Ordnung
Der Zugang zum Gästehaus erfolgt über den Altbau – genauer gesagt: durch das Wohnzimmer des Hausherren. Von dort gelangen die Besucher in einen langen Tunnel und erreichen zuerst den kleinen Kinosaal, der vollständig ins Erdreich abgesenkt wurde. Rote Vorhänge bedecken einen Teil der gemauerten Wände. An einem kleinen Bartresen werden Erfrischungen serviert. Ganz am Ende des Tunnels fällt Tageslicht herein – über eine Wendeltreppe, die nach oben zur leicht über den Erdboden angehobenen Wohnfläche und von dort hinauf zum Aussichtsturm führt. Das Treppenhaus funktioniert wie ein Mast, der die Elemente Erde (Kino im Untergeschoss), Wasser (Wohnraum mit Flussblick) und Luft (Aussichtsturm) miteinander verbindet.
Monochrome Materialität
Beim Betreten der Gästewohnung gelingt der Überraschungseffekt: Denn gerade aufragende Wände, wie die Gebäudekubatur von außen vermuten lässt, sucht man hier vergebens. Das Interieur gleicht einer Höhle, die allerdings nicht in einen Felsen geschlagen wurde, sondern auf dem flachen Land aus reinem Schichtholz konstruiert wurde. Wände, Decken und Böden scheinen nicht nur durch ihre monochrome Materialität miteinander zu verschmelzen. Auch auf formaler Ebene rücken die Raumfluchten durch konkav gekrümmte Wände zusammen – sowohl im Schlafzimmer als auch im etwas größeren Wohnzimmer.
Rudolf Steiner trifft Dr. Caligari
Indem die Wände aus dem Lot geraten sind, können sie Aufgaben der Möblierung übernehmen. Regalböden und Ablageflächen wachsen nahtlos aus den Wänden heraus. Auch die Ummantelung des Wohnzimmerkamins ist aus Schichtholz konstruiert. Die Übergänge zwischen den Decken, Wänden und Böden fallen alles andere als organisch weich aus. Sie zeigen Kanten, Abstufungen und Umbrüche, genau wie der Unterbau des Bettes. In ihnen offenbart sich eine expressionistische Sprache, die an die Kulissen aus dem Stummfilmklassiker Das Kabinett des Dr. Caligari erinnert oder an die Möbel und Architekturen von Rudolf Steiner.
Vermöbelte Archaik
Eine kugelrunde Pendelleuchte – das Modell Random Light von Moooi (Design Bertjan Pot) – korrespondiert mit der Geometrie der Bullaugen. Den ovalen Esstisch (Eigenanfertigung mit geschweißtem Stahlgestell) umrunden zwei Stühle aus der Serie About a Chair mit Kunststoffschale sowie zwei Hee Chairs aus Metallgeflecht, beide entworfen vom dänischen Designer Hee Welling für Hay. Ein Hingucker sind zweifelsohne die beiden Hardoy Butterfly Chairs von Manufakturplus (entworfen von Antonio Bonet, Juan Kurchan und Jorge Ferrari-Hardoy) mit Lederbezug und Schafsfelldecke. Die Möbelklassiker ruhen auf einem Teppich aus Kuhfell und machen das von Archaik durchtriebene Wohngefühl perfekt. Genau die richtige Atmosphäre, um die nächste Fortsetzung von Mad Max oder den Flintstones ins Auge zu fassen.
FOTOGRAFIE Tim Van de Velde
Tim Van de Velde
Projektname | Alex Guesthouse |
Typologie | Wohnhaus, Kino |
Ort | Berlare, Belgien |
Größe | 150 Quadratmeter |
Entwurf | Atelier Vens Vanbelle |
Material Innenausbau | Schichtholz |
Pendelleuchte | Random Light von Moooi |
Stühle | About a Chair und Hee Chair von Hay |
Sessel | Hardoy Butterfly Chair von Manufakturplus |
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