Hotel extrem
Revolutionäre Gästegemeinschaft: Eine Herberge in Frankfurt macht die Kultur des Teilens zum Alltag der Bewohner.
Dass es in Frankfurt den Mut zum Experiment gibt, beweisen nicht nur die vielen Restaurant- und Barprojekte der jüngsten Vergangenheit, sondern seit kurzem auch ein Hotel, das kein Hotel sein will. Vielmehr begreift sich das Libertine Lindenberg als Gästegemeinschaft: eine große WG für Besucher der Stadt, die mal nur ein paar Tage, aber auch Wochen oder Monate in dem umgebauten Altbau in Alt-Sachsenhausen residieren wollen. Eine Heimat auf Zeit, die den gleichen Komfort wie Zuhause bieten soll – nur mit dem Service eines Hotels.
Kochen in der Küchenlandschaft oder den Hauskoch beauftragen? Selbstgemachtes aus dem Feinschmeckerlädchen mitnehmen oder doch lieber den Einkaufsservice anrufen? Fahrrad ausleihen oder sich auf die Hotel-Vespa schwingen? Das Libertine lässt den Kunden entscheiden: Ein spannendes Beispiel für die neue Gemeinwohlökonomie.
Ohne Sterne
Der gründerzeitliche Altbau in Alt-Sachsenhausen passt perfekt zum Übernachtungskonzept des Libertine: Das Haus mit seiner Fassade aus rotem Sandstein und hellen Klinkern wirkt einladend und familiär. Die Besonderheit des Projekts liegt aber nicht nur im Spannungsfeld zwischen Alt und Neu, sondern vor allem in der inhaltlichen Auflösung des klassischen Hotel-Formats. Neben dem Eingang empfängt die Besucher ein Schild mit der Aufschrift „Never trust these f.....g hotel classifications“ – und damit bringen die Betreiber ihre Grundidee auf den Punkt: Die Sterne, mit denen sich Hotels gerne schmücken, sind leider kein Ausdruck für die Wohn- und Aufenthaltsqualität einer Herberge. Eine Wohlfühlatmosphäre entsteht anders. Dabei setzt das Libertine auf eine ausgewogene Mischung aus moderner und handgemachter Inneneinrichtung sowie die Einbeziehung ihrer Bewohner, die sich je nach Lust und Laune in die Gästegemeinschaft einbringen können.
Dualismus total
Die 27 Zimmersuiten, davon sechs Maisonettes, verteilen sich auf sieben Etagen. Für den Umbau und die Sanierung des gründerzeitlichen Gebäudes wurden Franken Architekten beauftragt, das Einrichtungskonzept stammt vom Studio Kathi Kæppel. Die Gestalter wollten, ganz dem revolutionären Übernachtungskonzept folgend, das Spiel mit den Gegensätzen in den Vordergrund stellen: Tradition trifft auf Moderne, Lokales auf Internationales. Die Kontraste ziehen sich zum Teil auf radikale Art und Weise durch die Zimmer, die durch klare Brüche in helle und dunkle Bereiche aufgeteilt wurden. So wurden sämtliche Einrichtungsobjekte sowohl in Pastellfarben als auch in Schwarz gefertigt. Besonders in der gemeinschaftlichen Kochlandschaft deklinierte Designerin und Illustratorin Kathi Käppel das Thema „Dualismus“ bis ins Detail durch und schuf dadurch ein extremes Raumerlebnis.
Wohnlicher Charakter
Neben den räumlichen Eingriffen fällt die Liebe zu Kleinigkeiten und Handgemachtem ins Auge, die wesentlich zur Wohnlichkeit des Libertine beitragen. Handgeknüpfte Teppiche, grober Strick und feine Fäden gehören zu den Erkennungsmerkmalen im Haus: Vom Kissen über Wärmflaschen bis hin zur Hausuniform scheint alles in Textil gekleidet zu sein. An den Wänden und in den Zimmern verteilt finden sich jede Menge Malereien, Illustrationen und kleine Kunstobjekte, die das Haus mit Leben erfüllen und ihm seinen Charakter verleihen. Auch bei der Auswahl der Möbel wurde Wert auf Hochwertiges gelegt: Die im Mobiliar und den künstlerischen Installationen verarbeiteten Textilien stammen von der dänischen Firma Kvadrat, die Sitzmöbel in den Zimmern und Fluren entwarf zum größten Teil Stefan Diez für e15. Das Libertine ist ein durch und durch gelungenes und erfrischendes Übernachtungskonzept, das jedem Hotel mit seinem Charme Konkurrenz macht. Egal, ob als Heimat auf Zeit, für eine Nacht oder vielleicht für immer.
FOTOGRAFIE Dieter Schwer
Dieter Schwer
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