Imperfekte Schönheit
Eine wohnliche Verwandlung im Amsterdamer Grachtenviertel

Im historischen Grachtenviertel von Amsterdam haben Framework Studio ein altes Lagergebäude in ein wohnliches Stadthaus transformiert. Die Innenräume wurden von den Hausherren als ein begehbares Gemälde konzipiert.
Architekten sind keineswegs nur für andere aktiv. Von Zeit zu Zeit planen sie auch für sich selbst. So erging es den beiden Gründern des Amsterdamer Framework Studios, Thomas Geerlings und seiner Frau Danielle. 2017 haben sie ein Stadthaus an der Prinsengracht erworben – in einer ruhigen Gegend, unweit des Amstelveld Platzes. Dass sich der Bau im heruntergekommenen Zustand präsentierte, störte sie nicht. „Wenn man eigene Projekte realisiert, sind die ersten Entscheidungen immer emotional getrieben“, ist Thomas Geerlings überzeugt.
Keine fünf Minuten nach der Besichtigungstour hatte das Paar beschlossen, das Haus zu kaufen. Dass sie zunächst ihrem Bauchgefühl vertrauten, sollte zu einigen Überraschungen führen. „Wir gingen davon aus, dass wir die Balken behalten können. Doch sie waren komplett verrottet – wie vieles in diesem fünfgeschossigen Bau“, erklärt der Architekt. Die Vorbesitzerin hat das Haus nicht nur schlecht in Schuss gehalten, sondern Wände und Türen einfügen lassen und damit den ursprünglichen Charakter stark verändert. „Also mussten wir wieder zurück zu den Anfängen“, bringt Thomas Geerlings die Direktive auf den Punkt.
Texturen und Strukturen
An dieser Stelle kam ihnen die Sorgfalt der Behörden zu Hilfe: Im Stadtarchiv von Amsterdam werden die originalen Baupläne von fast allen denkmalgeschützten Gebäuden aufbewahrt – darunter auch von jenem Haus an der Prinsengracht. Als es 1896 erbaut wurde, diente es als Lagerhaus, das sich auf einem schmalen, langgezogenen Grundstück von rund 50 Quadratmetern erhebt. Dem Architektenpaar war es wichtig, den Räumen einen wohnlichen Charakter zu geben, anstatt das Raue und Industrielle zu akzentuieren. „Schöne Imperfektion“ benennen Thomas und Danielle Geerlings das Leitthema, dem sie den gesamten Umbauprozess unterworfen haben. Die Räume sollten nie glatt und steril wirken. Sie sollten durch haptische Oberflächen und Texturen mit Sinnlichkeit aufgeladen werden.
Eine wichtige Rolle entfalten hierbei die materiellen Brüche: Stoffbezüge aus Bouclé und Samt harmonieren mit roh verputzten Zementwänden – vereint durch ihre unregelmäßigen und leicht dreidimensionalen Strukturen. Die Farbpalette der Möbel und Wände changiert zwischen pudrigen Grün-, Rosa- und Grautönen – selbst die Nichtfarbe Weiß kommt in elf verschiedenen Nuancen zum Einsatz. Eichenholzdielen verstärken die warme Atmosphäre in sämtlichen Wohnräumen. Doch auch bei ihnen gibt sich die Farbigkeit reduziert, indem das Holz geseift wurde und einen markanten hellgrauen Schleier trägt. In den Bädern sowie im Eingangsbereich des Stadthauses bewirken großformatige Marmorplatten eine edle Variation des Boden-Themas. „Für mich ist die Innenraumgestaltung wie die Komposition eines Gemäldes. Alle Elemente müssen miteinander sprechen“, erklärt Thomas Geerlings.
Dinieren auf dem Sofa
Das Souterrain ist der öffentliche Teil des Hauses. Nachdem die Bewohner und Gäste eine kleine Treppe hinab gestiegen sind, werden sie im Eingangsbereich von einem hölzernen Schaukelpferd empfangen, das von der Manufaktur Stephenson’s Brothers in Kent angefertigt wurde. Von dort geht es am Treppenaufgang vorbei in die Küche, über der sich ein Glasdach erhebt. Thomas und Danielle Geerlings haben hier einen Teil des Innenhofs in das Gebäude integriert und so einen hellen wie großzügigen Raum geschaffen.
Als Blickfang dient ein großes, offenes Vintage-Holzregal von Pierre Chapo, in dem sich Trinkgläser neben Vasen, Bilderrahmen und kompakte Skulpturen reihen. Eine Besonderheit ist die Typologie der Sitzmöbel. Der lange Esstisch aus Massivholz wird nicht von Stühlen umringt, sondern von vier kompakten Zweisitzern. Die von Thomas Geerlings entworfenen Polstermöbel sind mit einem grünen Samtstoff bezogen und wirken einladend und gemütlich. Mit ihren abgerundeten Konturen setzen sie einen atmosphärischen Gegenpol zum kantigen Esstisch sowie der mit hellgrauem Naturstein verkleideten Küche, die früher einmal in einer Amsterdamer Galerie stand.
Unbestimmte Bestimmtheit
Im Obergeschoss folgt der private Wohnbereich der vierköpfigen Familie. Mit zwei großen Fenster öffnet sich das Kaminfenster zur Gracht. Hölzerne Bücherregale sind in die Wände eingelassen, ein hellgrünes Sofa mit grobem Kordbezug lädt zum Entspannen ein. Im hinteren Teil des Stockwerks spannt sich ein langer, schmaler Spieltisch an der Wand entlang und wird nur einseitig von einer gepolsterten Bank flankiert. Auf der anderen Seite des Raumes wird ein kürzerer Tisch von einem U-förmigen Sofa umringt. Es sind Orte des Zusammenseins, die durch ihre Unbestimmtheit und Offenheit überzeugen und eine Vielzahl menschlicher Interaktionen zulassen.
In der zweiten Etage liegt das Elternschlafzimmer, im dritten und vierten Stockwerk die Kinder- und Gästeschlafzimmer. Die Farbigkeit wechselt hier zu gebrochenen Rosatönen. Hingucker ist eine Bank in Form der Comicfigur Pluto aus einer Achtzigerjahre-Walt-Disney-Möbelkollektion. Sie ist ein Geschenk des niederländischen Vintage-Händlers Morentz, bei dem Thomas Geerlings zahlreiche Möbel erworben hat. Auch die Kunst spielt eine wichtige Rolle. Über dem grünen Sofa im Kaminzimmer hängt ein Gemälde des römischen Künstlers Lamberto Teotino, der die Werke flämischer Meister aufgreift und ihnen durch verwischte Gesichter in Francis-Bacon-Manier einen unsteten, dynamischen Eindruck verleiht. Eine passende Metapher für ein Haus, wo das Schöne nicht erdrücken, sondern immer auch ein wenig unfertig und mitten im Prozess erscheinen soll.
FOTOGRAFIE Kasia Gatkowska
Kasia Gatkowska
Entwurf | Framework Studio |
Standort | Amsterdam, Niederlande |
Art | Umbau |
Innenausbau
Böden | Eichenholzdielen |
Wände | Zement, roh verputzt |
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