Infusion der Gegenwart
Umbau eines Haussmann-Ära-Apartments von Gabrielle Toledano

Die Architektin Gabrielle Toledano dachte beim Umbau eines Pariser Apartments erst gar nicht daran, die Raumordnung aus der Zeit von Baron Haussmann zu respektieren: Sie lässt zwei Bänder aus Sperrholz durch die Zimmer schlängeln, um den Grundriss völlig neu zu sortieren.
Geschichte ist ein Geschenk mit Haken – vor allem in der Architektur. Spuren der Vergangenheit können Räumen Charakter verleihen. Sie können aber auch wie ein Gefängnis wirken: Eine unentwegte Fahrt in eine andere Epoche, aus der es kein Entrinnen gibt. Einem zeitlichen Befreiungsschlag gleicht der Umbau eines eleganten Apartments aus der Haussmann-Ära, das die Architektin Gabrielle Toledano gekonnt vom Staub befreit hat. Die Bauherren verlangten einen Spagat: Die stuckverzierten Decken, großflächigen Wandvertäfelungen, opulenten Kamine und das allgegenwärtige Fischgrätparkett sollten erhalten bleiben. Dennoch sollte ein neues Element hinzugefügt und keinen Zweifel daran gelassen werden, dass diese Wohnung in den 2020er Jahren angekommen ist.
Schlängelnde Raumgrenzen
Die Infusion der Gegenwart gelingt durch zwei Bänder aus Sperrholz. Sie schlängeln sich durch alle Bereiche der Wohnung, trennen Räume, verbinden andere, durchbrechen Korridore und Enfiladen. Kurzum: Sie werfen den gesamten Grundriss aus seiner geordneten Logik und stellen neue Verbindungen her. Wohnzimmer, Esszimmer und Küche sind als zusammenhängendes Raumgefüge angelegt, das fast die Hälfte der gesamten Wohnung einnimmt. Das Elternschlafzimmer geht nahtlos in ein offenes Badezimmer und einen begehbaren Kleiderschrank über. Die Kinder haben ebenso einen eigenen Bereich mit Schlafzimmer, Spielecke und Bad.
Um die Karten neu mischen zu können, griff die Architektin zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Sie entfernte die historischen Türen aus ihren Rahmungen, sodass sämtliche Zimmer miteinander verbunden werden. Lediglich die Haustür sowie die Türen der Toiletten und Kinderbadezimmer blieben erhalten. Zu sehen sind sie dennoch nicht. Denn die kurvigen Raumteiler, die selbst von zahlreichen Türen durchbrochen werden, blenden die Originaltüren einfach aus. Vom Wohnungseingang führt ein schmaler Korridor zwischen den beiden Bändern entlang in den Wohnbereich, wo sie links und rechts einen Abzweig nehmen und das Raumgefüge weiten.
Glanz und Zurückhaltung
Die Sperrholz-Elemente verlaufen rund einen halben Meter unterhalb der Decken, die ursprüngliche Dimension der Räume bleibt so erfahrbar. Durch den entstandenen Luftraum ist zudem die Ornamentik der Decken sichtbar. An dieser Stelle entfalten die Einbauten ihre Wirkung am stärksten: Wenn das einfache und unprätentiöse Sperrholz auf den Glanz des 19. Jahrhunderts trifft. Die gekurvten Wände mögen aus einem bescheidenen Werkstoff gefertigt sein – doch sie lassen erkennen, dass sie mit handwerklicher Raffinesse für diese Räume maßgefertigt wurden. Nicht das Material, sondern seine Bearbeitung bringt eine subtile Noblesse ein.
Wechselvolle Materialität
Den Bau der Bänder hat Gabriella Toledano einem Pariser Schreiner übertragen, der ebenso eine Reihe von rückseitigen Schränken angefertigt hat. Schließlich dienen die neuen Wände keineswegs nur als Raumteiler, sondern ebenso zur Aufbewahrung. In der Küche werden eine breite Arbeitsfläche und Geräte hinter großen Klapptüren verborgen, die nahtlos in eines der beiden Bänder übergehen. An anderen Stellen sind Regale aus mattiertem Messing und Travertin in das Sperrholz eingelassen. Edel zeigt sich das Elternbadezimmer mit Wänden und Böden aus Onyx. Auch in der Küche zieht eine freistehende Naturstein-Insel die Blicke auf sich.
Die schwungvollen Wände sorgen für einen kulturellen Brückenschlag. Es ist kein Zufall, dass bei der Möblierung die Wahl auf den Nextmaruni Chair fiel, der von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa für den Hersteller Maruni entworfen wurde. Die beiden Gründer von SANAA Architects setzen ebenfalls häufig auf abgerundete Wände, die allerdings nie einem präzisen Kreis folgen. In Paris haben sie gerade die Fassade des Kaufhauses Samaritaine an der Rue de Rivoli mit einem gläsernen Vorhang umschlossen, auch er in dynamische Wellen geschlagen. Neu und alt, günstig und edel, fernöstlich und europäisch: Sie treffen in Paris aufeinander – in den Straßen ebenso wie in entstaubten Apartments.
FOTOGRAFIE Salem Mostefaoui
Salem Mostefaoui
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