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Offene Manufaktur für Swarovski von Snøhetta in Wattens

von Esther Blau, 22.10.2019

Swarovski öffnet sich und gibt Einblicke in ihren handwerklichen Prozess der Kristallschleiferei. Seine neue, von Snøhetta Architekten geplante Manufaktur führt Designer, Handwerker, Techniker und Kunden unter einem Dach zusammen.

In vielen Cafés wird heute nicht nur Kaffee getrunken, sondern vielerorts kann man dem Prozess zuschauen, den die Bohne durchläuft, bevor sie sich als schwarze aromatische Flüssigkeit in der Kaffeetasse wiederfindet. Das gleiche gilt für Bier, Konditor- oder Backwaren und vieles mehr. Auf die zunehmend automatisierte Arbeitswelt reagieren Unternehmen mit Transparenz und Öffentlichkeit im handwerklichen Herstellungsprozess und erzeugen gleichzeitig Nähe zwischen Verbraucher und Produkt. In seiner neuen Manufaktur im österreichischen Wattens dem Sitz des Familienunternehmens, hat der Kristallhersteller Swarovski dieses Konzept nun auf die nächste Ebene gehoben. Denn die offene Produktionsstätte führt Handwerker, Techniker, Gestalter und Kunden kompromisslos unter einem Dach zusammen. Realisiert hat den Bau die Innsbrucker Niederlassung von Snøhetta. Über die Besonderheiten des Gebäudekonzeptes und wie Architektur auf den Wandel der Arbeitswelt reagiert, berichtet Geschäftsführer Patrick Lüth.

Multifunktionale Manufaktur
„Die Designer und Businesskunden von Swarovski waren bisher nie in Kontakt mit den Menschen, die direkt am Kristall und dem unmittelbaren Produktionsprozess arbeiten“, erklärt Patrick Lüth. „Es ist ein völlig neues Prinzip, wenn der Raum mit der Fertigung des Produktes, dem Marketing und der Designabteilung geteilt wird. Das Wesentliche dabei ist, dass ein Raum von dem Produkt, das aus mehreren Arbeitsprozessen entsteht, geprägt ist und nicht wie etwa von der individuellen Arbeitsatmosphäre bei einem Co-Working-Space. Speziell für Swarovski ist diese offene Produktionsstätte etwas sehr besonderes, da stets ein großes Geheimnis um die Herstellung der Kristalle gemacht wurde.“

Alles unter einem Dach
Von der Decke hängt ein Kran, der leise surrend die Halle entlang fährt. An den langen Wandseiten des Raums stehen Schleifmaschinen, die mit einem Wasserstrahl unter Hochdruck die Kristalle schaffen. Der Boden ist mit Birkenholzplatten ausgelegt. Dank der offen gehaltenen Produktionsstätte und der räumlichen Zusammenführung der Arbeitsprozesse dauert heute die Herstellung von Modellen nicht mehr bis zu vier Wochen, sondern nur wenige Tage. In der großen hellen Manufakturhalle gleiten die Arbeitsbereiche im Erd- und Obergeschoss ineinander über. Ihre Architektur ist zurückhaltend, der Materialeinsatz unaufdringlich, die Atmosphäre hell und freundlich, wofür in erster Linie das gedämpfte Licht sorgt, welches von der Decke in den Raum einfällt.

Tageslicht für die Kristalle
Tageslicht ist von zentraler Bedeutung bei der Kristallproduktion. Denn erst das Licht macht Kristalle lebendig, indem es Farb- und Lichtbrechungseffekte erzeugt. Die Menge an Licht in der Swarovski Manufaktur ist das Ergebnis vieler Oberlichter. In die freitragende Stahlkonstruktion der Decke sind 135 Kassetten eingelassen, in deren Öffnungen spezielle Filter vor übermäßiger Sonneneinstrahlung schützen. Sie bestehen aus sechs mal drei Meter großen Modulen, die in einem Raster mit leichter Neigung angeordnet sind. In die Dachkonstruktion ist ebenfalls die Gebäudetechnik integriert, während die Decke mit Akustikplatten abgedeckt ist, um eine gute Absorption von Hintergrundgeräuschen zu gewährleisten, damit die Menschen trotz der Maschinengeräusche und Produktionsanlagen sich unterhalten können.

Bühne für viele Gelegenheiten
„Die Produktionshalle ist ein flexibler variabler Ort“, berichtet Patrick Lüth weiter. „Sie ist flexibel im Tagesablauf, so kann es sein, dass vormittags ganz normaler Betrieb ist, am Nachmittag eine Veranstaltung und abends ein Gala-Dinner stattfinden. Es gibt unterschiedliche Settings. Deshalb verstehe ich unsere Architektur eher als Bühne, die vor Ort unterschiedliche Dinge ermöglicht. Wir haben versucht, die Flexibilität in den Vordergrund zu stellen, nur Maßnahmen gesetzt, um die Interaktion zu fördern, wie die Treppe im Erdgeschoss.“

Eine breite Sitztreppe im Erdgeschoss verläuft über Eck und führt von diesem hinauf auf die Empore. Sie wird für Versammlungen oder Präsentationen genutzt und verbindet die verschiedenen Ebenen, nicht nur funktional, sondern auch symbolisch, denn Hierarchien sollen aufgehoben werden.

Ein Wandel im Produkt
Wir fragen Patrick Lüth, inwieweit sich dieser Wandel in der Zusammenarbeit äußert? Entwerfen die Designer jetzt anders? „Die Designer, die seit Jahren mit Swarovski zusammenarbeiten, verstehen den Prozess der Kristallproduktion nun besser. Tord Boontje meinte, seit er verstanden habe, wie diese Maschinen arbeiten, hätte er eine gänzlich neue Beziehung zu den Kristallen entwickelt. Früher hat er einem Marketingleiter vertrauen müssen, was dieser ihm über den Produktionsprozess erzählte und was machbar ist und was nicht. Jetzt ist er selbst in der Manufaktur, sieht die historischen Kristalle, er sieht Herstellungsprozesse anderer Produkte und begreift die Zusammenhänge. Es erweitert sich die Kreativität im Schaffensprozess, wenn man Teil des Herstellungsprozesses werden kann. Dabei sind die Konversationen zwischen den einzelnen Parteien nicht mehr so inszeniert, sondern laufen vertraulicher ab.“

Gestalterisch war es den Architekten wichtig, Orte für genau solche Gespräche zu schaffen. „Am Fuß der Treppe gibt es eine Kaffeemaschine, die von jedermann genutzt wird – von der Näherin, zum Bediener einer Maschine bis hin zum Assistenten von Jean-Paul Gautier, der gerade zu Besuch ist. Hier treffen sich ganz unvermittelt verschiedene Parteien und geraten in Austausch. Es ist auch interessant zu beobachten, wie die Leute, die bisher in ihrem stillen Kämmerlein saßen, reagieren, wenn ihnen jemand über die Schulter schaut. Es ist ein Experiment. Die anfängliche Skepsis hat umgeschlagen in eine gute Stimmung, denn junge und ältere Mitarbeiter suchen auch aktiv den Dialog mit dem Kunden – bei einem Kaffee.“

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Projektarchitekten

Snøhetta

www.snohetta.com

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