Kleid aus tausend Kacheln
Auf mehrfach ungewöhnlichem Wege entstand dieses neue Einfamilienhaus in Lissabon.
Als es um die Verwandlung des kleinen Grundstücks im hügeligen Stadtzentrum von Lissabon ging, bestand kein Zweifel: Das alte Haus musste weichen. Zu baufällig war es, sein Dachstuhl bereits seit einiger Zeit eingestürzt. Doch was die Architekten Vasco Correia und Patrícia Sousa von Camarim Arquitectos ihm folgen ließen, ist beileibe kein blanker Neubau. Anstelle des ursprünglich zweistöckigen Gebäudes entstand ein viergeschossiges Stadthaus – das jedoch auf ein wichtiges Detail aus der Vergangenheit nicht verzichtet.
Das Grundstück liegt an einer der typisch schmalen, schrägen und verzweigten Straßen nahe des Parkes Jardim do Príncipe Real im gleichnamigen Viertel in Lissabon. Ursprünglich sollte ein Mehrfamilienhaus mit drei bis vier Einheiten auf der 41 Quadratmeter kleinen Fläche entstehen. Doch wer würde auf solch winzigem Baugrund investieren, wenn sich nachher nur sehr schwer Abnehmer für die Miniwohnungen finden ließen? Da kam ein Bauherrenpaar auf eine bessere Idee: ein Einfamilienhaus, so ungewöhnlich der Typus Townhouse für das Lissaboner Zentrum auch sein mag – mit viel Platz für Kind und Kegel, nah dran am Stadtgeschehen.
Gestapelte Funktionen
Auf fünf Etagen mit einer Gesamtwohnfläche von 205 Quadratmetern breiten sich die Funktionen des Hauses nun aus: Arbeiten im Untergeschoss, Kochen und Essen im Erdgeschoss, die zwei Schlafzimmer der Kinder und ein Bad im ersten Obergeschoss, das Schlafzimmer der Eltern mit En-Suite-Badezimmer und begehbarem Kleiderschrank im Zweiten und schließlich der Wohnbereich in der obersten Etage. Der Treppenaufgang mit kurzen Absätzen im Zickzack hält die Familie auf Trab. Ein Atrium, dessen Geometrie auf jedem Level etwas variiert, verbindet die Bereiche formal – es erleichtert die Kommunikation, bringt Licht von oben nach unten und sorgt für eine natürliche klimatische Zirkulation, indem kühle Luft vom Erdgeschoss bis nach oben und von da nach außen geleitet wird.
Doch nicht nur der Gebäudetyp und seine gestapelte Raumaufteilung sind ungewöhnlich. Auch die Konstruktion des Gebäudes bedurfte besonderer Maßnahmen. Wieder ist die geringe Grundfläche ausschlaggebend: Ein herkömmlicher Bau aus armiertem Beton, mit Stahlträgern oder Mauerwerk hätte sich hier reichlich umständlich gestaltet. So lösten die Architekten Vasco Correia und Patrícia Sousa die Aufgabe mit dem neuartigen Prinzip der Light Steel Construction – einem Skelett aus leichten Stahlprofilen, das mit Trockenbauwänden und -böden verkleidet wird. Lediglich die Basis – das Untergeschoss und der Küchenboden – bestehen aus bewehrtem Beton. In Lissabon ist das Haus damit das erste seiner Art. Akustisch und klimatisch gesehen soll die Bauweise dabei hervorragende Eigenschaften aufweisen.
Hell, natürlich und schlicht
Bei der Ausstattung setzten die Architekten auf helle Töne und schlichte, aber natürliche Materialität. Außer die Estrichböden im Unter- und Erdgeschoss sind alle übrigen Fußböden in den Wohnbereichen und auch die Treppen und Geländer aus Kiefernsperrholz gefertigt. Die Küche ist nicht mehr als eine weiße Küchenzeile mit leichtem Knick, an die man praktisch bei Betreten des Hauses tritt. In der Mitte des Raumes steht ein großer Esstisch. Und damit das Büro eine Ebene tiefer auch etwas vom Lichteinfall der straßenebenen Fenster hat, verläuft an der Innenseite der Gebäudefront ein Bodengitter.
Struktur streckt Räume
Ein dichter Vorhang aus Wildseide dient als Windfang und trennt die Eingangstür von der Küche. Und wird doch einmal mehr Privatsphäre gewünscht, lässt dieser sich über die gesamte Fensterseite hin schließen. Etwas geborgener geht es eine Ebene höher zu, wo die Kinder schlafen. Das angrenzende, fensterlose Bad ist ringsum mit grauweißen Marmor aus Vila Viçosa verkleidet. Seine Struktur weitet dabei den Eindruck vom engen Raum. Toilette und Bidet trennt nur ein weißer Vorhang von der bodengleichen Dusche. Eins höher: Beim Elternschlafzimmer betritt man das Badezimmer in wenigen Schritten um die Ankleidekammer herum. Auch hier verleiht derselbe Marmor einen edlen Charakter.
Über den Dingen schwebt man schließlich, wenn man es bis ins obere Stockwerk geschafft hat. Eine breite Fensterfront bietet Zutritt zur halboffenen Loggia, von wo aus der Blick über die Dächer der Altstadt schweift. Bewegliche Fensterläden aus perforiertem Aluminiumblech lassen sich wahlweise auf- und zuschieben, um dem Inneren mehr oder weniger Schatten zu spenden.
Von außen ist das Haus Casa no Príncipe Real wirklich kaum zu übersehen – es strahlt in intensivem Türkisblau, das durch die schwarz gerahmten Einschnitte der quadratischen Fensteröffnungen durchbrochen wird. Damit das Neubauprojekt den Bezug zur Historie nicht verliert, hat das Architektenduo von Camarim Arquitectos einen besonderen Ansatz zur Fassadengestaltung entwickelt. Denn selbstverständlich gehört eine geflieste Fassade zum Haus, so wie es typisch ist für portugiesische Städte. Während der Sockel mit glatten Fliesen versehen ist, bedient sich das Muster der oberen Etagen einer zeitgenössischen Abstraktion der früheren Kachelbemalung und wurde mit einem Relief aus kleinen Löchern versehen. Dieselbe Struktur, wie sie auch auf die Aluminiumplatten übertragen wurde.
So wie es da steht, das hohe Haus mit seiner auffälligen Fassade, will es den Passanten sagen: „Hier wohnt jemand, der seine Stadt liebt und den Blick nach vorne richtet. Schließt die ruinösen Lücken dieser Stadt, denn es geht weiter!“ Kaum zu glauben, dass das Land noch als eines der meistbetroffenen Länder der Euro-Krise gilt.
FOTOGRAFIE Nelson Garrido
Nelson Garrido
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