Leben im Labyrinth
Ein Wohnhaus in Osaka von Tato aus magischen Dreiecken und surrealen Geometrien
Wer sich die Grundrisse dieses Wohnhauses in der Präfektur Osaka ansieht, wird möglicherweise an das Computerspiel Monument Valley erinnert. Dort muss sich die Protagonistin in surrealen Geometrien und verwirrenden Treppenformationen à la M. C. Escher an ihr Ziel knobeln. Während die britischen Spieleentwickler von Ustwo eine quirlige, farbige und vielseitige Ornamentik schufen, setzen die japanischen Architekten von Tato auf eine puristische Materialwelt. Aber auch hier ist spielerisches Vergnügen garantiert.
Tatsächlich ist der Verweis auf das Computerspiel, das mit seinen isometrischen Perspektiven stark mit unterschiedlichen Ansichten spielt, gar nicht so abwegig. Der Name Tato leitet sich vom japanischen „kanji“-Zeichen ab. In zwei Teile zerlegt, kann es auf verschiedene Weisen gelesen werden. Ähnlich suchten die Planer auch in ihren Architekturen stets nach einer gewissen Doppeldeutigkeit und nach neuen Blickwinkeln, die durch alltägliche Erfahrungen der Bewohner entstehen. So wollten sie Einfluss auf das Bewusstsein nehmen.
Lockeres Labyrinth
Spieleentwickler können ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Architekten hingegen unterliegen zumeist räumlichen, baulichen und budgetären Beschränkungen. So war es auch im Fall dieses Neubaus für eine japanische Familie. Doch Yo Shimada und Akira Yasuda von Tato holten das meiste heraus und bewiesen fast magisches Talent. Auf dem Grundstück in einem vorstädtischen Wohnviertel der Stadt Takatsuki errichteten sie ein Gebäude, das von außen zunächst traditionell anmutet. Doch das schwarze Polyeder mit zweigeschossiger Höhe und knapp 97 Quadratmeter Fläche beherbergt insgesamt 16 Ebenen, die sich in verschiedene Richtungen orientieren.
Dafür gliederte Tato den rechteckigen Grundriss in ein diagonales Raster. „So beabsichtigten wir ein einfaches, aber komplexes, geometrisches und höhlenartiges Labyrinth innerhalb des kleinen Hauses“, erklären die Planer aus Kobe. Die Stockwerke ließen sie von zwei Punkten aus spiralförmig nach oben hin ansteigen. Diese treffen sich in Esszimmer und Küche, trennen sich dort wieder und werden auf der Dachterrasse erneut zusammengeführt.
Intimes Innenleben
Als Unterteilungen dienen lediglich die rotierende Anordnung der Zimmer und die leicht höhenversetzten Böden, die jeweils über zwei Stufen verbunden sind. Indem die Planer auf Wände sowie eine klare Trennung in Etagen und Funktionen verzichteten, erschien der gesamte Raum nur locker getrennt, so das Büro, das zuvor ein ähnliches Konzept für ein Gebäude in Miyamoto entwarf. Ziel sei ein Gefühl von Ausdehnung. Anders als bei seinem Vorgänger, bei dem es um fließende Raumeffekte ging, ist die Sicht hier allerdings auf den direkt benachbarten Raum begrenzt. Das schafft trotz der allgemeinen Offenheit ein größeres Gefühl von Privatheit.
Durch die kleinteilige Gliederung entstehen individuelle Refugien, die vielgestaltige Möglichkeiten zum Rückzug bieten und dank der variierenden Schnitte immer neue Raumansichten schaffen. Auch dank diverser Sprossenfenster, die sich an den sechs Außenwänden des Baus befinden, öffnet sich das Haus nicht nur zu allen Himmelsrichtungen, sondern ermöglicht eine Vielzahl von stets variierenden Perspektiven.
Magisches Dreieck
Durch die collagenhaften Überlagerungen der Zimmer, die betonten Kanten und spitzen Winkel entsteht aber auch viel optische Unruhe. Diese mildern Verkleidungen und Einbauten aus einheitlichem Holz sowie durchgängig helle Wände, Decken und Böden ab. Das ebenfalls hölzerne Mobiliar ist formreduziert und wird allenfalls durch einige Elemente aus Beton oder Metall ergänzt. So entsteht ein harmonischer Gesamteindruck und ein warm anmutendes Heim für Eltern und Kinder.
Tatsächlich bleiben Tato mit dem beabsichtigen Labyrinth-Charakter des Hauses ihrem Namen treu. In Sachen Experimentierfreude und Kreativität können es Yo Shimada und Akira Yasuda mit den Spieleentwicklern aufnehmen. Sie haben sogar noch eine Komponente hinzugefügt, die bei passioniertem Zocken vielfach vernachlässig wird: die Bewegung. Denn für die Bewohner dieser magischen Räume ist Treppensteigen unausweichlich. Und das hält ja bekanntlich fit und gesund.
FOTOGRAFIE Shinkenchiku Sha
Shinkenchiku Sha