Leitsystem aus Farben
Therapiezentrum von UNStudio in Peking

Schluss mit klinisch-kalten Räumen. Mit dem FlySolo Rehabilitation Medical Centre in Peking setzt UNStudio auf ein weitgefächertes Farbspektrum. Ein Leitsystem aus dynamischen Wellen sorgt für Orientierung – und überträgt den Innenraum hinaus in die Stadt.
Im Medizinbereich gilt eine einfache Farbenlehre: Haus- und Fachärzte wählen bei Kittel und Wandfarbe ein aseptisches Weiß. In der Chirurgie werden Grün oder Blau verwendet, weil diesen Tönen eine beruhigende Wirkung nachgesagt wird. Alles in Ordnung, keine Sorgen, so die Botschaft. Das mag verständlich sein. Und doch wird damit eine Chance vertan. Schließlich können Farben eine heilende Wirkung entfalten – vorausgesetzt, sie lassen das Klinisch-Kalte hinter sich und stimulieren die Emotionen, anstatt sie zu unterdrücken.
Interieur als Beschleuniger
Eine Ode an das Anti-Aseptische ist derzeit in Peking zu bewundern. Ben van Berkel ließ sein UNStudio tief in den Farbtopf greifen, um das FlySolo Rehabilitation Medical Centre aus den standardisierten Bahnen zu werfen. Das 550 Quadratmeter große Zentrum bietet Räume für Physio-, Ergo- und Sprachtherapie sowie Arztpraxen und Beratungsbüros. Bei der Inneneinrichtung sind Erfahrungen aus der Rehabilitationsmedizin eingeflossen, wie sich Ergebnisse schneller erzielen lassen.
Gedämpftes Rauschen
Vertrautheit und Wohlbefinden spielen hierbei Schlüsselrollen. Denn die Patient*innen, die dort behandelt werden, sind Kinder. Dennoch sollte die Einrichtung weder wie ein reiner Spielplatz noch wie ein Vergnügungspark anmuten, bei dem schrille Farben, Formen und Geräusche die Sinne verwirren. „Um die psychische Gesundheit zu fördern, wurde die Inneneinrichtung mit einer beruhigenden Farbpalette und schwungvollen Gesten gestaltet, die von der Natur und beliebten Kinderbuchillustrationen inspiriert sind“, erklärt Ben van Berkel.
Aktivierung der Zwischenräume
Breite Korridore verbinden die einzelnen Therapieräume. Ihre Dimensionen sind so gestaltet, dass sie die Navigation für Rollstuhlfahrer*innen oder Menschen mit Gehbeeinträchtigungen erleichtern. Zugleich können die Flure selbst für verschiedene Therapieverfahren genutzt werden. Wellenförmige Grafiken ziehen sich an den Wänden entlang. Sie erzeugen einen fließenden Übergang zwischen drei Farbfamilien, die mit den Funktionen der Therapieräume korrespondieren. Eine zwischen Sand, Orange und Ocker changierende Palette steht für die Sprachtherapie. Rosa, Koralle und Burgund finden für Physiotherapie Verwendung, während sich überlappende Blau-, Türkis- und Petroltöne die Räume für Sprachtherapie markieren.
Informelles Leitsystem
Sämtliche Wellen variieren nicht nur in ihrem Farbspektrum, sondern ebenso in ihren Amplituden und Längen. Die Folge: Jeder Korridorabschnitt sieht anders aus. Lichtleisten an der Decke greifen die Wellenbewegungen auf und verstärken somit ihre Dynamik. Das Team von UNStudio hat auf diese Weise ein intuitives Leitsystem geschaffen, welches mit Vielfalt und Abwechslung punktet statt mit strenger Rasterung. Für die Therapieräume wurde eine deutlich ruhigere Sprache gewählt als in den Gängen. Die Räume sind entweder in einer rosafarbenen oder in einer hellblauen Palette gehalten, wobei jeweils drei Abstufungen zum Einsatz kommen. Im unteren Zweidrittel der Wände dominiert die intensivste Tonalität. Der darüberliegende Teil ist leicht aufgehellt, während dem obersten Teil der Wände sowie den Decken die hellste Farbmischung zugewiesen wurde.
Verspielte Räume
„Der Besuch medizinischer Einrichtungen kann bei Kindern mitunter eine gewisse Angst auslösen, die sich noch verschlimmert, wenn die Wartezeit nicht durch positive Ablenkung erleichtert wird. Aus diesem Grund wurde bei der Gestaltung des Zentrums das Bedürfnis des Kindes nach Spiel, Erkundung, Bewegung und Entdeckung berücksichtigt“, erklärt Ben van Berkel. Die Wartebereiche vor den Behandlungsräumen sind teilweise mit Mini-Rutschen und Ballbädern ausgestattet. Sie definieren interaktive Sitzgelegenheiten, die mitunter als Nischen in die Wände eingelassen sind und somit als informelle, geschützte Ruhezonen dienen. Die Stringenz konventioneller Wartezimmerbestuhlungen wird auf diese Weise galant ausgehebelt.
Einbindung der Eltern
An einigen Stellen sind schmale Fenster in die Korridorwände eingelassen. Ihr wellenförmiger Zuschnitt folgt der grafischen Gestaltung der Durchgangsräume. Der Grund: „Eine weitere mögliche Ursache für das Unbehagen der Kinder und ihrer Eltern kann die Trennung während der Therapiesitzungen sein. Daher werden Fenster in einer bestimmten Höhe in die Wände der Therapieräume eingesetzt, um sicherzustellen, dass die Eltern zwar hineinsehen können, das Kind sich aber nicht zu sehr beobachtet fühlt“, erläutert Ben van Berkel. Dank flexibler Trennwände können einige Therapieräume zusammengelegt oder zu den Gängen hin geöffnet werden.
Kommunikation mit der Stadt
Die wellenförmige Grafik der Flure wird von einem schwungvollen Fassadenrelief aufgegriffen. Gebogene Paneele aus Aluminium umrahmen den Eingangsbereich und senden so eine einladende Geste in den Stadtraum hinaus. „Familien, die sich auf eine emotional schwierige Reise begeben, erhalten eine inspirierende Botschaft neuer Möglichkeiten“, bringen die Architekt*innen die Wirkung auf den Punkt. Es ist ein Plädoyer für das Umdenken einer ganzen Branche, das weiß-grüne Farbspektrum endlich um vielfältigere Nuancen zu erweitern.
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